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Die Gleichheit

wb. Lübeck . Eine öffentliche Frauenversammlung, die am 15. Juni im Gewerkschaftshaus stattfand, beschäftigte sich mit der gegenwärtig in den Hansestädten zur Beratung stehenden Verfassungsrevision. Genosse W. Brom me eröffnete sie unter Hinweis auf die Bürgerschaftsverhandlungen und legte dar, daß es nur durch die Mithilfe der Frauen während des Krie­ges möglich war, das gesamte Wirtschaftsleben aufrechtzuerhalten. Auch den deutschen Frauen müsse infolgedessen das Wahlrecht ge= geben werden, das in einer ganzen Anzahl anderer Länder bereits eingeführt worden ist oder eingeführt werden wird.

Hierauf hielt Genossin Johanna Reize, Hamburg , einen Vortrag über das Thema Der Krieg und die staatsbür­gerlichen Rechte der Frau". Rednerin wies auf das stille Heldentum, die fühlbaren Entbehrungen und die gewaltigen Ar­beitsleistungen der Frau hin, die diese nicht nur in der Erwerbs­arbeit, sondern auch im Staatsdienst, in der Kriegsfürsorge, im Handel und Verkehr geleistet hat. Sie schilderte die bisherige Be­vormundung der Frau und besprach eingehend die in Betracht kom­menden Forderungen. Nachdem noch Genosse Stelling und Ge­noffin Jae dst at im Sinne der Referentin gesprochen hatten, wurde die gleiche Resolution angenommen, die vor einiger Zeit von einer öffentlichen Frauenversammlung in Hamburg beschlossen worden ist.( Wir haben die Resolution in der vorigen Nummer der Gleichheit" mitgeteilt. Redaktion.)

Stuttgart . Eine württembergische Frauenkonferenz fand am Sonntag, den 24. Juni auf Veranlassung des Landesvor­standes hier im Gewerkschaftshaus statt, die zu der Reichsfrauen­fonferenz Stellung nahm.

Genosse Fischer, der die Verhandlungen leitete, berichtete zu­nächst, in welchem Umfang unsere Genossinnen in den verschiede= nen Städten in der Lebensmittelversorgung( Hilfsausschüssen, Preisprüfungsstellen, Konsumentenausschüssen) mittätig sind. Nach einigen Worten über den Redaktionswechsel in der Gleich­heit", der durch die Stellungnahme des Blattes für eine neue und gegen die alte Partei notwendig geworden war, verlas Genosse Fischer einen Bericht der Genossin Blos, welche verhindert war, persönlich anwesend zu sein, über die Frauenbewegung in Stutt­ gart , die sich leider im wesentlichen nur auf einige Versammlungen beschränkte. Genosse Fischer kam dann auf die Aufgabe der Dele­gierten bei der Reichskonferenz zu sprechen.

Es folgte eine längere Aussprache, bei der sich die Ausführungen der Genossinnen wesentlich in gleicher Richtung bewegten. 8u Des legierten wurden die Genossinnen Schradin, Reutlingen , und Blos, Stuttgart , gewählt. In seinem Schlußwort forderte Genosse Fischer zu größerer Tätigkeit in der Werbung von Abonnenten für die Gleichheit" auf. Damit schloß die harmonisch und an­regend verlaufene Konferenz.

Gewerkschaftliche Monatsschau

Den Gewerkschaften sind auf sozialpolitischem Gebiet während des Krieges Arbeiten zugefallen, die sie früher nicht in ihren Aufgabenkreis einbezogen. Wenn auch seit Ausbruch des Krieges Streits und Lohnbewegungen größeren Umfanges nicht geführt wurden, so haben die Gewerkschaften ihre eigentliche Auf­gabe, für die Besserung der Lohn- und Arbeitsbedingungen zu for­gen, auch in dieser Zeit reichlich erfüllen müssen. Durch Tarifver­einbarungen und Verhandlungen über Lohnzulagen und Teue­rungszulagen sind für Arbeiter und Arbeiterinnen eine große An­zahl wirtschaftlicher Verbesserungen erreicht worden. Aber weit darüber hinaus war das Eingreifen unserer Gewerkschaften not­wendig, um bei der Lebensmittelverteilung, bei der Kriegsver­letztenfürsorge, bei der Arbeitsvermittlung, bei der Sozialpolitik in engerem Sinne, beim Hilfsdienstgesetz, bei der Arbeitslosenfür­forge, der Fürsorge für die Kriegerfamilien hilfreiche Hand zu lei­sten. Erst nach Beendigung des Krieges wird die volle Wirksamkeit der Gewerkschaften, insbesondere der Generalfommission, auf die= sem Gebiet voll zur Kenntnis der Öffentlichkeit gelangen. Einen interessanten Einblick in diese Tätigkeit aber gewinnt der Außen­stehende schon jetzt durch eine vom Redakteur des Korrespondenz­blattes der Generalfommission, dem Genossen 1 m breit, heraus­gegebene Broschüre: Die deutschen Gewerkschaften im Weltkrieg", in der die emsige sozialpolitische Tätigkeit der Gewerkschaften im Kriege dargestellt wird. Wir müssen es uns hier versagen, auf die Einzelheiten dieser sehr interessanten Broschüre einzugehen, wir können sie nur jeder unserer Leserinnen zum Stu­

Nr. 21

dium angelegentlichst empfehlen. Sie ist zum Preise von 1,50 Mf. in den Parteibuchhandlungen zu haben.

