Nr. 2
A. g. XIII
28. Jahrgang
Die Gleichheit
Zeitschrift für Arbeiterfrauen und Arbeiterinnen
Mit der Beilage: Für unsere Kinder
Die Gleichheit erscheint alle vierzehn Tage einmal. Preis der Nummer 10 Pfennig, durch die Post vierteljährlich ohne Bestellgeld 55 Pfennig; unter Kreuzband 85 Pfennig. Jahres- Abonnement 2,60 Mart.
Der Monat Oktober
gehört in diesem Jahre den Frauen. Eine ausgedehnte, weitgreifende Werbetätigkeit ist lange vorher sorgsam vorbereitet worden und sucht nun in den vier Wochen des Oktober überall in Deutschland ihre Aufgaben zu erfüllen.
Zahlreiche Werbeversammlungen finden statt, durch die viele Tausende von Frauen wieder einmal über die Ziele und Aufgaben der proletarischen Frauenbewegung unterrichtet und mit Wärme für sie erfüllt werden. In allen Versammlungen gelingt es, neue Mitglieder für die politische und gewerkschaftliche Organisation und neue Bezieherinnen für die„ Gleichheit" zu gewinnen.
Tausende und aber Tausende von Flugblättern und Aufklärungsschriften werden in diesen Wochen in die Hände
von Arbeiterfrauen und Arbeiterinnen gelegt, damit sie durch die Lektüre wenigstens vorübergehend von dem Druck des Strieges entlastet werden und wieder den Glauben an eine Zukunft gewinnen, in der zu leben und zu streben sich verlohnt. In unserer Tagespresse erscheinen in dieser Zeit zahl reiche wertvolle Aufsätze, in denen die Stellung der Frau im Krieg, ihre Bedeutung nach dem Krieg, die Pflichten und Rechte der Frauen, die neuen sozialen Aufgaben der Frauen in ein gehender Weise von sachverständiger Seite behandelt werden. So greift alles ineinander, um den Zweck des Werbemonats zu erreichen. Wo man bisher noch gesäumt hat, mit tatkräftiger Arbeit vorzugehen, tue man es sofort.
Als Ergebnis unserer Arbeit müssen wir zahlreiche neue weibliche Mitglieder und zahlreiche neue Bezieherinnen der „ Gleichheit" buchen können.
Auf ans Werk!
Zum Luthertag.
Von Dr. Paul Lensch.
B
Vier Jahrhunderte sind am 31. Oktober 1917 verflossen, seitdem Luther an die Schloßkirche zu Wittenberg seine Thesen gegen den Ablaß anschlug. Es war eine oft geübte Sitte, daß Universitätsprofessoren und Luther war Professor an der Universität Wittenberg - zur Erörterung schwieriger Probleme Leitfäße aufstellten und zu deren Diskussion den Gegner auf bestimmte Frist einluden. Außerlich war also Luthers Vorgehen durchaus das übliche Verfahren, und niemand war über den ungeheuren Erfolg seines Vorgehens mehr überrascht als Luther selber. Und doch rechnet man von jenem 31. Oktober 1517 den Beginn einer neuen Geschichtsepoche.
Zuschriften sind zu richten
an die Redaktion der Gleichheit, Berlin SW 68, Lindenstraße 3. Fernsprecher: Amt Morigplatz 14838. Expedition: Stuttgart , Furtbachstraße 12.
Es war die Geburt der freien Persönlichkeit gegenüber den mit unwiderstehlicher Gewalt ausgerüsteten Autoritäten des Mittelalters, die sich in der Reformation durchsetzte. Damit war das Ende des Mittelalters selber besiegelt, und die Epoche des Individualismus begann. Der durchschnittliche mittelalterliche Mensch war ein Herdenmensch. Im Denken, Fühlen und Glauben war er vom ersten Schritt an feste Autoritäten gebunden. Die Kirche regelte sein Tun und Lassen, wirtschaftlich unterstand er den Geboten der Zunft. Für eine freie Betätigung war kein Play. So glichen die Menschen einander, wie uns auch heute noch die Angehörigen unkultivierter Naturvölker vollkommen einander zu gleichen scheinen. Hieraus erklärt sich auch die Tatsache, daß in der Geschichte des Mittelalters so wenige Einzelpersönlichkeiten plastisch hervortreten. Als handelnde Straft erscheint schlechthin die unterschiedslose, aber wohlorganisierte Masse, in der jeder Teil dem anderen gleicht wie in der bewegten Meereswoge, wo ebenfalls kein Wassertropfen sich vom anderen unterscheidet.
Aber im vierzehnten und fünfzehnten Jahrhundert begann unter dem Einfluß großer wirtschaftlicher Umänderungen, geographischer Entdeckungen und technischer Erfindungen diese starre Geisteswelt sich zu zersetzen. Die Entstehung des Welthandels, das Erstarken der Kaufmannschaft, die Umwälzung der Verkehrswege, die Erfindung der Buchdruckerkunst, die Entdeckung Amerikas und des Seewegs nach Ostindien usw. schufen eine ganz neue geistige Atmosphäre. Die Bande des mittelalterlichen Familienlebens, der mittelalterlichen Genossenschaft, des mittelalterlichen Rechts begannen zunächst in den Kreisen des Großbürgertums zu zerreißen. Die Intelligenz und der Wagemut fingen an, sich zu regen. Die auf sich selbst gestellte Persönlichkeit galt, und alle materiellen Umstände einer neuen Zeit dienten ihrer Entwicklung. Im Gegensatz zu dem genossenschaftlichen Prinzip des Mittelalters trat jetzt der persönliche Egoismus als Triebfeder besonders im Handel hervor. Dazu kam die vollkommene Umwälzung des Weltbildes durch die großen Entdeckungen von Vasco da Gama und Kolumbus, nicht minder aber auch von Kopernikus .„ Vielleicht ist noch nie eine größere Forderung an die Menschheit gestellt worden," urteilt Goethe über das Aufkommen des Kopernikanischen Weltsystems, das die Erde aus dem Mittelpunkt der Welt in einen kleinen, beiläufigen Himmelskörper unter zahllosen anderen verwandelte,„ denn was ging nicht alles durch diese Anerkennung in Dunst und Rauch auf: ein zweites Paradies, eine Welt der Unschuld, Dichtkunst und Frömmigkeit, das Zeugnis der Sinne, die überzeugung eines poetischreligiösen Glaubens; kein Wunder, daß man dies alles nicht wollte fahren lassen, daß man sich auf alle Weise einer solchen Lehre entgegensezte, die denjenigen, der sie annahm, zu einer bisher unbekannten, ja ungeahnten Denkfreiheit und Großheit der Gesinnungen berechtigte und aufforderte."
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Diese Dentfreiheit und Großheit der Gesinnungen", die sich aus der geschilderten Umwälzung aller Verhältnisse ergab. konnte und wollte sich auch mit der alles regelnden Vormundschaft der Kirche nicht mehr abfinden. Die Rebellion der„ freien"