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Die Gleichheit

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O, nimm der Stunde wahr, eh sie entschlüpft! So selten kommt der Augenblick im Leben, der wahrhaft wichtig ist und groß. Wo eine Entscheidung soll geschehen, da muß vieles sich glücklich treffen und zusammenfinden- und einzeln nur, zerstreuet zeigen sich des Glückes Fäden, die Gelegenheiten, die, nur in einem Lebenspunkt zusammen­gedrängt, den schweren Früchteknoten bilden. Schiller.

Politische Umschau

Die Abordnung des russischen Kongresses der Arbeiter- und Soldatenvertreter und das holländisch- skandinavische Komitee, die beide ihren Sitz in der schwedischen Hauptstadt haben, haben die Internationale Sozialistenkonferenz auf den 15. August und die folgenden Tage nach Stockholm   einberufen. Der Vorstand der sozialdemokratischen Partei Deutschlands   hat daraufhin den deutschen   Parteitag, der am 19. August in Würzburg   zusammentreten sollte, verschoben. In der Einladung des Stockholmer Ausschusses wird gesagt, daß der Petersburger Arbeiter- und Soldatenrat die Initiative ergriffen habe, um unter dem Banner der russischen Revolution eine internationale Konferenz der sozialistischen   Welt einzuberufen. Dieser Vor­schlag, dem gleichlaufende Absichten zahlreicher sozialistischer Par­teien vorausgingen, sei durch den allrussischen Kongreß der Ar­beiterräte gutgeheißen worden.

Alle Bemühungen der kriegshezerischen Machthaber in England, Frankreich  , Amerika   und sonstwo, die sozialistische Friedenskonfe­renz zu hintertreiben, sind zerschellt an dem aufrichtigen und un­beugsamen Willen unserer russischen Brüder. Der Friedens­tongreß des sozialistischen   Weltproletariats wird also zusammen­treten, und damit wird auch der Hohn der deutschen   Hezpresse fonservativ- nationalliberal- alldeutscher Färbung, die sich über die vermeintliche Ohnmacht des Sozialismus glaubte lustig machen zu dürfen, zuschanden werden. Auf den Schultern des internatio­nalen Proletariats ruht eine Aufgabe, deren Erfüllung für das Fortbestehen der gesamten menschlichen Kultur von größter Wichtigkeit ist, eine Aufgabe, die, wenn sie gelingt, als Ruhmestat für ewige Zeiten in das Buch der Geschichte eingemeißelt werden wird. Alle Völker des Erdballs kennen zur Stunde kein heißeres Sehnen, als daß dem Blutvergießen so schnell wie möglich ein Ende bereitet werden möge.

An den russischen Revolutionären und an der Sozialdemokratie Deutschlands   und Österreich- Ungarns wird es nicht liegen, wenn der Stockholmer   Kongreß nicht das von Millionen und aber Mil­lionen Frauen- und Männerherzen ersehnte Ziel der Einigung des Weltproletariats herbeiführen sollte. Mögen sich jene verein­zelten Gruppen innerhalb des internationalen Sozialismus, die teils aus nationalistischer Verranntheit, teils aus doktrinärer Besserwisserei der Einigung Schwierigkeiten bereitet haben, ihrer ungeheuren Verantwortung bewußt sein! Der millionenfache Der millionenfache Fluch der Frauen und Mütter in allen Ländern wird unvergäng­lich auf ihnen lasten, wenn sie es sein sollten, die die Verständi­gung und das einmütige Handeln unmöglich machen.

Dank dem ebenso flugen wie kraftvollen Handeln der deutschen  Sozialdemokratie sind durch die wichtigen politischen Vorgänge in Preußen, besonders durch die feierliche Ankündigung des glei­chen Wahlrechts, und durch die Friedenserklärung der Reichstags­mehrheit weitere Vorbedingungen eines baldigen Friedens geschaf fen worden. Der von der bürgerlichen Welt bis dahin so sehr ver­spottete sogenannte Scheidemann  - Friede ist unter dem entschlos­senen Druck der sozialdemokratischen Fraktion zur Friedens­parole der deutschen   Volksvertretung gemacht worden. Gleich dem russischen Arbeiter- und Soldatenrat hat sich die Reichstagsmehr heit unzweideutig auf den Boden des Verständigungsfriedens unter Ausschluß gewaltsamer Eroberungen und Kriegsentschädi­gungen gestellt.

Hoffen wir, daß es den Sozialdemokraten der feindlichen Län­der bald gelingt, ihre Volksvertretungen ebensoweit zu bringen, um die völkerversöhnende und menschheitbeglückende Aufgabe des Stockholmer   Kongresses über alle Hindernisse hinweg zu ruhm= vollem Siege zu führen.

Nr. 22

Das Frauenwahlrecht vor dem Reichstag  .

