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Die Gleichheit

machtvollem Ausdruck kommen läßt, regt sich in allen Ländern das Friedensbegehren des arbeitenden Volkes wieder kräftiger. Lauter, eindringlicher, hoffnungsreicher als seit all den langen, düsteren Kriegsmonaten redet die internationale proletarische So­lidarität. Die Situation treibt die sozialistischen Parteien voran. Die Bemühungen vermehren sich und werden aussichtsreicher, in­ternationale Fühlung zwischen ihnen herbeizuführen und eine so­zialistische Internationale als Friedensmacht handeln zu lassen. Der Mittelpunkt dieser Bemühungen ist Stockholm , von wo aus die Verbindung mit den russischen Genossen verhältnismäßig leicht und rasch ist. Der schwedische Genosse Branting , der in Petersburg mit den russischen Sozialisten Rücksprache hatte, brachte von dort sehr gute Aussichten mit über die Verstän­digungsmöglichkeit. Optimistisch darüber äußerte sich auch der dänische Genosse und Minister Stauning, der in Stock holm mit russischen und anderen ausländischen Genossen kon­feriert hat. Der holländische Genosse Troelstra , der dem Internationalen Sozialistischen Bureau angehört, ist nach Stod­holm gereist, nachdem er vorher in Berlin mit den Genossen Adler für Österreich , Garanh für Ungarn und dem Vorstand der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands verhandelt hatte. Es besteht Aussicht auf das Zustandekommen einer internationalen Konferenz, die nach den vorliegenden Meldungen am 20. Juni in Stockholm zusammentreten soll. Die opponierenden sozialistischen Minderheiten in den einzelnen Ländern sollen als gleichberechtigt zu der Tagung zugelassen werden. Es ist selbstverständlich, daß auch die sozialistischen Frauen aller Länder ihr Recht auf gleichberechtigte Mitberatung und Mitentscheidung geltend machen. Die nötigen Schritte sind bereits geschehen, daß die sozialistische Fraueninternationale als Ganzes auf der Konferenz vertreten sein wird. Außerdem ist es das selbstverständliche Recht der Genossinnen jedes einzelnen Lan­des, Delegierte zu der Tagung zu entsenden. Hoffentlich wird dieses Recht ausgenußt. Zu den Delegierten der Unabhängi= gen Sozialdemokratischen Partei Deutschlands gehört Genossin Zietz.

Frauenstimmrecht.

Eine Befürwortung des Frauenwahlrechts im Reichstag enthielt Genossen Haases treffliche Etatsrede, getreu dem poli tischen Aktionsprogramm der Unabhängigen Sozial­ demokratischen Partei . Als Genosse Haase die Forde rung einer sofortigen und durchgreifenden Demokratisierung ent wickelte, sagte er: Meine Herren, das Reichstagswahlrecht bedarf dringend einer Erweiterung. Ich will auf die einzelnen Vorschläge, die wir gemacht haben, nicht eingehen; aber die übertragung des Wahlrechts auf die Frauen ist eine unumgängliche Forderung geworden.( Sehr wahr! links.) Früher hat man oft genug erklärt, die Frau gehöre ins Haus, und deshalb dürfe man ihr das Wahlrecht nicht geben. Die Berufsstatistiken zeigen, wie diese Schranken immer mehr und mehr, von Jahr zu Jahr nieder­gerissen wurden, wie die Frauen hineinfluteten in alle Berufe. Und heute, meine Herren, da droht man ja den Frauen, die aus Mutterliebe, aus altem weiblichem Gefühl heraus zu Hause blei= ten, nicht außer dem Hause Arbeit annehmen wollen, daß man ihnen die Kriegsunterstüßung entziehen werde.( Hört, hört! bei der Sozialdemokratischen Arbeitsgemeinschaft.) Man treibt sie unter diesem Druckmittel aus dem Hause, und trotz alledem wagt man es, den Frauen, die die Munition mit schaffen helfen, die den ganzen Produktionsprozeß aufrechterhalten, das Recht vorzu­enthalten, auf das sie längst Anspruch haben!( Sehr richtig! bei der Sozialdemokratischen Arbeitsgemeinschaft.)"

Angesichts der gesellschaftlichen Zustände, die der Krieg geschaffen hat, kann in den Parlamenten nicht oft und nicht nachdrücklich genug die volle politische Gleichberechtigung des weiblichen Geschlechts ge= heischt werden. Die Aktion in den Parlamenten bedarf aber einer unerläßlichen Ergänzung. Die Frauen selbst müssen sich für ihr Recht rühren. Die Forderung ihrer politischen Gleichberechtigung muß zu einer Massenforderung werden, deren treibende Kraft die Frauen selbst sind, namentlich die proletarischen Frauen. Pflicht und Ehre der sozialistischen Frauen ist es, eine Wassenbewegung für das Frauenwahlrecht zu schaffen und ihr ziel- und richtung­gebend voranzuschreiten. Die Bedingungen dafür sind durch die Entwicklung der Frauenarbeit, durch den Umfang und die Be­deutung der Frauenbetätigung gegeben. Nun gilt es, die Men­schen, namentlich aber die Frauen reif an Erkenntnis, Willen und Tatfreudigkeit zu machen, auf daß sie dem Umschwung der Dinge entsprechend handeln.

