Nr. 3

A. g. XIII

28. Jahrgang

Die Gleichheit

Zeitschrift für Arbeiterfrauen und Arbeiterinnen

Mit der Beilage: Für unsere Kinder

Die Gleichheit erscheint alle vierzehn Tage einmal. Preis der Nummer 10 Pfennig, durch die Post vierteljährlich ohne Bestellgeld 55 Pfennig; unter Kreuzband 85 Pfennig. Jahres- Abonnement 2,60 Mart.

Stuttgart  

9. November 1917

Das Ergebnis des Parteitags. Ruhiger als wir es aus der Zeit vor dem Kriege gewöhnt waren, ist der Würzburger   Parteitag verlaufen. Spannende Auseinandersetzungen von dramatischer Wucht und Kraft hat es nicht gegeben. Die vorhandenen Meinungsverschieden heiten wurden ruhig und sachlich ausgetragen. Die Abstim mungsergebnisse zeigten durchweg eine weitgehende über­einstimmung des Parteitags in allen wichtigen und entschei­denden Fragen.

Wer in diesem Verlauf des Parteitags einen Mangel an innerer Beweglichkeit sieht, wer ihn gar als einen Rückschritt gegen die früheren Zeiten beklagt, täuscht sich über die Ur­sachen dieser Ruhe. Nicht fehlt es der Partei an der wohl tätigen inneren Reibung, die notwendig ist, wenn das Partei­leben nicht erschlaffen soll, im Gegenteil, auch in den Reihen der Mehrheitspartei gibt es zahlreiche und starke Meinungs­verschiedenheiten und Gegensäße. Lensch und David und Scheidemann   stimmen weder im ganzen noch im einzelnen völlig miteinander überein, von Hoch und Brandes ganz ab­gesehen. Aber es ist jetzt nicht die Zeit, diese Gegensäße aus­zutragen. Es liegt auch kein Bedürfnis dafür vor. Viel wich tiger als das, worüber sich die Mehrheitsanhänger zurzeit noch nicht einig sind, worüber sie sich aber später, zu gelegener Zeit, in aller Ruhe und Klarheit auseinanderseßen werden, ist das, worin sie sich alle gemeinsam zusammenfinden: ist die übereinstimmung in der Erkenntnis, daß zurzeit das vor­nehmste Gebot die Verteidigung des eigenen Landes ist. Ebenso fest werden sie außerdem zusammen­gehalten durch den entschlossenen Willen, in dem neuen Deutschland  , das aus diesem Kriege hervorgehen wird, die Bahn freizumachen für die Selbstbestimmung des Volkes, für die Demokratie und für einen Sozialismus der Tat. Gerade diese erfreuliche Einigkeit des Parteitags in den wichtigsten Fragen der heutigen Politik vermochte ihm auch die selbstsichere Ruhe zu verleihen, von der er von Anfang bis zum Ende getragen wurde. Vor der Spaltung der Partei wäre das nicht möglich gewesen. Die ehemaligen Genossen, die sich zur, unabhängigen" sozialistischen Partei zusammen­gefunden haben, stellten gerade diese beiden Hauptelemente der Mehrheitspolitik in Frage. Die Verteidigung des Landes anerkennen sie günstigstenfalls theoretisch, durch ihr politi sches Handeln wird sie aber auf das schlimmste gefährdet. An ein neues Deutschland  , in dem die Arbeiterklasse mit neuen politischen Mitteln, vor allen Dingen mit dem Mute der Ver­antwortlichkeit praktisch und positiv mitzuarbeiten hat, glau­ben sie nicht, es ist ihnen nur ein Gegenstand spöttischen Zwei­fels und zweifelnden Hohnes. Diese Gegensätzlichkeit in den Grundauffassungen gab den Parteiauseinandersetzungen bis zur Spaltung die unerträgliche Bitterkeit, die persönlich ver­legende Schärfe. Man sprach in zwei verschiedenen Sprachen, man verstand sich nicht.

