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Die Gleichheit

Erbe wegzunehmen und gewaltsam fremdes Gebiet zu besetzen, daß es vielmehr einen dauerhaften Frieden auf Grund des Rech­tes der Völker, ihr Schicksal selbst zu bestimmen, herbeiführen will. Das russische Volt erstrebt nicht die Steigerung seiner äuße­ren Macht auf Kosten anderer Völker, es hat nicht das Ziel, irgendein Bolt zu unterjochen oder zu erniedrigen. Im Namen der Gleichheit entfernte es die Ketten, die auf dem polnischen Volke lasteten. Aber das russische Volk wird nicht zugeben, daß sein Vaterland aus dem großen Kampfe erniedrigt und erschüttert in seinen Lebensbedingungen hervorgeht." Die deutsche und die österreichisch ungarische Regierung haben diese Erklärung durch Veröffentlichungen beantwortet, in denen ähnliche Gedankengänge entwickelt werden.

Wer die politischen Dinge und ihren Zusammenhang verfolgt, für den ist es mit Händen zu greifen, welchen entscheidenden Einfluß auf die gegenwärtigen Friedensaussichten das Klassenbewußte russische Prole­tariat ausübt. Die Augen der friedebürstenden Welt hängen mit leiden­schaftlicher Spannung an seinem Werke. In dem Kampf um den Frieden, den es mit der imperialistischen Bourgeoisie aussicht, hat es die Probe auf seine Reife und Kraft zu bestehen. Eine Probe, die auch für seine Macht nach dem Kriege entscheidend sein wird. Als Preisfechter des Weltproletariats stehen die russischen Arbeiter auf dem Blach feld der Geschichte. Aus ihren starken Händen kann die Welt den Frieden zurückempfangen, den die großen sozialistischen   Parteien der westeuropäischen Staaten fleinmütig und furchtsam nicht zu bewahren vermochten. Ihr opferbereites Heldentum kann den zu­sammengebrochenen Sozialismus wieder aufrichten und einer nahen, glänzenden Zukunft entgegenführen. Wenn auch die Ar­beiter und die Sozialisten der anderen Länder lernen, wenn sie wollen, wenn sie erkennen, daß sie wollen müssen.

Sozialistische Frauenbewegung im Ausland.

Der sozialistische Frauentag in Ungarn   ist am 1. April ab­gehalten worden. In Budapest   wie in vielen Provinzorten haben Versammlungen stattgefunden, in Preßburg   wurde der Frauentag bereits am 25. März begangen. Besonders glanzvoll ist die Kundgebung in Budapest   gewesen.

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Der fiebente Frauentag der österreichischen Genossinnen ist wieder ein großer Erfolg. Die Kundgebung fonnte nicht einheitlich an einem Tage erfolgen, Zweckmäßigkeitsgründe bewirkten, daß die Frauentagsversammlungen sich über einen größeren Zeitraum ver­teilen mußten, nämlich auf die Zeit vom 19. März bis 29. April. Nach einer Anzeige in der Arbeiterinnen Beitung" scheint es, als ob am 6. Mai eine große Frauenwahlrechtstundgebung in Wien   den Reigen der Veranstaltungen abschließen wird. Die Tagesordnung dieser Kundgebung lautet: Die Frauen und ihr Wahlrecht in Reich, Land und Gemeinde". Außer unserer Genoffin Bopp werden die sozialdemokratischen Abgeordneten Bernerstorfer, Reumann, Ellenbogen und Seiz sprechen. In Wien   allein find in 20 Bezirken bereits 17 Frauenversammlungen abgehalten worden, die große Zahl der Veranstaltungen in der Provinz steht noch nicht fest. Überall wurde das Thema behandelt: Der Frauen­tag und der Friede". Eine große Anzahl Genoffinnen, altbekannte und jüngere Kräfte, sprachen dazu, auch viele Genossen hatten Vor­träge übernommen. Die vorgeschlagene einheitliche Resolution ge langte allerorten unter Beifall zur Annahme. Der Zustrom der Teil­nehmenden zu den Bersammlungen war durchweg groß, manchen­orts waren selbst größere Säle überfüllt. Die Stimmung war glänzend, die Begeisterung außerordentlich. Die Kundgebungen be­stätigten, daß die alten sozialistischen   Ideale lebendig geblieben sind und immer weitere Massen ergreifen.

Der sozialistische Frauentag in Schweden   hat am 4. April in vielen Drten stattgefunden und vor allem der Forderung des Frauenwahlrechts gegolten. Die Kundgebung stand im Zeichen der russischen Revolution, die alle freiheitglühenden Herzen höher schlagen macht. In Rußland   ist der politische Zarismus überwun­den, die politische Freiheit schreitet durch die Gassen, und der Wandel ist eine Tat des Volts selbst! Das weltgeschichtliche Ereignis wird von größter Bedeutung für das Befreiungsringen der Enterbten in der ganzen Welt sein. Die Auffassung und Stimmung der ver­sammelten schwedischen Genossinnen kam in dieser Resolution zum Ausdruck: Wir entbieten dem russischen Volk unsere heißen Glück wünsche zu der neuen Ara, die dank seiner eigenen entschlossenen Aktion begonnen hat. Wir schwedischen Frauen beglückwünschen die russischen Frauen, daß die Revolution den Augenblick herbeigeführt hat, in dem sie ihr Bürgerrecht erlangen werden, während wir mit unserem Parlamentarismus dieses Ziel kaum in greifbarer Nähe

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wahrnehmen. Wir beglückwünschen die Sozialisten der ganzen Welt zu dem großen Fortschritt, den die russische   Revolution für den Sozialismus gebracht hat. Hoch die Revolution, hoch Rußland  !"

