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Die Gleichheit
rinnen hervorgeht. Trotzdem sind die wenigsten dieser Mütter mit ihrem Schicksal zufrieden. Die Stimmung der Mehrzahl kommt in diesem Notschrei aus einem der Briefe zum Ausdruck: ch bedaure jede Mutter, die viele Kinder hat. Wenn jede Mutter so durch dick und dünn muß, die viele Kinder hat, wie ich dadurch gemußt habe, so bedaure ich jede und preise jede Frau glücklich, die keine Kinder geboren hat, denn erstens ist sie mehr geachtet, und zweitens sind ihr schlaflose Nächte und der Hunger erspart geblieben."
Immer kehrt die Klage wieder, daß man in den Zeiten, in denen die Kinder noch nicht im erwerbsfähigen Alter gewesen, Hunger habe leiden müssen. Was das Hungern angeht, so ist wohl die Frau eines Bergmanns und früheren Bauarbeiters aus der Gegend von Mörs die Berufene, der Welt etwas zu erzählen. Sie hat achtzehn Geburten hinter sich und besitzt zwölf lebendige Kinder. Die Frau schreibt( das Buch gibt die Briefe in der ursprünglichen Fassung wieder):... Mein Mann... verdiente 9 bis 10 Mark pro Woche, und das reichte nicht weit und die Hauptnahrung bestand in Bellkartoffeln und Hering. Der Hering war alle Tage in anderer Form, einen Tag machte ich Salat davon, einen andern Heringstunke, den dritten gehackten Hering, den vierten gebratenen Hering oder ich kochte Wirsing ab oder Kopus machte denselben mit etwas Speck für einen Groschen an oder kochte Kartoffelmus diese machte ich mit etwas Milch und für 5 Pf. etwas Nierenfett an und Buttermilch dabei.... So ist es Jahrzehnte gegangen...."
Zu dem Hunger gesellen sich, wie gesagt, alle die anderen Plagen. Die schlimmste Unbill erfahren diese Familien als Mieter. Gibt es einen grausameren Hohn auf die Klagen über den Geburtenrückgang als die Tatsache, daß eine solche finderreiche Mutter ihre Kinderwochenlang versteckt hat? Eine Mutter, die dem Staat elf Kinder geschenkt hat, schreibt darüber: Ich ging in die dritte Wohnung und fragte an, jawohl können sie die Wohnung haben und hohlte schon ein Mietsbuch da kam der Mann und fragte mich, wie es geht und ob ich auch Kinder hät, ich war schon schlau
,, Willst du oder nicht?" drängte Friedrich und trat dicht vor sie hin.
,, Wie könnt' ich," entgegnete Anna, indem sie, ihm vertrauensvoll in die Augen sehend, ihre Hand auf das Herz legte.
,, Gut, gut!" rief Friedrich, du willst nicht? Gott verdamme mich, wo ich dich wieder seh'!"
Wie rasend stürzte er fort.
Nr. 8
und gab blos fünf an, gut ich bekam auch die Wohnung.... Als ich einzog hatte ich die anderen Kinder zu Verwandten getan bis zum Abend dann holten wir sie und auch eine Zeitlang haben wir sie versteckt gehalten bloß die in die Schule mußten, waren zu sehen. Aber eines Tages kam die Hausfrau rauf und gerade saßen die Kinder am Tisch da frug sie mich sind doch nicht alle ihr ich sagte nein von meiner Schwester sind auch welche dabei aber eine andere Frau hat es verklatscht und mir mußten schon von 4 Monat ausziehen so viel Kinder wollten sie nicht.... Also habe ich die fünfte Wohnung in sechs Jahren."
Eine Familie mit einer solchen Kinderzahl hat in sech 3 Jahren fünf Wohnungen, muß also durchschnittlich in jedem reichlichen Jahr einmal umziehen. Wir brauchen wohl niemanden, am allerwenigsten unseren Frauen, klarzumachen, was das heißt!
Wo bleiben nun diese Familien? Wie sind die Wohnungen beschaffen, die man ihnen überläßt? Nicht nur teuer und schlecht sind die Wohnungen, in die die kinderreichen Familien ziehen müssen. In den vorliegenden Briefen werden sogar Fälle angeführt, daß man in Häuser ziehen mußte, von denen eine Frau diese wahrhaft erschütternde Feststellung trifft: Hier dieses Haus steht nicht in gutem Ruf man muß sich schämen, daß man hier aus und ein geht."
