Nr. 16
Die Gleichheit
Ausfall von etwa drei Millionen Männern zu rechnen haben, die für die Bevölkerungsvermehrung nicht mehr in Frage kommen. Rechnen wir den Geburtenausfall während der Dauer des Krieges noch hinzu, so ergeben sich Ziffern, die zu der ernsten Prüfung zwingen, mit welchen Mitteln die voraussichtlich enorme Verminderung der Geburten auf ein geringes Maß herabgedrückt werden kann.
Soweit die Bevölkerungsfrage eine gesundheitliche ist, wird vom Gesetzgeber versucht, der Prostitution und den Geschlechtskrankheiten auf den Leib zu rücken. Den Reichstag beschäftigt bekanntlich zurzeit ein Gesezentwurf, der dieser schlimmen Volksgefahr zu Leibe rücken will. Der mit der Vorberatung betraute Reichstagsausschuß für Bevölkerungspolitik hat bis jetzt ganz gute Arbeit geleistet; wenn der Widerstand der Regierung hinsichtlich des Behandlungszwanges der Geschlechtsfranken gebrochen wird, wenn es ferner gelingt, die Prostituierten aus den Fingern der Polizei zu entfernen, die Gefundheitskontrolle auf beide Geschlechter auszudehnen, dann dürfte man mit dem neuen Gesetz einverstanden sein.
Der zweite Gesetzentwurf zur Bevölkerungspolitik will die verschärfste Bestrafung der Verhinderung der Geburten. Und dieser kommt für die Zukunft der mittleren und unteren Bevölkerungsschichten besonders in Frage.
Die Paragraphen 218 und 219 des Strafgesetzbuchs ahn den das„ Verbrechen gegen das keimende Leben" mit Gefängnisstrafen. Man könnte die Motive des Gesetzgebers not dürftig verstehen, wenn er sich mit Strafandrohungen gegen die gewerbsmäßige" Abtreibung der Leibesfrucht wendet; aber er enthält einen direkten Angriff auf die Persönlich keitsrechte der Mutter, da die angeführten Paragraphen dieser vorschreiben wollen, ob sie in diesem oder jenem Falle ein Kind zur Welt bringen will oder nicht.
Nach dem ersten Paragraphen des Bürgerlichen Gesetzbuchs ,, beginnt die Rechtsfähigkeit der Person mit dem Tage ihrer Geburt". Ein Wesen also, das noch nicht geboren ist, kann auch feine Persönlichkeitsrechte nach den Bestimmungen des Strafrechts in Anspruch nehmen oder dulden. Die herrschenden Klassen aber, die jene Bestimmungen im Interesse der Volks
( Schluß.)
Feuilleton
Wer nicht mehr liebt und nicht mehr irrt, Der lasse sich begraben.
Zwischen Heimat und Feld.
Von Edgar Sahnewald.
Goethe.
( Nachdruck verboten.)
( uf einem Bummel durch die Stadt. Mir zur Seite mein Bruder, dem die Donner der Aisneschlachten noch durch die nächtlichen Träume sputen. Und so von ungefähr standen wir vor meinem Geburtshaus ein hohes, schmales Haus mit behäbig breitem Tor in einer der engsten Gassen der ältesten Neustadt. Aus dem Tore flutete breit und altväterisch ein kräftiger Ruch nach knarrenden Stiegen, nach gellenden, langhinschallenden Türklingeln am Drahtzug, nach blankem Messing und frischbackenem Brot. Und über der Tür blinkte das Handwerkszeichen der„ Bäckerei zur goldenen Brezel" matt im Laternenschimmer. Jm Nachbarhaus aber ein prachtvoller Wiz des Lebens-, Wand an Wand mit jener Stube, die meine ersten Schreie in die Welt widerhallte, näselte ein Grammophon hinter roten Gardinen, rot wie die Blume Brennende Liebe. Und eine schmaßend jappende Windfangtür entließ eben zwei fröhliche Sünder aus jenem Hause. Gehend henkten sich die beiden Schattengestalten ein und zogen singend ab:
Auf einem Bummel durch die Stadt. Mir zur Seite mein
-
Eine Schwalbe macht noch feinen Sommer, sum, sum, Wenn sie auch die erste ist, sum, sum; Mädchen, mach mir keinen Kummer, sum, sum, Wenn du auch die schönste bist, sum, sum,
Denn es jällt mir ja so schwer, auseinander zu gehn,
Wenn die Hoffnung nicht wär auf ein Wieder- Wiedersehn!
