Nr. 25

A. g. XIII

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27. Jahrgang

Die Gleichheit

Zeitschrift für Arbeiterfrauen und Arbeiterinnen

Mit der Beilage: Für unsere Kinder

Die Gleichheit erscheint alle vierzehn Tage einmal. Preis der Nummer 10 Pfennig, durch die Post vierteljährlich ohne Bestellgeld 55 Pfennig; unter Kreuzband 85 Pfennig. Jahres- Abonnement 2,60 Mart.

Für das Frauenwahlrecht.

Stuttgart

14. September 1917

Die Frau hat das Recht, das Schafott zu besteigen, sie sollte auch das Recht haben, die Tribüne zu besteigen," sagte Olympe de Gouges , eine der ersten Vorkämpferinnen für die Frauenrechte, einst in der großen französischen Revolution. Sie besiegelte ihr Wort mit ihrem Leben; sie selbst endete auf der Guillotine, aber die Frauenklubs, die sie gegründet hatte, wurden von den Revolutionären aufgelöst. Die Lo­sung der Revolution: Freiheit, Gleichheit und Brüderlich feit wendete sich nur an das männliche Geschlecht, die Frauen blieben rechtlos wie früher.

Furchtbarere Opfer als in den Zeiten der Guillotine brin­gen sie der Gesellschaft heute bei uns mit dem Leben ihrer Nächsten; sie tragen mit der Gesamtheit Not und Entbeh­rung; doch noch immer sind sie wie damals ausgeschlossen von dem höchsten Rechte, dem: selber das Gesetz mitzube­stimmen, dem sie unterworfen sind.

Der Weltkrieg hatte für die Entwicklung Deutschlands die eine günstige Folge: er brachte die Demokratisierung des Landes in Fluß. Für Preußen darf man nach vieljährigem vergeblichem Kampfe endlich auf die Erringung eines glei­chen und freien Wahlrechts hoffen; im Reiche zeigen sich die Anfänge einer parlamentarischen Regierungsform, das heißt der verantwortlichen Mitregierung einer Mehrheit der Volksvertreter. Nur die Forderungen der Frauen bleiben nach wie vor in der Öffentlichkeit unbeachtet.

Damit stellt sich unser Land in einer wichtigen politischen Frage selbst mit in die Reihe der reaktionärsten Staaten. Längst haben bei anderen vorgeschritteneren Nationen die Frauen ihr Recht durchgesezt oder wenigstens einen starken Schritt auf diesem Wege getan. Seit etwa zwei Jahrzehnten besitzt das weibliche Geschlecht in den australischen Kolonien uneingeschränkte Gleichberechtigung. Von den Vereinigten Staaten Nordamerikas hat sich fast die Hälfte zu den Frauen­forderungen bekannt. Auch in Europa schreitet das Frauen­stimmrecht unaufhaltsam fort. In Finnland danken es die Frauen der russischen Revolution von 1905. In Norwegen folgte 1913 das allgemeine Frauenwahlrecht dem beschränk­ten, das bereits 1907 durchgesezt worden war. Der Krieg brachte der Bewegung weitere rasche Erfolge. 1915 gewährte Dänemark den Frauen das politische Wahlrecht( nachdem das kommunale schon seit 1908 eingeführt war), und auch in England gab die Regierung, die sich lange feindlich gegen die Stimmrechtsfämpferinnen gestellt hatte, jetzt nach, und den Frauen wurden( wenn auch mit gewissen Einschränkungen) die politischen Rechte gegeben. In Schweden dürften sie nicht mehr lange auf sich warten lassen, die große russische Revo­lution, die wir miterleben durften, verlieh den Frauen ohne irgendeinen Widerstand das volle Bürgerrecht.

