Nr. 8
Kinderreiche Mütter.
Die Gleichheit
Wir leben in einer Welt der Widersprüche. In einer Zeit, in der geradezu verschwenderisch mit Menschenleben umgegangen wird, steigt das Einzelleben am höchsten im Werte. Neicher Nachwuchs! ist eine der vielen Forderungen, die jetzt an das Volk gestellt werden. Berufene, aber noch viel mehr Unberufene glauben vor dem Volke das hagere Gespenst der ,, Entvölkerung" heraufbeschwören zu müssen. Ströme von Tinte fließen, und Berge von Papier fallen in dieser Zeit des Papiermangels der Frage der Geburtenbermeh rung zum Opfer.
Und doch: wer diesen Berg von Papier nach der Feststellung der wahren Ursachen des Geburtenrückganges durchforscht, der macht nur geringe Ausbeute. Höchst selten, daß die hier doch entscheidende Tatsache erwähnt wird: die ungleiche Verteilung der Lasten, die die Aufzucht der neuen Generation mit sich bringt. Soweit uns die Statistik über den Anteil der verschiedenen Bevölkerungsklassen an der Volfserneuerung unterrichtet, wissen wir, daß dieser Anteil mit dem Sinken des Einfommens steigt. Wir wissen, daß in den arbeitenden Schichten unseres Volkes die Familien mit hoher Kinderzahl außerordentlich zahlreich sind, während in den Kreisen in guten und glänzenden Lebensverhältnissen die kinderreichen Familien zu den Seltenheiten gehören. Und wir wissen aus dem täglichen Leben, daß die wirtschaftliche Kraft der Kinderreichen Arbeiterfamilien auch in Friedens zeiten schon restlos durch die Aufziehung der Kinder verzehrt wurde. Doch davon ist in den Schriften, die einer Erhöhung der Geburtenziffer so eifrig das Wort reden, wenig zu lesen. Eine Ausnahme macht ein Buch, das vor einiger Zeit im Verlag von Bagel in Düsseldorf erschienen ist. Der Verfasser Gottfried Stoffers, ein christlich orientierter Sozialpolitiker, Redakteur eines Düsseldorfer Zentrumsblatts, macht in dem Buche( ,, Kinderreiche Mütter") eine Anzahl von Vorschlägen zur Erhöhung der Geburtenziffer, von denen ohne weiteres zu sagen ist, daß ihre Durchführung im Gegen
Feuilleton
Was man einmal ist, das muß man ganz sein. Bodenstedt. ★
Jedes ausgesprochene Wort erregt den Gegensinn.
A
Goethe.
( Schluß.)
Inna, gelassen, weil im Innersten zerschlagen, nahm den Schlüssel und ging, während die übrigen sich zu ihren Koffern begaben, um dort vor einem Dreigroschenspiegel den Anzug zu vollenden, hastig in die Flachskammer, deren Fenster auf Schloßhof und Landstraße hinausgingen. Sie setzte sich, das Geficht gegen die Fenster gewendet, so, daß sie alle Fröhlichen, die aus dem Dorfe auf die Kirmse zogen, sehen und ihre munteren Gespräche hören konnte, an die Arbeit, die sie in dumpfer Emsigkeit begann und, wenn sie auch zuweilen in unbewußtes Hinbrüten versank, doch sogleich aus diesem, wie vor Schlangen- und Tarantelstich, schreckhaft auffahrend, mit verstärktem, ja unnatürlichem Eifer fortsette. Nur einmal während des ganzen langen Nachmittags stand sie von ihrem niedrigen, harten Blockstuhl auf, und zwar, als ihr Mitgesinde auf bequemem, von raschen Pferden gezogenem Leiterwagen den Schloßhof hinunterjagte, aber laut auflachend, wie zu eigener Verspottung, setzte sie sich wieder nieder und trank, obwohl sie in all der Hitze und all dem Staub durstig ward, daß ihr die Zunge am Gaumen flebte, nicht einmal den Kaffee, den ihr um vier oder fünf Uhr die alte Brigitte, die bei einer Gelegenheit wie die heutige für die Mägde das Haus zu hüten pflegte, mitleidig gebracht hatte. Als die Nacht
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wartsstaat schon an den finanziellen Voraussetzungen scheitern und daß den Menschen, die Herr Stoffers durch seine Vorschläge ins Leben bringen will, der nach dem Krieg einsezende Geldmangel den Eintritt in diese Gegenwartswelt der Unvollkommenheiten verwehren wird.
