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Die Gleichheit

Profitsucht ist nur durch schärfste Zwangsmaßregeln zu be­kämpfen, die angewendet werden müssen, damit die Volks­ernährung sichergestellt wird. Gertrud Lodahl.

Säuglingsfürsorge.

über die am 24. November stattgefundene vierte preußische Lan­deskonferenz für Säuglingsfürsorge wird uns geschrieben:

Wir befinden uns im Sigungssaal des Preußischen Herren­ hauses  . Der Raum ist bereits besetzt, die Frauen scheinen in der Mehrheit zu sein. Unter ihnen herrscht die Schwesternhaube vor. Hier, wo sonst die geborenen" und ernannten" Volksvertreter sich Mühe gaben, das Rad der Zeitgeschichte in seinem Lauf zu hemmen, sitzt diesmal ein anderes Parlament, um über die Zu­kunft des Volkes zu beraten, es sind Männer und Frauen, die sich berufen fühlen, aus Erkenntnis und innerem Drange für den Schutz der Jüngsten Fürsorger und Wegweiser zu sein.

Kammerherr Dr. v. Behr- Binnow eröffnete die Sißung, Ministerialdirektor Kirchner war als Vertreter des Reichs­fanglers und des preußischen Ministers des Innern dort. Beide Herren konstatierten, daß die Säuglinge unter dem Kriege nicht gelitten hätten, die Sterblichkeit der Säuglinge habe abgenommen, die Reichswochenhilfe habe das Selbststillen der Mütter begünstigt und zeige in allem ihre wohltätige Wirkung. Von der preußischen Regierung werden für die nächste Zeit reiche Geldmittel zum Zwecke der Säuglingsfürsorge in Aussicht gestellt, für die Für­forgerinnen soll eine ihnen zukommende Stellung geschaffen wer den. Infolge des Rückganges der Geburten haben wir trotz der ver­minderten Säuglingssterblichkeit einen Bevölkerungsrüdgang.

Der erste Verhandlungsgegenstand war:" Die Bereitstellung der Heilbehandlung für Säuglinge und Kleinkinder der Krankenver­sicherten durch die Krankenkassen." Drei Referenten teilten sich in diese Aufgabe. Professor Dr. Krautwig( Köln  ) tritt ganz warm für den Schutz der Kleinkinder( 1 bis 6 Jahre) ein, welche durch den Krieg und die Frauenerwerbsarbeit besonders der mütter­lichen Fürsorge entbehren. Krankheit und Tod seien auch bei den Aleinkindern stark. abhängig von der sozialen Lage, ansteckende Krankheiten wie Masern, Keuchhusten, Scharlach und Diphtherie fordern in dieser Altersklasse sehr viele Opfer. 50 Prozent aller Kinder sollen bis zum Eintritt in das schulpflichtige Alter mit Tuberkulose infiziert gewesen sein. Hinter der Blutarmut unserer

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lich gleich einer Flamme in der Finsternis ein anderer Gesang aufstieg! Der kam vom anderen Ufer, und die Deutschen   waren es, die ihn anstimmten, der Choral Luthers  : Vom Himmel kam der Engel Schar,

Erschien den Hirten offenbar,

Sie sagten an: Ein Kindlein zart,

Das liegt dort in der Krippen hart.

Zu Bethlehem   in Davids Stadt, Wie euch die Schrift verkündet hat,

Dies Kindlein ist der Herr und Christ, Der euer aller Heiland ist.

Mit derselben Inbrunst wie wir unser Weihnachtslied sandten die rauhen Stimmen ihren Hymnus herüber, uns zur Antwort. Gewehr bei Fuß, schauernd haben wir unseren Feinden zugehört.

Dann wiederum Schweigen. Ein noch tieferes, absoluteres Schweigen, so schien es. Die beiderseitige Begeisterung ließ nach, und im Gedanken an unsere Angehörigen fühlten wir uns doppelt elend. Der zwiefache Gesang hatte unseren so verschieden gearteten feindseligen Nationalcharakter eindring lich scharf betont.... Plötzlich knallte ein Schuß durch die stille Nacht- und der Zauber dieser Stunde war gebrochen! Auf welcher Seite wurde er abgefeuert? Ich weiß es nicht. Ein zweiter antwortete, dann noch einer- und das Schießen hub wieder an wie vor Mitternacht. Die Kugeln zischten.

Silvesternacht 1915/16.

eztes Jahr hat wohl keiner gedacht, daß übers Jahr noch gegen seitig den Trost zugesprochen: Bevor die nächsten Silvester­glocken ertönen, werden die Friedensglocken geläutet haben."

Nr. 6

Kleinkinder lauert die Tuberkulose. Diese Volkskrankheit hat wäh­rend des Krieges zugenommen, die Kleinkinder stellen ihren An­teil zu den Opfern, darum ist eine gute Kleinkinderfürsorge zu= gleich die beste Vorsorge für die Zukunft. Reich und Staat müssen ganz andere Geldmittel zur Verfügung stellen wie bisher.

