6 Die Gleichheit Nr. l sie die Arbeiterpresse lesen und sich politisch wie gewerkschaftlich organisieren und sich dadurch für die kommenden Kämpfe vor­bereiten. In beiden Versammlungen fand eine kurze Diskussion statt, die sich im Sinne des Referats hielt. In Deutsch-Rasselwitz wurden 26 Mitglieder gewonnen, in Neustadt 4. Die Neustädter Genossinnen gelobten, wieder regelmäßig ihre Beiträge zu zahlen und unter den Mutlosen fleißig zu agitieren. Berta Lawatsch. Eine FrauenrrichSkonferenz der österreichischen Genossinnen ist zum 26. September nach Wien einberufen. Als vorläufige Tages­ordnung ist in Aussicht genommen: I.Beitragserhöhung und Werbe­arbeit. 2. Die vermehrten Pflichten der Frauen und ihr politisches Recht. 3. Wahl des Frauenreichskomitees. 4. Mehr Schutz den Frauen und Kindern. 6. Anträge und Anfragen. In der österreichischen Partei haben Bezirke und Kreise, in denen sich Frauenorganisationen befinden, das Recht, außer den zwei männlichen Delegierten auch ein weibliches Parteimitglied zu dele- . gieren. Die Wahl der Delegierten wird in den Parteiversammlungen oder Konferenzen oder Plenarsitzungen der wahlberechtigten Organi­sationen vorgenomnien. Das Frauenreichskomitee hat das Recht, zwei Delegierte zu entsenden, die Frauenlandeskomitees können eine Delegierte entsenden. _ Vom Fortgang des Frauenrechts Der Deutsche Frinienstimmrechtsbund hat an eine Anzahl Politiker die folgende Zuschrift gerichtet: Die aus dem Krieg geborene, vom Deutschen Kaiser in seinem Ostererlaß angebahnte Neuordnung des deutschen Staates zwingt seine mündigen Mitglieder, sich mit der Frage des allgemeinen, gleichen, geheimen und direkten Wahlrechts auseinanderzusetzen. Es dürfte eine ganz besondere Aufgabe der in den verschiedenen Bundes­staaten eingesetzten Verfassungsausschüsse sein, die Wahlrechtsfrage mit Einstellung zu diesem demokratischen Prinzip zu behandeln. Da aber selbst bei freudigem Bekennen zum demokratischen Wahl­recht von vielen Politikern nur an die eine Hälfte des Volkes ge­dacht wird, erlaubt sich der Deutsche Frauenstimmrechtsbund, an niaßgebende Politiker die Frage zu stellen: Ist ein Wahlrecht als ein allgemeines, gleiches, geheimes und direktes zu bezeichnen, das sich nur auf Männer bezieht?" Es ist für sozialdemokratische Politiker eine Selbstverständlichkeit, daß nur die völlige Gleichstellung der Frau mit dem Manne sowohl verlangten Beschränkung der Arbeitszeit, Schutz der Wöchnerinnen und Schwangeren, Verbot der Nachtarbeit, der Arbeit unter Tage, auf Hochbauten und an im Gange befindlichen Maschinen. Seitdem sind die Forderungen immer wieder eingebracht und erweitert wor­den. Vieles von dem, was erreicht wurde, ist durch den Krieg wieder vernichtet worden. Aber die Zahl der Fordernden ist ungeheuer ge­wachsen, und ihr politisches Verständnis ist reifer geworden. Lily Braun weist auf die ungeheure Bedeutung hin von August Bebels WerkDie Frau und der Sozialismus", worin zum erstenmal der notwendige Zusammenhang der Frauenfrage mit der sozialen Frage dargestellt und bewiesen wird, daß erst die wirtschaftliche Befreiung der Frau ihre Emanzipation vollenden könne. Mit dem politischen Interesse kam der Wunsch nach einem eigenen Organ, das im Jahr 1831 von Emma Ihrer unter dem TitelDie Arbeiterin" inS Leben ge­rufen wurde.Die Arbeiterin" wurde dann von Klara Zetkin weiter geleitet bis in unsere Tage mit dem TitelDie Gleichheit". Jetzt ist sie das Organ der Frauen, die der alten sozialistischen Partei treugebliebeu sind, und hat die Aufgabe, diese während des Krieges zusammenzuhalten, ihre Kraft zu stärken und immer mehr Frauen zum Kampf für den Sozialismus zu gewinnen. Lily Braun macht energisch Front gegen jede Nur-Frauenorganisation und bezeichnet es als eine Selbstaufgabe, wenn die Arbeiterinnenbewegung den Charakter der Frauenbewegung im bürgerlichen Sinn annimmt. Auch diese Warnung ist in jetziger Zeit beachtenswert. Ebenso sollte ihr Rat beachtet werden, daß die Arbeiterinnen aus dem Gefühl ihrer Kraft heraus ihren Einfluß überall zur Geltung zu bringen suchen, auch in der bürgerlichen Frauenbewegung.