Aber das Buch ist in einer anderen Beziehung höchst bemerkenswert. Es zeichnet den Marterweg der kinderreichen Mütter aus der Arbeiterklasse. Der Verfasser läßt in seinem Buche die kinderreichen Mütter selbst zu Worte kommen.
Die Vereinigung für Familienwohl im Regierungsbezirk Düsseldorf " hat an 350 finderreiche Mütter im vorigen Jahr „ Ehrengaben" von je 100 Mark gespendet. Die Spende fiel Müttern zu, die mehr als sieben Kinder aufgezogen haben. Sie wird jedes Jahr ausgeteilt. So ist Stoffers in den Besitz der Adressen gekommen. Er hat sich dann an diese Frauen mit der Bitte gewandt, ihm etwas aus ihrem Familienleben zu erzählen, ihm insbesondere darüber Aufschluß zu geben, wie sie es fertiggebracht, so viele Kinder aufzuziehen".
Und Herr Stoffers hat Antwort bekommen, Antworten voll erschütternder Tragik:„ Auf Ihre werte Anfrage kann ich Ihnen versichern, daß es nicht zu beschreiben ist, wieviel eine finderreiche Familie aus dem Arbeiterstand durchzumachen hat." So leitet eine Mutter von zwölf Kindern ihren Brief ein. Dabei ist diese Familie als die eines Werkmeisters noch lange nicht am schlimmsten daran. Frau Sorge ist bei diesen Familien ständig zu Gaste. Sie weicht auch in normalen Zeiten nicht von ihren Schwellen. Es gibt kaum eine Plage, von der diese kinderreichen Familien nicht heimgesucht werden von ganz gemeinen Nahrungssorgen bis zu den kleinlichen, verbitternden Scherereien mit Hauswirten und Nachbarn, Polizei und Behörden.
,, Fast alle arm und unbemittelt" nennt der Verfasser die Mütter, mit einem arbeitstäglichen Einkommen von 6, 5, 4 Mark und weniger". Die kinderreichen Väter sind Bergleute, Taglöhner aus Stadt und Land, Handwerker, Unterbeamte usw. Bemerkenswert ist, daß fast aus allen Briefen die christlich gläubige Gesinnung der Schreibeallmählich hereinbrach, ging sie, ohne sich die wild ums Gesicht herunterhängenden Locken zurückzustreichen, in die Küche, wo sie, auf Brigittens freundliche Einladung, dort zu bleiben und eine leckere Pfanne voll gebratener Kartoffeln mit ihr zu verzehren, nichts erwidernd ein Licht aus dem Lichtkasten nahm und sich dann mit diesem, es mit darübergehaltener Hand vor dem Zugwind schützend, in die Flachsfammer zurückbegab. Nicht lange dauerte es, so klopfte es bei ihr ans Fenster, und als sie die Tür öffnete, trat Friedrich, über und über schwizend, mit Hast herein.
" Ich muß doch sehen," sagte er, fast außer Atem und sich die Weste aufreißend, sie flüstern allerlei!"
„ Du siehst!" erwiderte Anna schnell, dann aber stockend, und steckte ihren Busenlag, der sich etwas verschoben hatte, fest. ,, Dein Herr ist ein Hundsfott!" brauste Friedrich auf und knirschte mit den Zähnen.
Ja ja," sagte Anna.
„ Ich möcht' ihm begegnen, drüben am Abhang," rief Friedrich, o, es ist entsetzlich!"
Wie heiß bist du," sagte Anna, indem sie sanft seine Hand faßte, hast du schon getanzt?"
,, Wein hab' ich getrunken, fünf, sechs Gläser," versette Friedrich ,,, komm, Anna, zieh' dich an, du sollst mit, jedem Teufel zum Troß, der sich dreinlegen will." ,, Nein, nein, nein!" sagte Anna.
" Ja doch," fuhr Friedrich auf und legte seinen Arm m ihren Leib,„ doch!"
,, Ganz gewiß nicht!" erwiderte Anna leise, ihn innig um schlingend.
Du sollst, ich will's," rief Friedrich und ließ sie los. Anna ergriff, ohne etwas zu antworten, die Hechel und sah vor sich nieder.