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Die Gleichheit

auch nicht alle so denken, so ist die Zahl derer nicht gering, die dagegen aufbegehren, daß ihr Gewinn in der Kriegszeit beschränkt wird. Das sind die Leute, die uns das Leben schwer machen, denn es ginge uns allen besser, wenn die Lebens­mittel gut verwaltet und gerecht verteilt würden.

Das ist das Prinzip, von dem aus die Sozialdemokratie in der Kriegswirtschaft sich leiten ließ; sie hat durch ihre Mit­arbeit manche Leiden gemildert und uns vor dem Schlimmsten, dem vollständigen Zusammenbruch bewahrt. Eine einwandfreie Lösung der Frage ist im kapitalistischen   Getriebe nicht mög­lich, das wissen wir als Sozialdemokraten sehr gut; Egois­mus und Gewinnsucht sind die Triebfräfte des kapitalistischen  Systems, und so entschieden wir den Kampf dagegen aufneh­men und das Gesamtinteresse des Volles in den Vordergrund stellen, wir gelangen zu keinem vollständigen und befriedigen­den Abschluß in der Lebensmittelversorgung. Falsch wäre es nur, aus dieser Erkenntnis die Mitarbeit in der Kriegswirt­schaft abzulehnen. Jede sachliche Kritik trägt ihren Nutzen, und da zur Erhaltung des Volkes auch die herrschenden Kreise ge­nötigt sind, die wilden Triebe des kapitalistischen   Systems, die der Krieg emporwuchern ließ, zu beschneiden, so sind wir mit unseren Bemühungen nicht ohne Erfolg gewesen. Besser kann es erst werden, wenn der Krieg zu Ende geht, die Zu­fuhr vom Ausland uns offensteht und die Landwirtschaft alle Hilfsmitte wieder zur Verfügung hat, um die Produktion auf die ehemalige Höhe zu bekommen.

Groß ist gegenwärtig schon unser Interesse an dem wirt­schaftlichen Aufbau Rußlands   und der abgetrennten russischen Staaten. Die russische Landwirtschaft könnte uns einen reich­lichen Zuschuß gewähren, wenn nicht bei den politisch un­flaren Verhältnissen leider die Aussichten auf eine baldige fräftige Entfaltung der landwirtschaftlichen Produktion und des Handelsverkehrs so unsicher wären, daß die Hoffnung, von dort eine wertvolle Hilfe zu erlangen, nicht gehegt werden kann. Es ist möglich, daß es im kommenden Erntejahr besser wird, aber vorläufig bleibt dieser Faktor in unserer Lebens­mittelversorgung unsicher. Wir sind mithin zunächst auf unsere eigene Produktion angewiesen, aber auch auf eine gute Dr­ganisation der Verteilung.

Die restlose Erfassung der Produktion und eine Verteilung unter Berücksichtigung besonderer Ansprüche für Schwerarbeiter, Wöchnerinnen, Kinder, Jugendliche und Kranke, das muß auch in Zukunft die Richtschnur unseres Handelns sein; jedes Ab­weichen von diesem System kann die Gefahr nur vergrößern.

Die Stunde der Mütter!

Die Kanonade von Verdun   grollt in mein spätes Wachen. Die Nacht geht strahlend ihren gelassenen Gang. Verkühlt die Starken und fröstet die Schwachen Und singt den Toten den gewaltigen Grabgesang. Jch aber zerteile die sternende Hülle, Die eisig über der Erde schwingt,

Und steige hinab zu der Müffer erhabener Fülle, Die den Tod mit neuen Geburten bezwingt.

Und alle die Mütter verbinden sich ganz in eine, In die Mutter, die in einem Stalle Chriftus gebar. Und Maria wird eine Mutter wie meine, Mit Arbeiterhänden und sorgengebleichtem Haar. Mütter der Welt! in dieser wühlenden Stunde, Die feurig über den Erdball kreist, Seid ihr der Strom im bebenden Grunde, Der die zerrissenen Adern mit neuem Blute speift. Mütter der Welt! in der Stunde der brennenden Schmerzen, Die klagend den ganzen Erdball umstöhnt, Seid ihr die großen, heiligen Herzen

Und habt uns alle als Brüder versöhnt.

Mar Barthel.

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Politische Umschau

Nr. 21

Die Ernährung wird im letzten Monat des alten Wirtschafts­jahres immer schwieriger. Zu der Kürzung der Brotration kommt die Herabsetzung der Kartoffelration. In Berlin   werden nur noch 3 Pfund pro Kopf und Woche verabfolgt, wovon die Hälfte schlecht ist. In verschiedenen anderen Orten gibt es seit Wochen keine Kar­toffeln; Ersatz soll in Mühlenfabrikaten gegeben werden. Es ist bringend notwendig, daß der Wirtschaftsplan nicht nur immer bis zu den großen Ferien, sondern für 12 Monate festgelegt wird, da es leider dem größten Teil der städtischen und industriellen Bevölke­rung nicht möglich ist, 4 bis 5 Wochen aufs Land zu gehen und dort durchzuhalten". Ab 1. August wird der Brotpreis um 3 bis 5 Bf. erhöht werden. Das erscheint den maßgebenden Stellen wahr­scheinlich eine Kleinigkeit, aber für die Schichten der Bevölkerung, die mit dem Groschen rechnen müssen, ist diese Maßnahme unge­heuerlich. Den Landwirten wird die Frühdruschprämie von 60 Mt. pro Tonne auf 120 Mt. erhöht. Ausgleichende Gerechtigkeit!