Solange aber diese Tatsachen bestehen bleiben, so lange hat auch eine Wiedervereinigung der beiden feindlichen Teile

Zuschriften sind zu richten

an die Redaktion der Gleichheit, Berlin   SW 68, Lindenstraße 3. Fernsprecher: Amt Morigplag 14838. Expedition: Stuttgart  , Furtbachstraße 12.

keinen Wert. Der Parteitag hat sich bei den Debatten zum Vorstandsbericht fast ausschließlich mit den Anträgen beschäf­tigt, die die Anbahnung von Friedensverhandlun­gen mit den unabhängigen wollten. Ganz abge­sehen davon, daß es für unsere Partei nicht leicht ist, den ersten Schritt zu tun, nachdem es doch die anderen waren, die sich von ihr getrennt hatten und die seit der Trennung kaum eine andere politische Tätigkeit als die wilde Bekämpfung ihrer einstigen Kampfgenossen ausgeübt haben, welche Wir­kung würde die Wiedervereinigung in diesem Zeitpunkt haben? Keine andere, als daß die Partei wieder aufs neue in die unfruchtbaren, persönlich verbitternden inneren Aus­einandersetzungen hineingeworfen werden würde. Jede ein­zelne Frage würde wieder lediglich nach dem alten Schema erörtert werden, jede neue Auffassung und Durcharbeitung, wie sie die Zeit verlangt, würde erschwert und vielmals ge­radezu unmöglich werden. Wohl ist es zu verstehen, wenn aus Gründen des Gefühls die Wiedervereinigung versucht wird. Aber die Politik hat es mit harten Tatsachen zu tun und darf dem Gefühl nur einen bescheidenen Einfluß auf ihre Entscheidungen einräumen. Der Parteitag hat deshalb richtig gehandelt, wenn er zwar an sich in der Einheit der Ar­beiterbewegung das schöne, erstrebenswerte Ziel sah, aber die Einheit doch nur für möglich erklärte, wenn sich die Minder­heit in ihrem Handeln den Beschlüssen der Mehrheit unter­ordnet. Gegen dieses Grundgesetz demokratischen Handelns hat die Minderheit verstoßen. Möge sie sich vorbehaltlos zu ihm bekennen, so wird sie der Mehrheit wieder will­kommen sein.

War der eine Hauptteil der Verhandlungen des Parteitags mehr dem kritischen Rückblick auf die Tätigkeit der Partei während des Krieges gewidmet, so stand der zweite Teil im Dienste der Zukunft und ihrer mannigfal­tigen Aufgaben. Es liegt in der Natur der Sache, daß eine vorwärtsschauende Betrachtung von vornherein im Vorteil ist gegenüber einem Blick in die Vergangenheit. Die Zukunft liegt voller Hoffnungen vor uns, ihr Ruf lockt den gesunden und tatenfrohen Menschen zur Arbeit und zum Kampfe. Das zeigte sich auch in Würzburg  . Durch vier große Referate waren die wichtigsten politischen Aufgaben der Zukunft schon vorher in ihren Hauptlinien abgesteckt worden. Auf dem Parteitag selber hatte Genosse Scheidemann   die dankbare Auf­gabe zu erfüllen, in zusammenfassender Weise das Bekennt­nis der Partei zur bereitwilligen Mitarbeit bei der Lösung dieser Aufgaben auszusprechen. Scheidemann   hat seine Auf­gabe in glänzender Weise gelöst. Er verstand es meisterlich, in knapper Form und doch in klarer, unzweideutiger Weise die neue Taktik der sozialdemokratischen Partei zu entwickeln. Nicht nur in der Kritik wie bisher wird sie ihre Hauptarbeit erblicken, sondern im positiven Mitschaffen. Dabei wird sie auch nicht davor zurückschrecken, überall dort die Verantwor­tung zu übernehmen, wo sie es für geboten erachtet. Aber auch darüber ließ Scheidemann   keinen Zweifel, daß die deutsche Sozialdemokratie nach wie vor eine Kampfpartei