Nr. 17

Die Sozialdemokratische Partei für das Frauenwahlrecht. Dem unverbindlichen Gerede und Geraune von der Neuorientie­rung" hat nun auch die Sozialdemokratische Partei ein politisches Aktionsprogramm entgegengestellt, das wie jenes der Sozialdemokratischen Arbeitsge= meinschaft die Forderung des Frauenwahlrechts enthält. Die Bertreter ihrer Fraktion im Verfassungsausschuß brachten einen Antrag ein, der unter anderem besagt: Der Artikel 20 Absatz 1 der Reichsverfassung erhält folgenden Wortlaut: Der Reichstag geht aus allgemeinen, gleichen und direkten, nach dem Verhältnis­wahlsystem vorzunehmenden Wahlen mit geheimer Abstimmung hervor, an denen alle über 20 Jahre alten Reichsangehörigen ohne Unterschied des Geschlechts teilnehmen." Für das Wahlrecht in den Einzelstaaten wird die nämliche Forderung er­hoben. Im Vorwärts" betonte Genosse Landsberg betreffs der Arbeiten des Verfassungsausschusses:" Seine Hauptaufgabe ist und bleibt, eine sofortige Reform des Wahlrechts im Reich und in den Einzelstaaten herbeizuführen. Ein Wahlrecht, das unseren Ansprüchen völlig genügen soll, muß beiden Geschlechtern Stimmberechtigung zugestehen." Wir fügen hinzu: selbstverständ­lich auch die Wählbarkeit.

Am 27. April veröffentlichten die Generalfommission der Gewerkschaften und der Vorstand der Sozial­demokratischen Partei einen Aufruf. Der Aufruf hebt jedoch in seinem zweiten Teil die Notwendigkeit durchgreifen­der politischer Reformen hervor und erklärt:" Die Zeit des freien Wahlrechts ist aber nicht nur für unsere Kämpfer draußen, sondern auch für unsere Frauen gekommen. Sie haben in der Heimat in schwerer Not, unter einem die Seele zer­mürbenden Bangen um das Schicksal ihrer Lieben draußen aus­gehalten und damit allein den Weiterbestand der deutschen Volkswirtschaft ermöglicht. Wir fordern, daß den Frauen die gleichen Staatsbürgerrechte nicht länger vorenthalten werden." Mit dieser Auffassung verträgt sich die verzeichnete Extratour" des Genossen Kolb schlecht, ebenso aber auch der Verzicht der Sozial­demokratischen Partei auf den Frauentag und andere Maßnahmen. Um das Frauenwahlrecht in Baden. Weiter oben wurde be= richtet, daß das Aktionsprogramm der badischen So­zialdemokratie die grundsätzliche Forderung des Frauen­wahlrechts nicht enthält. Damit nicht genug. Als Referent dazu wendete sich Genosse Kolb auf der Landesversammlung zu Offenburg gegen die politische Gleichberechtigung der Frauen. Selbstverständlich mit einer alten opportunistischen Be­gründung. Er faßte nämlich die Beteiligung der Frauen an den politischen Wahlen als eine Konzession an die Reaktion auf, da sie zur Stärkung der Zentrumsinteressen führe". Die einzige Ver­treterin der Genossinnen auf der Konferenz hat diese Begrün­dung und die Preisgabe des Frauenrechts ohne Widerspruch ge­schluckt, ohne Genossen Kolb aufzufordern, seine unfehlbare ,, männliche Logik" dadurch zu beweisen, daß er mit der angeführ­ten Begründung auch die politische Rechtlosigkeit aller Männer fordern möge, die durch ihren Wahlzettel, ihre politische Überzeu­gung die Zentrumsmacht stärken. Dann dürfte sich Genosse Kolb wenigstens der Konsequenz rühmen.

Der Kolbsche Grund gegen das Frauenwahlrecht ist der gleiche, den die liberalen Bourgeois früher in allen Ländern der politi­schen Gleichberechtigung des Bruders Arbeiter" entgegenhielten, den sie heute noch gegen das allgemeine Wahlrecht hervorziehen. Auch der große Ferdinand Lassalle mußte ihn bei seiner Agitation für das allgemeine Wahlrecht hören. Nur daß er darauf nicht wie der kleine Wilhelm Kolb antwortete, indem er die Forderung ein­sargte, sondern das prächtige stolze Wort prägte: Das allgemeine Wahlrecht gleicht der Lanze des Achilles, es heilt die Wunden, die es schlägt. In der Tat: Das Wahlrecht ist ein Mittel zur politischen Erziehung der Massen, und wenn es heute durch Männer- oder Frauenstimmen vorübergehend die Macht der reak­tionären Parteien stärkt, so wird es morgen und für die Dauer diese Macht schwächen und überwinden helfen. Übrigens wurde in der Haushaltungskommission der Zweiten Badischen Kammer dem Schaden, den die Sozialdemokratie von dem Opportunismus des Genossen Kolb hat, noch der Spott hinzugefügt. Der Zen­trumsführer befürwortete in bedingtem Maße die zuerkennung eines fommunalen Wahlrechts an die Frauen als Anerkennung ihrer Leistungen während des Krieges. Er bewies damit, daß er als mit der Entwicklung rechnender Realpolitiker" dem Genossen ++ Kolb über ist. Wenigstens in diesem Falle.

Berantwortlich für die Redaktion: Frau Klara Bettin( Bundel), Wilhelmshöhe, Post Degerloch bet Stuttgart .

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