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Die Gleichheit

zu drängen und so rasch wie möglich entscheidende Friedensverhand­lungen auf dieser Grundlage herbeizuführen.

Kein Volt darf durch den Friedensschluß in eine demütigende und unerträgliche Lage gedrängt werden, sondern jedem muß die Mög­lichkeit gegeben sein, durch freiwilligen Beittitt zu einer überstaatlichen Organisation und Anerkennung einer obligatorischen Schiedsgerichts barkeit den dauernden Bestand der fünftigen Welt sichern zu helfen." An der Sigung der obengenannten Parteiinstanzen nahmen als Gäste teil: die Genossen Viktor Adler  , Dr. Renner und Seiz als Parteivorstandsvertreter der deutschen   Sozialdemokratie in Österreich  ; die Genossen Garany und Weltner als Vertreter des Parteivorstands der ungarischen Sozialdemokratie. In ihrer aller Namen erklärte Genosse Adler nach erfolgter Beschluß­fassung, der erste Teil der Resolution gelte rein deutschen   Ange­legenheiten, in die sich die Gäste nicht einmischten. Der zweite Teil aber handle vom Frieden, der die ganze Welt angehe. Im Auftrag der österreichischen   und ungarischen Gäste könne er versichern, daß sie mit jedem Wort dieser Friedenskundgebung einverstanden seien. Sie stelle also den gemeinsamen Willensausdruck der Sozialdemo­fratie in Deutschland  , Österreich   und Ungarn   dar.

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Die Resolution fordert gewiß in mehr als einem Punkt die sozia­listische Kritik heraus. Weniger durch das, was sie sagt, als durch das, was sie zur Bewertung der Lage und der aus ihr heraus­wachsenden Forderungen nicht ausspricht. Recht sonderbar mutet auch der Absatz an über die von den feindlichen Regierungen ver­breiteten Zumutungen". Die Vertreter der sozialdemokratischen Mehr­heitspolitiker scheinen vergessen zu haben, daß die Bewilligung der Kriegskredite, die Anschirrung des Proletariats vor den Kriegs­wagen der kapitalistischen   Weltmachtspolitik mit der Losung erfolgte: Gegen den Barismus! Für die Befreiung des russischen Volkes!" Immerhin bedeutet die Resolution einen Fortschritt. Namentlich in dem Teil, der sich auf Friedensschluß und Friedensbedingungen be zieht. Hier ist unzweideutig ein Friede ohne Annegionen und Kriegs­entschädigungen gefordert worden; hier hat endlich die zweideutige Illusion aufgehört mitzureden, als ob die deutsche Reichsregierung zu einem Friedensschluß auf der gleichen Grundlage wie die Sozial­demokratie bereit sei; hier wird die Verpflichtung für die Genossen in allen Ländern anerkannt, die Regierung zum Verzicht auf jede Eroberungspolitik zu drängen. Kurz, die Resolution verpflichtet zur Wiederaufnahme einer kraftvollen, selbständigen sozialdemokratischen Politit. Im politischen Leben behauptet der zweifelnde Thomas sein Recht, der erst glaubt, wenn er seine Finger in die Wundenmale des Auferstandenen legen kann.

Ottilie Baaders siebzigster Geburtstag.

Ottilie Baaders siebzigsten Geburtstag dürfen die Genoffinnen Deutschlands   nicht vorübergehen lassen, ohne mit aufrichtiger, herzlichster Dankbarkeit der hingebungsvollen Leistungen zu ge= denken, durch die diese schlichte, aufrechte Proletarierin unsere Frauenbewegung, die Sache des Sozialismus gefördert hat. Ge noffin Baaders Leben und Weben liegt seit Jahrzehnten in dem proletarischen Befreiungskampf beschlossen, ist vor allem unlöslich mit den planmäßigen Bestrebungen verknüpft, die dreifach un­freien Frauen des werktätigen Volkes zu wecken, zu sammeln, zu schulen und zu selbständig denkenden und handelnden Kämpferin­nen für volles, freies Menschentum aller zu erheben, wie es allein als herrliche Frucht der sozialistischen   Ordnung heranzureifen ver­mag. Viele Jahre lang ist Ottilie Baader   als Vertrauensperson der Genoffinnen Deutschlands   eine Bannerträgerin der proletari­schen Frauenbewegung gewesen. Und das inmitten der großen und wichtigen Spanne Zeit zwischen der Aufhebung des schmachvollen Sozialistengesetzes und der Gewährung freien Vereins- und Ver­sammlungsrechts für die Frauen durch das Reichsvereinsgesez. Es waren die Jahre der kleinen, tastenden, suchenden Anfänge. Den Genossinnen wurde noch nicht die materielle Unterstüßung der Partei in dem gleichen Maße wie später zuteil, in der Hauptsache mußten sie aus eigener Kraft und mit eigenen Mitteln für die Bedürfnisse der Bewegung auffommen. Sie ermangelten der Or gane und Einrichtungen, die ihnen in der Folgezeit zur Verfügung standen, und auch die umfangreichste praktische Betätigung erfolgte ,, nebenamtlich", einen oft sehr harten Daseinskampf zur Seite. Die Geschichte dieser Periode unserer sozialistischen Frauenbe­wegung kann nicht geschrieben werden, ohne daß man in rühmen­der Weise das aufopfernde, eifrige Wirken der Genoffin Baader verzeichnet; ihre fonsequente, feste Haltung in allen Fragen grund­sätzlichen Bekenntnisses und der daraus folgenden Taktik; ihrer flugen und zielbewußten und dabei bescheidenen, entgegenkommen

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den Art. Ihr eignete in hohem Maße die Empfindung, das Be­wußtsein des notwendigen Zusammenarbeitens aller vorhandenen Kräfte zu einem Ziele und die kluge Einsicht für die Schranken der eigenen Kraft, die gleichgerichteten Rat und ergänzende Tat zu werten weiß. Sie wuchs mit den Anforderungen, die die glühende überzeugung als Sozialistin an sie stellte. Aus engen dumpfigen Gassen heraus hat der Sozialismus sie ins Weite und auf die Höhe geführt, dorthin, wo im Arbeiten und Ringen für ein er­habenes Ziel die schlummernden persönlichen Kräfte erwachen, wachsen und reifen. Ihr Lebensschicksal wurde typisches Prole­tarierschicksal, dem der Befreiungskampf der Klasse Wert und Ge­halt verleiht.