Gewissen Kreisen ist es sehr ärgerlich, daß Brot, Kartoffeln und Politik in einen Topf geworfen werden sollen. Aber die Vorgänge in Österreich   haben zur Genüge gezeigt, wie die Zusammenhänge find. Hätte die österreichische Regierung die Großgrundbesiger in Böhmen   und Ungarn   etwas energischer gezwungen, Getreide und Kartoffeln abzuliefern, dann hätten diese Herrschaften zwar nicht so schönen Kuchen essen können, aber der Wiener   Arbeiterschaft wäre es erspart geblieben, mit 630 Gramm Brot die Woche auskommen zu sollen und der Regierung wäre wohler. Deutschland  , das selbst nichts hat, hat mit 5000 Tonnen Brotgetreide aushelfen müssen. Die innere politische Lage war seit Wochen gespannt, durch den Gegensatz zwischen der deutsch  - bürgerlichen Regierung des Ministeriums Seidler und dem Polenklub. Das Ministerium Seidler ersuchte um seine Entlassung. Kaiser Karl   lehnte die Demission Seidlers ab, beauf­tragte ihn mit der Neubildung des Ministeriums und wünschte so­bald als möglich die Einberufung des Reichsrats. Die Polen   lehnen aber Herrn b. Seidler auf alle Fälle ab, die Deutschbürgerlichen bestehen demgegenüber auf seinem Bleiben im Amte, und zu ihnen gesellen sich jetzt die Ukrainer  . Den Tschechen ist die Person gleich, sie lehnen die Staatsnotwendigkeiten ab. Die Einberufung des Reichsrats wird unter diesen Umständen leider immer mehr hinaus­gezögert. Zu den inneren Schwierigkeiten kamen die der äußeren Lage., Die Ausführungen, welche der ungarische Ministerpräsident Wekerle über den Rückzug an der Piave machte, lassen es verständlich wer den, wenn der Friedenswille sich immer dringender äußert. Zwar wurde hinterher die Verlustzahl von etwa 100 000 Mann an Kranken, Verwundeten und Toten und 12000 Gefangenen als zu hoch demen­tiert, aber das Bild dieses sechstägigen Kampfes bleibt furchtbar. Der Generalftreit in Budapest   ist gescheitert.

In Deutschland   gab es einige Friedenshoffnungen; wie weit fie heute noch berechtigt sind, läßt sich nicht sagen. Nachdem Herr v. Kühlmann dementiert hatte, daß er über Holland   einen Friedens­fühler nach England ausgestreckt habe, brachte die konservative Kreuzzeitung" einen Artikel: Friedensoffensive", welcher der diplo­matischen Verhandlung das Wort redete und merklich von den all­deutschen Annerionsplänen abrückte. Die holländischen Abgeordneten Dresselhuys, Koolen und Rutgers brachten einen Antrag ein, worin fie die Ansicht vertraten, daß der Zeitpunkt gekommen sein dürfte, wo ein neutraler Staat einen Vermittlungsversuch unternehmen könne. Aus England flangen Ministerreden herüber, die noch immer auf den Ton des Siegenmüssens gestimmt waren, die aber dennoch die Aussicht auf eine Annäherung boten. Unsere französischen Ge nossen verlangten die Bekanntgabe der Friedens- und Kriegsziele. Die englische Arbeiterpartei, welche am 26. Juni ihre Jahresversamm lung hatte, lies hierzu Einladungen an die Genossen Troelstra  ( Hol­ land  ) und Branting  ( Schweden  ) ergehen. Genosse Troelstra   ersuchte, in dem Bestreben dem Frieden zu dienen, eine Verständigung mit den österreichischen und deutschen   Sozialisten; deutscherseits nahm Genosse Scheidemann an der Unterredung mit Troelstra   teil. Plötz­lich wurde aber Troelstra von der englischen   Regierung der Paß berweigert und dadurch der so notwendige Gedankenaustausch zwischen organisierten Arbeitern der feindlichen Ländern durch eine neutrale Persönlichkeit unterbunden. Im umgekehrten Falle würde wieder behauptet worden sein, daß Deutschland   den Frieden verhindern wolle. Die Verhandlungen auf der Jahresversammlung der eng lischen Arbeiterpartei ergaben, daß auch die Arbeiterführer zu einem Frieden, wie sie ihn wünschen, den Sieg als Vorbedingung ansehen. Der politische Burgfrieden wurde aufgehoben und das Verbleiben der acht Arbeitervertreter in der Regierung für zulässig erachtet. Der Vollzugsausschuß wurde von 16 auf 24 erhöht, wovon die