In neuester Zeit mußte fich diese Tätigkeit der Gewerkschaften insbesondere auch erstrecken auf die zutage getretenen besonderen sozialen übelstände der Kohlennot, der Gasversorgung, der Mietssteigerungen und der in der Kriegszeit nie zur Ruhe kommenden Not der Lebensmittelverteilung. Die Berliner Gewerkschaften haben durch eine persönliche Rücksprache beim Oberbürgermeister der Stadt und beim Oberkommando in den Marken dafür Vorsorge treffen wollen, daß eine gerechte Ver­teilung des Brennmaterials für die Bevölkerung vorgesehen wer­den soll, ebenso eine solche des Gasverbrauches, vor allem aber eine Verhinderung der Mietskündigung und Mietssteigerung, die die Kriegerfrauen sehr schwer bedrücken. Hausbesitzervereine haben vielfach beschlossen, zum 1. Oktober mindestens zehnprozentige Mietssteigerungen eintreten zu lassen, und sie fündigen demgemäß den Kriegerfrauen. Das Oberkommando fühlte sich nicht kompetent dazu, auf dem Verordnungsweg ein Verbot der Mietssteigerung zu erlassen, obwohl es in anderen Städten, wie in Danzig , geschehen ist; es hält den Bundesrat für die behördliche Instanz. Es wäre daher dringend zu wünschen, daß der Bundesrat, um der großen Beunruhigung, die am 1. Oktober für die Bevölkerung im allge­meinen und für die Kriegerfrauen im besonderen eintreten würde, wirksam entgegenzutreten, dieser gerechten Forderung rechtzeitig entspräche.

Im Textilgewerbe trat diese Unzufriedenheit besonders auf der außerordentlichen Generalversammlung zutage, die jüngst in Augsburg abgehalten wurde. Wir haben an dieser Stelle wieder­holt auf den Widerspruch zwischen den niedrigen Löhnen der Textilarbeiter und-arbeiterinnen und den hohen Unternehmer­gewinnen hingewiesen. So wurde kürzlich erst wieder bekannt, daß die Konvention der sächsisch- thüringischen Färbereien in zwei Mo­naten ihre Lieferungspreise um 100 Prozent erhöht habe, wäh rend die Mindestſtundenlöhne der Arbeiter und Arbeiterinnen nicht ganz um 50 Prozent aufgebessert wurden. Der Verbandstag trat denn auch der Auffassung bei, die schon vorher vom Beirat des Ver­bandes festgelegt worden war, wonach Mindestlöhne zu fordern sind, und daß die Verbandsleitung die Befugnis habe, wenn die sehr niedrigen Löhne, die für Arbeiterinnen oft noch 20 und 24 Pf. für die Stunde betragen, nicht erhöht würden, mit allen Mitteľn eine Bewegung für die Verbesserung der Löhne einzuleiten, so daß nötigenfalls unter Außerachtlassung des Burgfriedens zur Waffe des Streiks gegriffen werden müsse.

Jm Bäckereigewerbe haben sich die Arbeiter durch ihre Organisationen gegen die Wiedereinführung der Nacht­arbeit zu wehren. Um eine Ersparnis an Heizmaterial zu er­zielen, sollen die kleineren Bädereien geschlossen und zu Groß­betrieben zusammengelegt werden unter gleichzeitiger Wiederein­führung der Nachtarbeit. Während ein großer Teil der Unterneh= mer in völligem Einverständnis mit den Arbeitern sich gegen die Einführung der Nachtarbeit entschieden wendet, wird die Reichs­regierung von einem Teil der Unternehmer beständig im entgegen= gesetzten Sinne bearbeitet. Tatsächlich würde durch eine solche Maßnahme keine Kohlenersparnis eintreten, sie würde aber auch durch weit größere Ausgaben für Licht aufgewogen werden. Daß aus gesundheitlichen Rücksichten der Tagesarbeit entschieden der Vorzug vor der Nachtarbeit zu geben ist, da am Tage viel sauberer und reinlicher gearbeitet wird als nachts, kümmert diese Unterneh­mer nicht, die aus gewinnsüchtigem Interesse einen sozialen Fort­schritt zunichte machen wollen, der, durch die zwingende Kriegsnot geboren, im Gegenteil zu einer ständigen Einrichtung auch für die Friedenszeit gemacht werden sollte.

Im Baugewerbe drohen neue Differenzen auszu­brechen. Den Bauunternehmern war durch das Reichsamt des In­nern zugesagt worden, daß sie bei Lohnerhöhungen diese Mehraus­gabe aus Reichsmitteln zurückerstattet bekämen. In der Erklärung des Reichskanzlers, die hierzu vorliegt, war bestimmt, daß diese Rückvergütung nur Arbeitgeber, die zum Unternehmerverband ge= hören, bekommen sollten. Es hätten somit solche Arbeiter keinen Anspruch, die bei Unternehmern arbeiten, die nicht dem Unter­nehmerverband angehören. Da die Arbeiter sich eine solche un­gleiche Behandlung nicht gefallen lassen wollen, ist ein neuer Kon­flift entstanden.

Die Leipziger Straßenbahnbediensteten haben für das männ­liche und weibliche Personal Lohnzulagen und vor allem auch die völlige Koalitionsfreiheit erreicht, die ihnen bisher versagt blieb. O Berantwortlich für die Rebattton: Frau Marie Juchacz , Berlin SW 68. Druck und Berlag von J. H. W. Dietz Nachf. G.m.b.8. in Stuttgart .