Der zweite Redner Geheimer Sanitätsrat Dr. Deppe( Leipzig  ) spricht nicht so glücklich, obwohl er für ein Vertrauensverhältnis zwischen Familie und Arzt eintritt. Wohl gibt er die Tatsache zu, daß die Kleinkinder besonders leiden, doch voran steht ihm: Für­sorge für Schwangere und Säuglinge, die er als Fundament der Bevölkerungsfürsorge überhaupt erklärt.

Ganz sicher ist dieser Standpunkt falsch, die beste Säuglingsfür­forge hilft den schußbedürftigen Kleinkindern gar nichts mehr, es besteht die Gefahr, daß ihre guten Wirkungen teilweise vernichtet werden durch Vernachlässigung späterer Aufgaben.

Herr Gräf( Frankfurt  ) spricht als Sozialpolitiker und aus seiner Erfahrung als Praktiker der Krankenversicherung  . Er weiß die Notwendigkeit einer vorbeugenden Tätigkeit der Krankenkassen vortrefflich zu begründen. Er wünscht ganz weitgehende Familien­krankenversicherung, die den größten Teil der Bevölkerung umfaßt und durch Gesetz eingeführt ist, weitgehende Freiheit der Orts­krankenkassen zu vorbeugender Tätigkeit, Zuwendung dement­sprechender Mittel durch Reich und Staat; freie Arztbehandlung, Lieferung der Medikamente, Heil- und Nährmittel und Gewäh­rung freier Kuren seien Vorbedingung. Hierbei seien Mutter und Kind bisher leer ausgegangen.

Ein Referat des Stadtrats Dr. Gottstein( Charlottenburg  ) soll in einer späteren Nummer besonders gewürdigt werden. Die Debatte zu beiden Vorträgen war lebhaft, die ganze Tagung zeigte aufs neue die großen, zukünftig noch zu lösenden Aufgaben auf dem Gebiet der Kinderfürsorge, zu deren Lösung die Preußische Landeszentrale für Säuglingsschutz" außer Ärzten und Sozial­politikern auch möglichst viele Frauen heranziehen sollte, nicht nur zur praktischen Arbeit als Fürsorgerin, sondern auch zum Mitwirken im Kreise der beratenden und beschließenden Körperschaft.

Aus unserer Bewegung

Der Wert des Frauenabends.

Schon immer haben die Genoffinnen das Bedürfnis nach beson­deren Frauenzusammenkünften gehabt. Aus verschiedenen Ursachen. Die große Zahl der Frauen hat sich im allgemeinen nicht viel um

Für uns war es weniger trostlos. Wir hatten sogar eine Kleine Weihnachtstanne angebrannt, um dem alten Jahre ein Schnippchen zu schlagen", wie Balt riet. Und Günter schrieb munter und sprach von Urlaub vielleicht Ende Ja­nuar. Köstliche Aussicht! Dann haben wir die beiden Brüder­wieder vereinigt, denn Balt ist noch lange nicht hergestellt. Heimlich sorgte ich mich sehr um ihn. Nun ist er in das schön gelegene Bergdorf abgereist, und wir hoffen viel von der Ruhe, der reinen Luft für seine aufgeregten Nerven. Möchte er dort auch vor allem den stärkenden Schlaf wiederfinden. Wie litt ich darunter, wenn ich ihn stundenlang in seinem Zimmer auf und ab gehen hörte in der Nacht, ruhelos, ge­quält. Oft bin ich zu ihm gegangen und habe versucht, ihn von den schweren Gedanken abzulenken, die ihn verfolgten und ihm den Schlaf raubten. Ich sprach von seiner und der Geschwister Kindheit, rief fröhliche Erinnerungen wach und brachte es oft dazu, ihn zu beruhigen. Vom Kriege zu sprechen, vermieden wir vor ihm soviel wie möglich. Aber neulich, bevor er abreiste, war er ganz besonders erregt. Ich hatte schon alles versucht und bat ihn schließlich es war mitten in der Nacht, während der Schneesturm an die Fenster schlug, eine Bartie Domino mit mir zu spielen. Willig setzte er sich zu mir, aber seine Augen behielten den finsteren, starren Ausdruck, und dann warf er plößlich die Steine hin, sprang auf, und es brach stöhnend aus ihm heraus: Könnte ich doch das Bild loswerden! Immer muß es vor mir auf­tauchen. Mutter, der Krieg ist etwas Furchtbares. Zu Mör­dern werden wir!"

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Ich sprach ruhig zu ihm, ich fühlte, jetzt durfte ich ihn nicht ablenken, jetzt brauchte er eine Aussprache. Vielleicht befreite es ihn. In dieser Nacht habe ich die Schrecken der Schlacht mit­erlebt. Erst das furchtbare Trommelfeuer, das ununter­