Nr. 18

A. g. XIII

28. Jahrgang

Die Gleichheit

Zeitschrift für Arbeiterfrauen und Arbeiterinnen

Mit der Beilage: Für unsere Kinder

Die Gleichheit erscheint alle vierzehn Tage einmal. Preis der Nummer 10 Pfennig, durch die Post vierteljährlich ohne Bestellgeld 55 Pfennig; unter Kreuzband 85 Pfennig. Jahres- Abonnement 2,60 Mart.

Stuttgart

7. Juni 1918

Der Wahlrechtskampf in Preußen. Von Paul Hirsch , Mitglied des Preußischen Abgeordnetenhauses . Der bisherige Verlauf des Wahlrechtskampfes bedeutet einen Sieg der preußischen Junker auf der ganzen Linie, zugleich aber auch die völlige Bankrotterklärung des Drei­klassenparlaments, überhaupt eine brauchbare Wahlreform zustande zu bringen. Was das Abgeordnetenhaus nach lang. wierigen Borberatungen in der Kommission und ausgedehn ten Plenardebatten in dritter Lesung zustande gebracht hat, ist, rein formell betrachtet, das Muster eines Gesetzes, wie es nicht sein soll. Es ist zwar in§ 1 gejagt, wer wahl berechtigt ist, und§ 2 zählt die Gründe des Ausschlusses bom Wahlrecht auf, aber an Stelle des§ 3, der in der ur­Sprünglichen Regierungsvorlage das gleiche Wahlrecht torsah, finden wir eine Lücke. Troßdem ist hinterher in § 25a die Rede von Zusaßstimmen, die die Kriegsteilnehmer auf Grund der§ 3b und 3d, das heißt der gestrichenen Bara­graphen, unter gewissen Voraussetzungen erhalten können. In diesem Torso von Gesetz kommt die ganze Hilflosigkeit der sogenannten preußischen Volksvertretung zum Ausdruck, die zum ersten Male, wo sie vor die Aufgabe der Durchführung einer wirklich großzügigen Reform gestellt ist, völlig versagt. Aber weit bedeutsamer als diese äußerlichen Formalitäten sind die materiellen Beschlüsse, die das Haus gefaßt hat. Da ist zunächst durch die Heraufsetzung der Altersgrenze von dem 24. auf das 25. Lebensjahr, durch die Vorschrift einer dreijährigen Staatsangehörigkeit und eines einjährigen Wohnsizes oder Aufenthalts in der Gemeinde der Kreis der Wahlberechtigten wesentlich eingeschränkt worden. Alle Ver­suche der sozialdemokratischen Fraktion auf Ausdehnung der Wahlberechtigung scheiterten an dem starren Nein der über­großen Mehrheit des Abgeordnetenhauses und der Regie­rung. Daß auch der sozialdemokratische Antrag auf Gewährung des aktiven und passiven Wahlrechts an die Frauen gegen wenige Stimmen abgelehnt wurde, versteht sich von selbst. Außer den 10 So­zialdemokraten beider Richtungen fanden sich nur noch die 12 Polen , insgesamt also 22 von 443 Abgeordneten, bereit, den Frauen das Wahlrecht zu geben. Konservative, Frei­tonservative, Nationalliberale und Zentrum wollen grund­fäßlich nichts vom Frauenstimmrecht wissen, die Fortschrittler find wohl in der Theorie dafür zu haben, aber in der Praxis bersagten sie unter dem nichtigen Vorwand, daß man die Vorlage nicht allzusehr belasten dürfe.