Frauenstimmrecht.

Die Einführung des politischen Frauenwahlrechts vom eng­lischen Unterhaus beschlossen. Es ist gekommen, wie vorauszu sehen war: das Frauenwahlrecht zum englischen Parlament hat die Zustimmung des Unterhauses erhalten. In der Regierung war die Meinung über diese Neuerung geteilt, aber trotzdem wurden in ihren Gesetzentwurf die Ausführungen der Parlamentskommission aufge= nommen, die sich für die Buerkennung des politischen Bürgerrechts an das weibliche Geschlecht ausgesprochen hatte. Die Verhandlungen haben mit der Annahme der Reform geschlossen. Von 408 Abge­ordneten haben nur 52 dagegen gestimmt.

Von hervorragendem Interesse ist die Rede des früheren Minister­präsidenten Asquith  , der als Gegner des Frauenwahlrechts be­fannt war. Er erklärte, daß er sich zum Frauenwahlrecht bekehrt habe. Sein früherer Widerstand dagegen sei in der Meinung be­gründet gewesen, daß die Frauen selbst durch ihre Leistungen ihren Anspruch auf das Wahlrecht begründen müßten. Der Krieg habe die soziale Reife der Frauen bewiesen. Ohne sie wäre es unmöglich ge wesen, ihn zu führen. Aber noch wichtiger als ihre Gegenwarts­leistungen sei die Rolle, die ihnen nach dem Kriege für den Wie­deraufbau der Gesellschaft zufalle. Es wäre ebenso ungerecht wie schädlich, die Frauen von der Mitentscheidung über die künftige Verwertung der Frauenarbeit im sozialen Drganismus fernzuhalten. Asquith   ersuchte die Regierung, unverzüglich die Einführung des Frauenwahlrechts vorzubereiten. Man vergleiche mit dieser vorur teilslosen Wertung und mit der Entscheidung des Unterhauses die Reden und Beschlüsse im Preußischen Abgeordnetenhaus, wo man fich nicht einmal dazu entschließen konnte, den Frauen ohne weiteres auch nur mitentscheidende Stimme in kommunalen Körperschaften zu verleihen. Und das, obgleich sich dort die weibliche Mitarbeit als unentbehrlich erwiesen hat. Wie haben wir doch gelesen? Deutsch­ land   in der Welt voran, Preußen in Deutschland   voran!

Eine Frauenkundgebung in Petersburg   für die volle Gleich­berechtigung des weiblichen Geschlechts hat am 1. April statt­gefunden. Eine außerordentlich große Frauenmenge erschien nach­mittags vor der Duma und forderte die volle rechtliche Gleichstellung beider Geschlechter. Unter den gehaltenen Reden ragten besonders zwei durch Klarheit und Entschiedenheit hervor. Die der heldenmütigen Revolutionärin Wera Figner  , die ein ganzes Menschenalter hinter Kertermauern zugebracht hat, und die unserer Genossin Alexandra Kollontay  , die den Genossinnen aller Länder rühmlich bekannt ist. Ihrer betätigten Gesinnung halber mußte Genossin Kollontay Rußland meiden. Während des Kriegs hat sie zweimal in den Ver­ einigten Staaten   große Agitationsreisen unternommen, um für den Frieden und die internationale Solidarität zu wirken. Un­mittelbar vor der Verschärfung des Unterseebootkriegs nach Europa  zurückgekehrt, ist die tapfere Frau nach Ausbruch der Revolution in ihr Vaterland zurückgeeilt, um dort

wie sie uns schrieb- so­

fort an die Arbeit zu gehen, mit dem Herzen und im Geiste mit denen, die das Banner des Sozialismus in den Frrungen und Wirrungen des Kriegs hochgehalten haben".

Den Sprecherinnen der demonstrierenden Frauen antworteten die Abgeordneten Stobelew und Tscheidse sowie der Dumapräsident Rodzjanko. Die Abgeordneten erachteten die volle Rechtsgleichheit für die Frauen als eine Selbstverständlichkeit. Sie sei wohlverdient, denn die russischen Frauen hätten jederzeit einen heldenhaften An­teil an den revolutionären Bewegungen und Kämpfen genommen. Der Dumapräsident erklärte, daß die bevorstehende konstituierende Versammlung über die öffentlich- rechtliche Stellung der Frau zu entscheiden habe. Die Duma werde dafür eintreten, daß die Ent­scheidung den Frauen günstig sei.

Frauenarbeit.

Weibliche Hilfskräfte in der englischen   Armee. Nach den Mitteilungen bürgerlicher Blätter hat das englische Striegsamt be­kannt gegeben, daß Frauen als Hilfskräfte für die Armee in Frank­ reich   angeworben werden können. Die Frauen sollen dort für die Dauer eines Jahres eingestellt werden als Schreiberinnen, Telephonistinnen, Köchinnen, Wächterinnen und Stutsche. rinnen. Die zu verwendenden Frauen sollen zwischen zwanzig und vierzig Jahren alt sein.

Berantwortlich für die Redaktion: Frau Klara Zetkin  ( Bundel), Wilhelmshöhe, Post Degerloch bei Stuttgart  . Druck und Berlag von J. H. W. Diez Nachf. G.m.b.g. in Stuttgart  .