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Die Gleichheit

Kriege war die Arbeitskraft der Frau im Wirtschaftsleben unent­behrlich, während des Krieges ist es überhaupt nur durch die Frauen­arbeit möglich gewesen, das Wirtschaftsgetriebe aufrechtzuerhalten und damit Deutschland   in den Stand zu setzen, den Krieg führen zu können bis hierher. Auch in der sozialen Kriegsarbeit wäre es unmöglich gewesen, ohne die Mitarbeit der Frauen auszukommen. Alle diese ungeheuren Leistungen nimmt die Regierung hin, erkennt sie mit lobenden Worten an und denkt im übrigen gar nicht daran, den Frauen nun auch ihre selbstverständlichen staatsbürgerlichen Rechte zu verleihen. Für die Frauen gilt das Wort: Schweigen und arbeiten. Auch die einzelnen Barteien haben durch den Krieg sich nicht belehren lassen, einen anderen Standpunkt zur Frage des Frauenwahlrechts einzunehmen. Das Zentrum behandelt sie zum Beispiel heute noch ebenso als reine Zweckmäßigkeitsfrage wie früher; es will sich den Weg offen halten. Ganz unverständlich sei es, daß der katholische Frauenbund, der während des Krieges so viel wert­volle soziale Arbeit geleistet habe, mit dieser Haltung einverstanden sei. Die sozialdemokratischen Parteien haben bisher den Kampf in der richtigen Erkenntnis geführt, daß es sich nicht nur um eine Frauensache, sondern um eine Volkssache handelt.

Frau Marie Stritt  - Dresden   sprach als Vertreterin des Stimm rechtsverbandes und führte vor Augen, wie wenig sich, abgesehen von einzelnen Persönlichkeiten und mit Ausnahme der sozialdemokra tischen Abgeordneten, die Vertreter des Volkes" überhaupt mit der Frage des Frauenstimmrechts befaßt hätten. Die meisten haben über­haupt keine Kenntnis von der Entwicklung und den Zielen der Bewegung. Überall in der kultivierten Welt hat sich das Frauen­stimmrecht den Weg gebahnt. In Europa   nicht trok, sondern wegen des Krieges. Aber es scheint, als ob sich Deutschland   hier wieder einmal vollkommen einkreisen lassen will. Doch auch in Deutschland  und Preußen wird die Entwicklung stärker sein als die Reaktion, und man wird auch den Frauen zumindest das Gemeindewahlrecht als Abschlagszahlung geben müssen, und dieses sei überall die Vor­stufe zum vollen Staatsbürgerrecht der Frau gewesen. Der Krieg habe den Beweis erbracht, daß gerade die Gemeinde die Mitarbeit der Frau nicht mehr entbehren kann.

Die dritte Rednerin, Fräulein Else Lüders   vom Deutschen   Frauen­stimmrechtsbund, trat in warmherziger Weise für eine großzügige Sozialpolitik ein. Der größte Schutz des Lebens sei Nationalpflicht geworden. Hierzu fei erforderlich: eine gründliche Wohnungsreform, Erweiterung des Arbeiterinnenschutzes und weitere Vervollkomm­nung der Versicherungsgesetzgebung. Der Krieg hat den Abscheu vor den Drohnen der menschlichen Gesellschaft geweckt. Darum ist notwendig die Eingliederung des ganzen werktätigen Volkes in das Staatsganze. Bum werktätigen Volte gehören aber auch die schaffen den Frauen. England hat die Konsequenzen gezogen, den Frauen das Wahlrecht gegeben und sich dantit beide Arme frei gemacht für die Zeit nach dem Kriege. Will Deutschland   zukünftig als Einarmiger arbeiten? Das ganze Bolt, Männer und Frauen, haben die Lasten getragen, und sie haben den Anspruch an ihr Recht.

In der Diskussion sprach als einziger Redner Landtagsabgeord neter Genosse Hirsch. Er wies darauf hin, daß den Frauen bald Gelegenheit werden könnte, selbst für ihre Rechte zu arbeiten, wenn der Preußische Landtag aufgelöst würde.

Dringend zu erhoffen ist es, daß überall die Frauen sich rühren, um den Regierungen und den maßgebenden Parteien zu zeigen, daß sie ernstlich gewillt sind, sich ihre Staatsbürgerrechte zu erkämpfen.

Die Frau im Beruf

Kriegsarbeit der Frauen in England. Ein vor kurzem er schienenes Buch Women War Workers" gibt in Berichten der Ver­treter der wichtigsten Organisationen eine sachgemäße übersicht über die gesamte Kriegsarbeit der Frauen in Großbritannien  . Auch hier haben sich die Frauen in nahezu jeden Beruf hineingefunden, teil­weise sogar an Stellen, die bei uns in Deutschland   noch ausschließ lich den Männern vorbehalten sind. Die großen Versicherungs­gesellschaften, die vordem mur männliches Personal beschäftigten, find jetzt fast ganz auf die Mitarbeit der Frauen angewiesen. Ein weiblicher Bankdirektor ist durchaus keine Seltenheit mehr, und viele Aktiengesellschaften haben weibliche Vorsitzende und Verwal­tungsratsmitglieder. Mehr als 3500 weibliche Organisationen ar beiten ausschließlich zu dem Zwecke, den gewaltigen Zustrom der Frauenarbeit in die rechten Bahnen zu lenken. Die erste dieser Organisationen war The Womens Service Bureau", das bereits im August 1914 zusammentrat. The Victoria League" heißt die Körperschaft im Mutterland, die die weibliche Arbeit in den Kolo= nien regelt und sich der Wohlfahrt der Kolonialtruppen widmet. Ein anderer Frauenverein The Vegetable Products Committee" hat

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einen Mitarbeiterstab von 10000 Frauen, die die Lazarette der Armee und der Marine mit Gemüse und Obst versehen und durch Einfluß­nahme auf die Lokalbehörden eine ausgedehnte Gemüsezucht in die Wege geleitet haben.