Wie auch immer die Reform schließlich aussehen wird, die Forderung der Gleichberechtigung der Geschlechter wird nicht wieder verschwinden. Eingedenk des Wortes unseres August Bebel : Spricht man von der Gleichheit aller Menschheit, dann ist es ein Unding, davon die Hälfte des Menschen geschlechts ausschließen zu wollen" wird die Sozialdemokratie im Parlament, in Versammlungen und in der Presse für eine Erweiterung der Rechte der Frauen kämpfen, und sie wird sich dabei der Hilfe aller derer bedienen, die mit Bebel

Zuschriften sind zu richten

an die Redaktion der Gleichheit, Berlin SW 68, Lindenstraße 3. Fernsprecher: Amt Morigplan 148 38. Expedition: Stuttgart , Furtbachstraße 12.

den Standpunkt vertreten, daß es keine Befreiung der Menschheit gibt ohne die soziale Unabhängigkeit und Gleich­stellung der Geschlechter.

Die Dreiklassenmänner freilich wollen nicht nur keine Gleichheit der Geschlechter, sondern auch keine Gleichheit des Wahlrechts desjenigen Teiles der männlichen Wähler, denen sie so gnädig waren, die Wahlberechtigung zuzugestehen. Diese Ungleichheit äußert sich einmal in der Verewigung der auf der Bevölkerungsziffer von 1858 beruhenden, das platte Land gegenüber den Städten begünstigenden Wahlkreisein­teilung, die nach dem Beschluß des Abgeordnetenhauses nur mit einer Zweidrittelmehrheit in jeder der beiden Kammern geändert werden soll, und zweitens in der Beseitigung des Kernstücks der Reform, des gleichen Wahlrechts.

Der Kampf um das gleiche Wahlrecht entbehrt nicht einer gewissen Komik, die allerdings schlecht in diese ernste Zeit hineinpaßt. In der Kommission war das gleiche Wahlrecht mit 19 gegen 16 Stimmen abgelehnt und durch ein pluto­kratisches Sechsstimmenwahlrecht ersetzt worden. Zu den konservativen und freikonservativen Gegnern des gleichen Wahlrechts hatten sich noch drei von den sechs Nationallibe­ralen gestellt, diese Partei hatte sich also selbst ausgeschaltet. Das Zentrum stimmte geschlossen dafür, es konnte sich dies Vergnügen leisten, da ja die Ablehnung sicher war. Anders im Plenum; hier kamen den Wahlrechtsfeinden etwa 25 Mitglieder der Zentrumsfraktion zu Hilfe, die teils offen gegen das gleiche Wahlrecht stimmten, teils durch Abwesen­heit glänzten, teils sich der Stimme enthielten. Die Folge war, daß das Verhältnis sich für die Wahlrechtsfreunde noch ungünstiger gestaltete, in zweiter Lesung wurde das gleiche Wahlrecht mit 183 gegen 235, in dritter Lesung mit 185 gegen 236 Stimmen abgelehnt.

Während das Plenum aber in zweiter Lesung das Sechs­stimmenwahlrecht der Kommission bestätigt hatte, versagte plötzlich in dritter Lesung der rechte Flügel der National­liberalen den Konservativen, mit denen er bis dahin durch dick und dünn gegangen war, die Heeresfolge, er war nur noch für ein Dreistimmenwahlrecht zu haben. So kam es denn, daß alles abgelehnt und überhaupt kein Stimmrecht beschlossen wurde. Würde die Vorlage in der Fassung dritter Lesung Gesez, woran allerdings nicht zu denken ist, so hätten wir in Preußen also ein Wahlrecht ohne Stimm. recht, und das Wort des Fürsten Bülow: Preußen in Deutschland , Deutschland in der Welt voran" wäre- aller­dings als politische Farce zur Wahrheit geworden.

So ist denn das Ergebnis der dritten Lesung ein völlig

unbefriedigendes, unbefriedigend für die Freunde des glei­chen Wahlrechts, unbefriedigend für die Gegner der Reform, unbefriedigend für die Regierung. Aber damit ist das Spiel nicht zu Ende, denn nach der Verfassung findet zunächst eine nochmalige Abstimmung im Abgeordnetenhause statt, die sich in den Formen der dritten Lesung vollzieht. Erfolgt dann auch nur die geringste Änderung, so geht wiederum frühestens nach drei Wochen eine neue Beratung vor sich. Erst wenn die