Das alles ist schlimm, ist ergreifend. Aber das Elend in seiner furchtbarsten Wirkung enthüllt sich dem Leser in dem Brief einer Mutter mit dreizehn Kindern. Sie schreibt:„ Ich habe 13 Kinder und eine schwere Fehlgeburt gehabt. Ich war dann auch sehr elend dadurch geworden. Vor neun Jahren machte ich mir dann so viele Gedanken über die große Armut, und es kam dann noch so weit, daß ich den Verst and verlor und man mich nach Golfhausen bringen mußte.( Golfhausen ist die zuständige Irrenanstalt.) Die Ärzte glaubten, ich sei gänzlich unheilbar. Aber über Erwarten traf es doch ein. Ich wurde wieder gesund. Hoffentlich tritt nichts ungewöhnliches ein."
Da ertönten dumpf und schrecklich von nah und fern die Not- und Feuerglocken. Sie richtete sich halb auf, doch sah sie sich nicht um; aber über ihr war der Himmel blutrot und voll von Funken; eine unnatürliche Wärme verbreitete sich, bon Minute zu Minute zunehmend; Geheul und Gebrause des Windes, Geprassel der Flammen, Wehklage und Geschrei. Sie legte sich wieder der Länge nach am Boden nieder, ihr war es, als ob sie schlafen könne, doch schreckte sie im nächsten
Friedrich!" schrie Anna ihm nach, bleib' doch, bleib' einen Augenblick aus diesem, dem Tode ähnlichen Zustand die Rede Augenblick, horch, wie der Wind braust!"
Sie wollte ihm nacheilen, da streifte ihr Kleid das niedrig auf einen Eichenkloß gestellte Licht; es fiel herunter und entzündete den schnell in mächtiger Flammte auflodernden Flachs. Friedrich, von Wein und Zorn berauscht, zwang sich, wie dies in solchen Augenblicken wohl geschieht, ein Lied zit fingen, während er in die sehr unfreundlich gewordene Nacht hinausschritt; in wilder Lustigkeit drangen die wohlbekannten Töne zu Anna hinüber.
,, Ach, ach!" seufzte sie aus tiefster Brust.
Da erst bemerkte sie, daß die Kammer schon halb in Feuer stand. Mit Händen und Füßen schlagend und tretend, warf sie sich in die gefräßigen Flammen, die ihr heiß und brennend entgegenschlugen und sie selbst verletzten.
Dann rief sie Friedrichs Stimme verklang eben in weiter Ferne in einem letzten Hallo- ,,, ei, was lösch' ich, laß, laß!" und eilte, die Tür mit Macht hinter sich zuwerfend, mit einem gräßlichen Lachen hinaus, unwillkürlich den nämlichen Weg durch den Garten einschlagend, den Friedrich gegangen war. Bald aber, auf einer Wiese, die zunächst an den Garten stieß, sank sie kraftlos, fast ohnmächtig zusammen und drückte, laut stöhnend, ihr Gesicht ins kalte, nasse Gras. So lag sie lange Zeit.
zweier Vorübereilenden wieder auf, von denen einer ausrief: ,, Herr Jesus, es brennt schon im Dorf!"
Jeßt, mit Riesenkraft, raffte sie sich zusammen und eilte mit fliegenden Haaren in das hart an die brennende Seite des Schlosses stoßende Dorf hinunter, wo die leicht Fener fangenden Strohdächer bereits an mehr als einer Stelle in lichten Flammen aufschlugen.
Jmmer gewaltiger erhob sich der Wind, die meisten Ein⚫wohner, Kinder und alte schwächliche Personen ausgenommen, waren über vier Meilen entfernt auf der Kirmse; die elenden Feueranstalten hätten den zwei verbündeten furchtbaren Elementen ohnehin, auch wenn die nötige Mannschaft zur Stelle gewesen wäre, nur eitlen Widerstand leisten kön nen, es fehlte sogar, denn der Sommer war ungewöhnlich trocken, am Wasser. Unglück, Gefahr, Verwirrung wuchs mit jeder Minute; ein kleiner Knabe rannte umber und schrie:
,, Ach Gott , ach Gott ! mein Schwesterlein!" Und wenn man ihn fragte: Wo ist deine Schwester? so begann er, als ob er, jedes klaren Gedankens unfähig, die Frage nicht verstanden hätte, von neuem sein Entsezen erregendes Geschrei.
Eine alte Frau mußte mit Gewalt gezwungen werden, ihr Haus zu verlassen; sie jammerte: Meine Henne, meine arme kleine Henne," und in der Tat war es rührend anzu