«Kein Frauenkongreß, keine die Interessen der Arbeiterinnen berührende Versammlung sollte vorübergehen, ohne daß der sozialistische Standpunkt propa­giert worden wäre." Daß noch heute in sehr vielen Sozialdemo­kraten in bezug auf die Frauenfrage der alte reaktionäre Philister steckt, wie Lily Braun beobachtete, sei nur nebenbei bemerkt. Das zweite Kampfmittel, die gewerkschaftliche Organisation, wurde den Arbeiterinnen im Jahr 1836 durch die Gründung der Zentral« lommission der Gewerkschaften gegeben, die schon durch die Auf­nahme einer Frau in den Vorstand ihren Standpunkt kennzeichnete. in bezug auf das aktive als auch auf das passive Wahlrecht das heutige einseitige Männerwahlrecht zum wirklichen allgemeinen und gleichen Wahlrecht gestaltet. Der Verein der liberalen Frauen von Grost-Berlin nahm in seiner Generalversammlung eine Resolution an, in der es heißt: Es ist dringend geboten, daß in Preußen die Schranken fallen, die einzelne Schichten des Volkes als Minderberechtigte von freier Mitwirkung am Staate ausschlössen. Nachdem die Staatsregierung selbst die Führung auf diesem neuen Wege ergriffen hat, wird es Aufgabe der Parteien sein, die Gleichberechtigung aller arbeitenden Stände in Stadt und Land sowohl in der Form des Wahlrechts als in der Zusammensetzung des Herrenhauses zum Ausdruck zu bringen. Wenn aber das neue Preußen seine alte Kraft und seine blühende Kultur bewahren und fortentwickeln soll, so ist unerläßlich, daß die Frau, die durch die tiefsten Bande mit der Zukunft ver­knüpft ist, die ihr gebührende Stellung als Bürger im Staate er­hält. Als ersten Schritt auf diesem Wege fordern wir das kommu­nale, aktive und passive Frauenwahlrecht. Nur ausgestattet mit diesem Rechte, werden die preußischen Frauen mitentscheidend sein in den großen Fragen der Bevölkerungspolitik, der Volksbildung, der Volks­sittlichkeit und Volksernährung." Warum beschränken die liberalen Frauen ihre Forderung auf das Gemeindewahlrecht? Die Mitarbeit der Frauen an der Gesetzgebung in Staat und Reich ist aus den gleichen Gründen notwendig wie ihre Mitarbeit an der Gemeindeverwaltung. Für daS Fraucnwahlrccht veröffentlicht Auguste Kirchhoff in derFrauenbewegung" einen ebenso klar durchdachten wie warm­herzigen Artikel, dessen Schlußworte lauten: Die aber, deren Schultern die schwersten Lasten tragen, die neben ihrem Hausfrauen- und Mutterberuf noch entstandene Lücken aus­füllen und doppelte und dreifache Arbeit leisten, die haben auch Werte zu geben für die Allgemeinheit. Deren Stimmen müssen vor allein in die Wagschale fallen, wenn es gilt, Wunden an unserem Volks­körper zn heilen und durch erweiterten Arbeiterinnen- und Mutter­schutz die Zukunft unseres Volkes sicherzustellen. Jeder fernere gewollte und bewußte Verzicht des Staates auf lebendige Kräfte, die sich ihm zur verantwortlichen Mitarbeit darbieten, bedeutet eine schwere Schädigung der ungeheuren Aufgaben, die sich riesengroß vor ihm auftürmen. Die Organisationsfähigkeit der Frau, die große Betriebe zu leiten hat, und die Sparsamkeit und Einteilsamkeit der Proletarierin, die täglich die schwere Kunst üben muß, mit wenigen Groschen hauszuhalten, die Erfahrungen der berufstätigen Frauen Auch die Zahl der gewerkschaftlich organisierten Frauen steht noch in keinem Verhältnis zu der Zahl der arbeitenden Frauen über­haupt. Indessen findet die Erkenntnis vom Wert der Organisation während des Krieges immer größere Verbreitung. Bei dem letzten Kampfmittel, der Genossenschaft, kommen für die Arbeiter die Konsum- und Baugenossenschaften in erster Linie in Betracht. Auch hierfür ist bei den Frauen daS Interesse nicht so groß, wie es wünschenswert wäre. Praktisch und theoretisch trat Lily Braun für die Verbesserung der Lage der Frauen ein. Zuerst war sie eine energische Vorkämpferin des Frauenstimmrechtö in der bürgerlichen Frauenbewegung. Sie forderte als eine der ersten das freie Vereins- und Versammlungs­recht der Frauen, aber ihre Forderungen wurden damals als zu radikal verworfen. Heute stehen sie als selbstverständlich auf dem Programm der bürgerlichen Frauenrechtlerinnen. Im Anschluß an die Sozialdemokratie trat Lily Braun für die Schaffung einer Zentral­stelle der Arbeiterinnenbewegung ein. Sie forderte als eine der ersten die Mutterschaftsversicherung und versuchte, HauShaltungSgenossen- schaften ins Leben zu rufen. Auch die Dienstbotenorganisation ist auf ihre Anregungen zurückzuführen. Bei derGleichheit" war sie eine Zeitlang eine der besten und eifrigsten Mitarbeiterinnen. Immer wieder hat sich die unermüdlich tätige Frau bemüht, auf den kul­turellen Wert der Arbeit hinzuweisen, insbesondere der Frauen- arbeit.«Ohne die Frauenarbeit kann die kapitalistische Wirtschafts­ordnung nicht bestehen und wird immer weniger ohne sie bestehen können. Die Frauenarbeit aber untergräbt die alte Form der Fa­milie, erschüttert die Begriffe der Sittlichkeit, auf denen sich der Moralkodex der bürgerlichen Gesellschaft aufbaut, und gefährdet die Existenz des Menschengeschlechts, deren Bedingung gesunde Menschen sind. Will die Menschheit sich nicht selbst aufgeben, so wird sie die kapitalistische Weltordnung aufgeben müssen." Wenn die sozialpoli­tische Gesetzgebung unbewußt den Weg zu diesem Ziel bahnt, so vermag sie wohl die Wirkungen der Lohnarbeit auf Frauen und Kinder abzuschwächen, wie sie durch Herabsetzung der Arbeitszeit, Sicherung von Minimallöhnen, Auflösung der Heimarbeit, Ver­sicherung gegen Arbeitslosigkeit den äußeren Motiven zur Prostituie-