Ottilie Baader   wurde am 30. Mai 1847 zu Radow in Schlesien  geboren, besuchte in Frankfurt   a. d. O. die Volksschule und siedelte vierzehnjährig mit dem Vater und zwei Geschwistern nach Berlin   über. Früh der Mutter beraubt, war sie der gute Haus­geist, das sorgende, liebevolle Hausmütterchen der Ihrigen. Des Lebens Not herrschte ihr außerdem zu: Verdiene! Als Hand­näherin mußte sich das junge Mädchen einen vollen Monat mühen, um 4 Taler zu erwerben. Als die Nähmaschine sich einbürgerte, war die Konkurrenz mit deren flinker, stählerner Hand ein Ding der Unmöglichkeit. Ottilie ging zunächst in eine Spinnerei, kehrte aber zu dem alten Erwerb als Näherin zurück, als sie genug auf die hohe Kante gelegt hatte, um eine Maschine anschaffen zu kön= nen. Bei der Anfertigung von Mänteln, Blusen, Kragen, Schür­zen usw. Ternte sie die ganze Schwere, das schwarze Elend der Heimarbeit kennen. Eine durch und durch mütterliche Natur, er­zwang sie es bei allem Hemmenden der Erwerbsfron, den Ihrigen das bescheidene Heim traulich zu gestalten. Mit rührender Liebe sorgte sie für den Vater, dem sie im Greisenälter Erhalterin und Pflegerin war, sorgte sie für die Brüder und später für deren Söhne. Zwei Wesenseigenschaften hoben damals schon ihr Leben über die Engnis und Bedrängnis ihrer sozialen Umwelt hinaus. Ein heißer Bildungsdrang und ein lebhaftes, tiefes Mitempfinden mit den Leiden und Freuden ihrer Schicksalsgenossen, das sich zur Er­fenntnis der proletarischen Klassensolidarität entwidelte. Bei Ausbruch des Krieges 1870 wollte die Firma Sternberg, bei der Ottilie Baader   schaffte, die Löhne um die Hälfte reduzieren. Die nackte Not stand vor der Näherinnen Tür, und es gab keinen Ver­band, der ihr den Eintritt verwehrt hätte. Die bedrohten Frauen und Mädchen verständigten sich untereinander, Ottilie ging als ihre Wortführerin zum Chef und erreichte, daß die Lohnherab­sehung unterblieb.

Dank dem Vater, der 48 miterlebt hatte und die Ideale des ,, tollen Jahres" im Herzen bewegte, gewann sie bald den in­neren und äußeren Anschluß an die sozialistische Arbeiterbewe­gung. 1886 war sie an dem Kampfe der Berliner   Mantel­arbeiterinnen gegen die Erhöhung des Zolles auf Nähgarn be­teiligt und gehörte ihrem Verein als rühriges Mitglied an. Ez war nur selbstverständlich, daß sie 1890 dem Schneiderverband bei­trat und 1896 den großen Streit der Berliner   Konfektionsarbeiter­schaft mitfocht, der die Augen der breitesten Öffentlichkeit auf den Jammer der Heimarbeit lenkte. Auch an der politischen Be­wegung nahm sie regen Anteil.

Nicht allzu lange, und die Genossinnen stellten die Erprobte auf verantwortungsvolle Posten, Ottilie wurde eine der Führerinnen der sozialistischen   Frauenbewegung Berlins  . Mit größtem Eifer arbeitete sie darauf hin, den nötigen Zusammenschluß zwischen den Genossinnen ganz Deutschlands   herzustellen, um die vereinten Kräfte für einen planmäßigen Kampf einzusehen. Das hatte vor dem Reichsvereinsgesetz nicht bloß seine großen Schwierigkeiten, sondern auch seine Gefahren. Genossin Baader hatte mehr als einmal Haussuchung, gerichtliche Vernehmung, Anklage, weil sie bei ihrer Tätigkeit gegen das vormärgliche preußische Vereinsgesetz gefündigt haben sollte. Schwierigkeiten und Gefahren stärkten ihre Kräfte, befeuerten den Eifer, die Aufopferungsfähigkeit. Als die Beauftragten der Genofsinnen ganz Deutschlands   1900 in Mainz  ihre erste Konferenz abhielten, um die Bedingungen eines Bu sammenmarschierens und Zusammenschlagens zu schaffen, wurde Genossin Baader als ihre Vertrauensperson gewählt.

Was sie in diesem Amt geleistet hat, das haben wir eingangs fura gezeichnet, das ist in der Entwicklung der proletarischen Frauenbewegung berkörpert. Genossin Baader   bekleidete den wich­tigen Posten bis 1908, wo die Reform des Vereinsrechts die ge­meinsame Organisierung von Genossinnen und Genossen in der Partei möglich machte. Die statutarische Bestimmung, daß eine Frau dem Parteivorstand angehören müsse, besiegelte den Pakt zwischen der sozialistischen   Frauenbewegung und der Partei. Nach Verdienst und Brauch dünfte es allen recht und billig, daß Ottilie