In der Sitzung des Reichstags am 6. Juli 1917 stand der erste Bericht des Verfassungsausschusses zur Beratung, der sich mit einer Änderung des Wahlrechts im Reiche beschäftigte. Der Ausschuß schlug lediglich die Vermehrung der Reichstags­mandate für einige stark gewachsene Wahlkreise und Einfüh­rung der Verhältniswahl für diese Kreise vor. Bekanntlich wurde dieser Antrag vom Reichstag angenommen und seine Ausführung von der Regierung zugesagt. In der Debatte spielten aber auch die übrigen Wahlrechtsfragen eine Rolle, die besonders von dem Redner der sozialdemokratischen Frak­tion, dem Genossen Gradnauer, gründlich behandelt wurden. Uns interessiert dabei vor allen Dingen das Frauenwahl­recht und die Stellung der einzelnen Parteien dazu. Wir bringen die Auslassungen der einzelnen Redner bei der Wichtig­keit der Sache nach dem amtlichen Stenogramm.

Dr. Graduaner( Sozialdemokrat): Meine Herren, ich stelle meinen Ausführungen voran eine furze Betrachtung über die Forderung des Frauenstimmrechts. Meine Partei tritt ein für die volle gesellschaftliche und politische Gleichberechtigung des weiblichen Ge­schlechts. Wir halten diese Forderung nicht nur für eine Rechts­forderung der Frau, sondern wir halten sie für eine Kulturforde­rung allerersten Ranges. Wir sind auch der Meinung, daß durch die große Umwälzung, die die Kriegszeit mit sich gebracht hat, neue starke Begründungen für unsere Forderungen eingetreten sind. Wir bedauern, daß die übrigen Parteien im Ausschuß versagt haben. Die eine Partei hat diese Frage als eine immer noch offene hin­gestellt, in der sie keine Entscheidung fällen könne. Andere Parteien haben die Forderung des Frauenwahlrechts grundsätzlich bekämpft. Und mit was für Gründen hat man das Frauenwahlrecht bekämpft? Wohl auf keinem Gebiet unseres politischen Lebens treten mehr philiströse Auffassungen zutage, als gerade hier. Wir hörten da -: wir wollen es um eins herauszugreifen den Frauen nicht zumuten, daß wir sie in die Politik hineinziehen, die Frau ist zu gut für die Politik. Diese Auffassung, die von kon­servativer Seite geäußert wurde, scheint darauf zu deuten, daß die Herren Konservativen eine recht schlechte Meinung von Politik haben. Ich weiß nicht, ob sie diese schlechte Meinung in ihrem eigenen politischen Betriebe gewonnen haben. Meine Partei denkt über die Beteiligung an der Politit anders und besser. Gewiß gibt es im politischen Leben Unannehmlichkeiten, und mancherlei Garstiges und Kleinliches mag mit unterlaufen, aber schließlich handelt es sich doch darum, die großen Fragen des Staatslebens und der Kultur der Verwirklichung entgegenzuführen. Mit diesen Fragen sich zu befassen und an ihnen mitzuarbeiten, warum sollte das nicht auch des weib­lichen Geschlechts würdig sein und ihm durchaus ziemen?

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Der Gedanke des Frauenstimmrechts hat für sehr viele noch immer etwas außerordentlich Seltsames und Ungewöhnliches. Mir scheint aber: in einer Zeit so gewaltiger Umgestaltungen wie die, in der wir leben, sollte man vor etwas Neuem und Ungewöhnlichem nicht so zaghaft zurückschrecken, wie es leider im Ausschuß seitens der Mehrheit geschehen ist. Wenn die Frau als Arbeiterin, sei es in der Hausindustrie, sei es in der Fabrik, sei es im Kaufmannsbureau, sei es als Beamtin, tätig ist, wenn sie in der Landwirtschaft tätig ist, immer ist sie darauf angewiesen, vom Staate Geseze entgegen­zunehmen, unter diesen Gesezen zu leben, ohne daß sie bisher irgend­welche Möglichkeit hatte, auf die Gestaltung der Geseze einen selb= ständigen Einfluß auszuüben. Wenn aber die Frau im Hause tätig ist, wenn sie die Erzieherin ihrer Kinder ist, sollte es ihr dann nicht auch dienlich sein, über den Staat und seine Gesetze sich Kenntnisse zu verschaffen und an dem Zustandekommen staatlicher Gesetzgebung mitzuwirken? Gewiß, der nächste Kreis, in dem die Frau wirkt, ist die Familie; aber über dem Kreis der Familie steht die Gemeinde, steht der Staat, steht das Reich, und es würde die Frauen über die ausschließliche Beschäftigung im engen Familienkreise erheben, wenn sie darüber hinaus sich mit staatlichen und Gemeindeangelegenheiten beschäftigen. Eine solche Beschäftigung würde gerade dahin wirken, daß sie ihren Beruf als Erzieherinnen ihrer Kinder weit besser zu erfüllen imstande wären als bisher. Der staatsbürgerliche Unterricht gebührt, wie mir scheint, nicht nur der männlichen, sondern auch der weiblichen Jugend. Wenn die weibliche Jugend über das Wesen und die Grundfragen des Staats- und Gemeindelebens unterrichtet wird, so wird sie auch politische Dinge mehr als bisher zu beurteilen imstande sein, und dann wird auch der Einwand hinwegfallen, daß die Frau nicht imstande sei, mit Erfolg das politische Wahlrecht auszuüben.