123
vermehrung geschaffen haben, tun so, als ob schon die Eizelle ein mit allen Hilfsmitteln der Strafjustiz zu schüßendes Persönlichkeitswesen sei, und greifen dadurch in die Persönlichkeitsrechte des Weibes ein, das unseres Erachtens ganz allein darüber zu bestimmen hat, ob es Mutter werden will.
Wir alle kennen die Wirkungen der§ 218 und 219 des Strafgesetzbuchs. Tausende von Frauen und Männern sind ihnen schon zum Opfer gefallen, und wir können, ohne ims der übertreibung schuldig zu machen, sagen, daß die deutschen Gefängnisse nicht zureichen würden, wenn alle jene nach dem Wortlaut des Strafgesetzbuchs bestraft würden, die sich der Abtreibung der Leibesfrucht schuldig gemacht haben. In der Praris stehen aber die Dinge so, daß 90 Prozent aller Straffälle jene Kreise berühren, die nicht zu den besigenden Klassen gehören. Es sind die Armen und wegen des unangenehmen Familienzuwachses Verängstigten, die in den Maschen des Gesetzes hängen bleiben. Die begüterte Frau oder die Eheleute aus den oberen Bevölkerungsschichten werden vom Strafrichter weniger bedroht, weil einmal hier die Denunziation feine so erhebliche Rolle spielt und weil ferner die„ bessere" Familie mit Hilfe ihrer materiellen Mittel oder ihres Hausarztes die unerwünschten Folgen des Beischlafs ohne Aufsehen beseitigen können. Die geringe Kinderzahl jener begüterten Kreise spricht für diese Auffassung, wie denn überhaupt die besitzenden Klassen von jeher wohlberechnet ihre Kinderzahl ihren materiellen Daseinsbedingungen anpassen. Die Frauen aus begüterten Streisen können sich in ihrem Haushalt und für die Kinderpflege alle möglichen Hilfsmittel und Hilfskräfte zur Verfügung halten, und dennoch empfindet diese Frau das viele Kinderkriegen als eine Last. Ein Kind, höchstens zwei oder drei sind in den Kreisen der Besitzenden die Regel.
Dieselben Herrschaften aber nun, die mit Hilfe ihrer Klassenvertretung in den Parlamenten den Staat beherrschen, wollen dem Weib aus dem Volke vorschreiben, daß sie jede Frucht des Leibes zur Welt bringen muß.
Die Proletarier sollen sich vermehren, das wehrfähige Volk muß zu Massenheeren heranwachsen, und je mehr Menschen die herrschenden Klassen ihrem Machtwillen untertan machen
Am Ende der Gasse blinzelte ein Schutzmannshelm- ein Horchposten der Ordnung.
Leise jankte die goldene Brezel in rostigen Angeln im Takte des davontrabenden Liedes.
*
Einmal, Sonntag war es, traten wir, mein Bruder und ich, in das Museum im alten Jägerhof.
Immer wieder, wenn ich es betrete, fühle ich dem alten, gütigen, gemütlichen Professor, der diese Dinge sammelte, die Freude darüber nach, daß er endlich dieses Gehäuse für seine Sammlungen fand der alte Jägerhof ist ja selbst ein Stück dieser Sammlung. Haus und Inhalt konnten sich nicht besser zusammenfinden.
-
Der Professor war selbst da. Er ging durch die Räume und besah schmunzelnd seine Schäße.
Die Gott sei's geklagt: wenigen- Besucher des Museums kennen den alten Herrn nicht, sonst müßten sie ihn anlachen zum Dank für sein Museum. Und er würde wahrscheinlich zurücklächeln mit seinem Gesicht eines alten milden Landpastors, in dem ein Schimmer jener leisen, feinen Buffonnerie eines Schauspielers alter Schule mitlächelt immer, wenn
-
ich das Feierabendlächeln des Professors sehe, muß ich an Liliencrons prachtvolle Verse denken, die zur Abschiedsvorstellung eines alten Herrn der Bühne gedichtet sein könnten: ... und langsam, gemach
Fährt der Siegeswagen ihm nach.
Ein stämmiges Frauenzimmer regiert
Mit der Linken des edlen Gespanne Geviert.
Wie der Knecht, der an Kumten und Strippen geboren, Knallt sie vom Stand aus dem Zug um die Ohren. Hinter ihr raschelt, am Ende der Muschel,
Ein ununterbrochenes Lorbeergetuschel.