Freie Liebe   in den Nippon- Alpen  .

Abgesondert vom übrigen modernen Japan  , hoch und fern in dem blauen Gebirge Hidas, drei Tagereisen von der nächsten Bahn­station, liegt die Gemeinde von Shirakawa, ein reizvolles Gehöft, bestehend aus drei Niederlassungen: Mihoro, Nagase und Hirase.

Manche behaupten, der kleine Stamm von Shirakawa bilde einen direkten Abkömmling der Kriegsleute von Heiko, die in das Innere Japans   flüchteten, als ihre Dynastie 1185 über die Klinge springen mußte. Weder aus ihrer klassischen Kleidertracht, noch aus der ruhmreichen Tokugawaperiode würde man schließen, daß diese Japaner ursprünglich aus Kyoto   kommen, der einstmaligen Haupt­stadt des Landes der aufgehenden Sonne.

Die besseren Verkehrsmittel beginnen nun allmählich die Grund­lagen dieser sehr alten japanischen Gemeinschaft zu untergraben, und die Geschichte derselben dürfte bald zu den japanischen Wunderdingen gehören. Denn was dort noch besteht, dünkt wirklich ein Wunder. Die den Hintergrund bildende Landschaft ist echt japanisch, reiz­voll und schön. Der Baustil der einzelnen Wohnungen zeigt den vollen Zauber des alten japanischen Hauses, in dem die ganze Familie unter einem Dach versammelt ist, und zwar unter einem riesigen, traulichen, sicher schützenden Dach. Da ist das Haus der Familie Toyama  , ungefähr acht Meter breit und zwölf Meter lang und birgt eine Familie von 20 bis 30 Menschen. Die wenigen anderen Häuser, um dieses gruppiert mit dem feinen, angeborenen Geschmack der Ja paner für intime Architektur, beherbergen ebenfalls je eine Familie. Es gibt nur eine Hauptfamilie namens Dyaji. Dies ist ein japanisches Wort, das sich nicht gut übersehen läßt. Es bedeutet Meister, Haupt, alter Mann. Und wirklich ist der Dyaji aller Herr, und er ist auch aller Vater. Bis zur Erneuerung Japans   hatte er sogar das Verfügungsrecht über Leben und Tod der Seinen. Das Recht der Todesstrafe hat er seitdem abgeben müssen. Aber das Recht des Lebenserweckers ist ihm verblieben.

Die Bewohner der Dörfer sind alle Anhänger der Shinponsekte, der Buddhisten. In der Prachtkammer prunkt der Familienaltar; nur das Familienoberhaupt darf dort Gäste empfangen.

Die Frauen und Mädchen schlafen beisammen. Unter wohwollen­der Zustimmung des Dhaji darf sich die männliche Jugend zu diesen begeben. Am Tage arbeiten fie für ihn, sie müssen ihn in die Lage versetzen, zu leben, und nicht nur ihn selbst, sondern auch alle, die zu den Seinen" gehören. Sie sorgen für genügende Nahrung, für die Rohstoffe der gemeinsamen Kleidung, für die Kunstgegenstände, ohne die eine japanische Inneneinrichtung nicht denkbar ist. Wenn sie den gesonderten Reis für ihren Dhaji fein poliert haben, schenkt er ihnen seinen freundlichen Segen. Auch dürfen sie alsdann die Nacht in den Gemächern der Shirakawamädchen zubringen. Die anderen Männer des Stammes schlafen, wo nur ein Fleckchen ihnen das Ausbreiten ihrer Schlafmatte gestattet. Gewöhnlich liegen fie in den Räumen, in denen die Seidenraupen verlesen werden.

Die Auserforenen aber verbringen die süße kurze Nacht in diesen japanischen Liebestempeln zu. Im übrigen herrscht ein Liebes­verhältnis wie in den Zeiten der seligen Götter. Natürlich werden auch Kinder geboren. Es gibt Frauen bei diesem Hidabergstamm, die Mutter von sieben und mehr Kindern sind, deren jedes von einem anderen Vater stammt. Die Ungeseglichkeit ihrer Geburt stört niemand, weder Vater, noch Mutter oder Kind. Es ist einfach ein neuer Sprößling des Stammes. Der Dhaji stellt sich als Vater über es, von der Geburt ab ist er der Allvater, der Herr; als Familien­vater hat es ihm zu gehorchen und ihm zu dienen. Aber der wirk liche Vater eines jeden Kindes ist bekannt. Nie jedoch ist dies Ver anlassung zu Streitigkeiten. Der Dyaji herrscht, unter ihm ist auch die unverheiratete Frau heilig.

So wohnt drüben in den blauen Bergen Japans   ein lebendes Märchen. Für wie lange noch, da auch in diesem Wunderland eine immer größere Ernüchterung geschichtlichen Zauber verdrängt. F.Z.

Der Reiz des Familienlebens ist das beste Gegengift gegen den Verfall der Sitten. Wenn ein Geist gegenseitiger, inniger und lebhafter Zuneigung die Familienmitglieder aneinanderkettet, dann bilden die häuslichen Sorgen die liebste Beschäftigung der Frau und den angenehmsten Zeitvertreib des Mannes. Rouffeau: Emile", erstes Buch. Berantwortlich für die Redaktion: Frau Marie Juchacz  , Berlin   SW 68. Druck und Verlag von J. H. W. Diez Nachf. G.m.b.g. in Stuttgart  .