Auch wir deutschen Frauen dürfen uns die politische Ent­rechtung nicht länger bieten lassen. Sie lastet wie eine Schmach auf unserem Geschlecht in einer Zeit, in der in jedem denkenden Menschen das politische Interesse aufs

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an die Redaktion der Gleichheit, Berlin SW 68, Lindenstraße 3. Fernsprecher: Amt Morigplay 14838. Expedition: Stuttgart , Furtbachstraße 12.

äußerste gespannt ist, alles Persönliche hinter dem furchtbaren Ringen der Staaten und Völker versinkt und jeder im In­nerften die tiefe Verpflichtung fühlt, mit dafür zu wirken, daß die Menschheit endlich aus diesem vernichtenden Kampfe erlöst wird. Und in der Tat: jeder einzelne ist mitverant­wortlich für das grauenvolle Geschehen dieses Krieges. Es ist bequem, wie wir es in Deutschland gewöhnt sind, sich hinter dem Understand und den Mißgriffen der Regierung zu ver­schanzen, alle Schuld auf die Herrschenden abzuwälzen. Fallen ihnen auch die begangenen politischen Fehler unmittelbar zur Last, so doch mittelbar jedem von uns, der das Verfehlte ohne einen Versuch des Eingreifens geschehen ließ. Das kommt uns sonderbarerweise nicht immer zum Bewußtsein. In den kleinen Dingen des persönlichen Daseins würde nur der völlig Untüchtige anderen die Bestimmung über seine eigen­sten Angelegenheiten übertragen, in den großen politischen Fragen, die doch auf jedes Einzelschicksal den tiefsten Einfluß üben, begreift man durchaus noch nicht stets diesen Grund­saß der Selbstverantwortlichkeit. Aber der Krieg hat die Zu­sammenhänge des persönlichen Lebens mit dem staatlichen Dasein mit solcher Schärfe bloßgelegt, daß diese Lehre kaum je wieder ganz vergessen werden dürfte. Wir wissen nun, daß wir selber mit diesem vielen noch so unpersönlich fremd er. scheinenden Gebilde: dem Staat, unauflöslich verknüpft sind, daß wir Nahrung und Kleidung, Freiheit der Bewegung, ja die nackte Existenz hingeben müssen, wenn dieser Staat es fordert.

So manche Frau mag vielleicht meinen: Um so besser für das weibliche Geschlecht, daß es durch seine Rechtlosigkeit von der schweren Bürde einer politischen Verantwortung erlöst ist, die ihm die Mitschuld für so furchtbare Ratastrophen wie diesen Krieg aufgebürdet hätte. Das aber hieße nur, fich fel­ber seines vollen Menschentums begeben, sich selbst zum Skla­ven degradieren, der lieber passiv alles Leiden auf sich nimmt, als aktiv sein Schicksal mit zu lenken.

Wir Frauen müssen uns die Teilnahme am politischen und öffentlichen Recht erkämpfen, wollen wir uns als Men­schen je dem Manne gleichberechtigt fühlen.

Welche Wege stehen uns offen, um zu diesem Ziel zu ge­langen? Die weibliche Arbeiterschaft hat in den sozialdemo fratischen Parlamentariern eifrige Vertreter der Forderung des Frauenstimmrechts gefunden. Es ist diesen jedoch in Deutschland bisher nicht gelungen, auch nur einen Schritt näher zu dem erstrebten Ziel zu kommen. Auch sonst bekun­deten die sozialdemokratischen Frauen bisher schon ihren Wil­len, das Wahlrecht zu erobern. Ebenso besteht in der Welt der bürgerlichen Frauen seit den neunziger Jahren des vori­gen Jahrhunderts ein lebhafter Stimmrechtskampf, der sich in zwei großen Stimmrechtsvereinigungen konzentriert. Da­mit ist die Zahl der Stimmrechtsfämpferinnen indes noch längst nicht erschöpft. Fast alle bedeutenden wirtschaftlichen Frauenorganisationen, Verbände, in denen Hunderttausende selbständiger berufstätiger Frauen zusammengeschlossen sind, stehen auf dem Boden des Frauenwahlrechts und haben, gleich

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