Nr. 21
Die Gleichheit
Mehrzahl Sozialisten find, womit die Friedensströmung etwas ver stärkt sein könnte. Der erste Präsident der russischen Republik , Kerensti, nahim an der Jahresversammlung teil. Er bereist die Ententeländer. Am 24. Juni hielt der Staatssekretär v. Kühlmann im Deutschen Reichstag eine Rede, welche die Friedensbestrebungen einen guten Schritt vorwärts zu bringen geeignet waren, indem er erklärte, daß das Kriegsende durch militärische Entscheidungen allein nicht zu er reichen sei, daß vielmehr von allen Seiten versucht werden solle, diplomatische Verhandlungen anzubahnen. Auf die Konservativen wirkte dieses Bekenntnis zur Vernunft sehr erregend, und Graf Westarp gab denn auch dem großen Unwillen der Eroberungspoli tifer beredten Ausdruck. Leider sah sich der Reichskanzler am fol
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wird deutscherseits gemeldet, daß die russische Schwarzmeerflotte sich unter deutscher Kontrolle befinde. Eine letzte Reutermeldung aus London sagt, daß deutsche Kriegsgefangene Jrkutsk besetzt hätten, das würde heißen, daß sie für die bolschewistische Regierung kämpfen. Die Bestätigung dieser Meldung bleibt abzuwarten. Auf dem ersten Kongreß der Kriegskommissare, welcher am 7. Juni in Moskau stattfand, erklärte sich Trozky für die Wehrpflicht, anstelle der Freiwilligteit. Zwischen Rußland und der Ukraine wurde am 26. Juni eine volle Verständigung erzielt. Alle Streitfragen sollen in Zukunft durch ein Schiedsgericht erledigt werden. Klara Bohm- Schuch.
genden Tage veranlaßt, dem Grafen Westarp entgegenzukommen, Die Frauenarbeit in der Übergangswirtschaft.
und Herr v. Kühlmann schwächte seine Worte vom Tage vorher selbst sehr ab. Aber holländische Stimmen meinen, daß nach dieser Rede ein Vermittlungsversuch der Neutralen mehr als je am Playe sei, und auch der Vatikan sieht sie als einen Schritt zur Verstän digung an. Unseren Standpunkt hat der Genosse Noste am 26. Juni im Reichstag gut und klar dargelegt.
Am 19. Juni wurde in London die politische Zentralisation zwischen England und seinen Kolonien vollzogen. Wirtschaftlich fühlten sich die riesigen Kolonialreiche Englands absolut eins mit den Interessen des Mutterlandes, weil England Beherrscher der Meere ist. Daher auch die vollständige Teilnahme an dem euro päischen Krieg. Nun ist auch die politische Bindung erfolgt, indem die Kolonien teilnehmen an der Regierung. Zur Frenpolitik erklärte Lord Wimborn am 20. Juni im englischen Oberhaus, daß in Jrland ein Militärregiment eingeführt sei, dessen Aufrechterhaltung 80000 Mann erfordere. Daily News" schrieben nach dem„ Vorwärts":„ Abgesehen von militärischen Erwägungen ist die heutige Lage Jrlands eine Parodie auf alle Beteuerungen, die Vorkämpfer der Gerechtigkeit und Freiheit in diesem Kriege zu sein." In Amerika hat die Frenpolitik Mißstimmung ausgelöst; natürlich ist nicht zu erwarten, daß die Jren von dort Hilfe zu erwarten hätten.
Aus dem Osten wurde unter dem 19. Juni der Sieg der Gegen revolution in Westsibirien gemeldet; gleichzeitig berichteten die Zeitungen, daß sämtliche in englischen und amerikanischen Häfen liegenden russischen Schiffe beschlagnahmt seien. Rußland protestierte gegen die Einmischung der Entente; die Entwicklung der Dinge in Sibirien ist auf das Konto der Entente zu sehen. Aus Washington tam die Nachricht, daß die Entente Japan zur Intervention in Sibirien aufgefordert hätte, Japan habe jedoch abgelehnt. Inzwischen
( Schluß.)
Feuilleton
Blumen find an jedem Weg zu finden,
Doch nicht jeder' weiß den Kranz zu winden. A. Grün.
[ Nachdruck verboten.]
Am 20. und 21. Juni fand in Berlin eine gemeinsame Tagung des Bundes Deutscher Frauenvereine und des ständigen Ausschusses zur Förderung der Arbeiterinneninteressen statt, um sich mit der Frage der Frauenarbeit in der übergangswirtschaft zu beschäftigen. Wie die Vorsitzende einleitend betonte, mußten wegen Mangel an zuverlässigem Material zwei wichtige Punkte von vornherein ausscheiden: die Frauenarbeit in der Landwirkschaft und die schädigenden Wirkungen besonderer Berufe auf den Organismus der Frauen. Jedoch solle diesen beiden Fragen auch in Zukunft bie größte Aufmerksamkeit gewidmet werden. Die verschiedenen Verbände aller Richtungen hätten sich zusammengefunden, um daran zu arbeiten, daß vorausschauende Sozialpolitik die Härten mildere, welche für die arbeitende Frau mit der übergangswirtschaft verbunden sein werden, und um die Frauen, welche durch den Krieg in fremde Geleise geworfen wurden, wieder in geordnete Verhältnisse zurückzuführen. Natürlich dürfe über der Zukunft nicht die Gegenwart vergessen werden, deren erste Forderung nationale Verteidigung heiße. Die Stellungnahme der Beranstalter sei durchaus privat, wenn auch die Rednerinnen zum Teil Referentinnen am Kriegsamt seien. Das Kriegsamt behalte sich seine Stellungnahme zu den zu erörternden Fragen vor.
Fast jede der nun folgenden Referentinnen hielt es für notwendig, zu betonen, daß die Bedürfnisse der Kriegführung in erster Linie zu berücksichtigen seien; dahinter müsse jede andere Forderung zurücktreten. Fürchtete man, unsere Regierung könnte der Heeresleitung in den Arm fallen, um das Leben der für den Krieg schaffenden Frauen zu erleichtern? Oder wollte man diese Frauen anfeuern? Das war unnötig, denn sie waren einmal nicht da, zu
beide scheu umgehen, nicht auszusprechen wagen sie es, dies inhaltschwere Wort: wird der Bub das Lezte sein?
Nur fein Kind mehr! Um alles in der Welt kein Kind mehr! Es müßte vielleicht einst hungern und darben! Viel lieber ungeboren sein, denn solch eine Batengabe mitzukriegen ins Leben!
Nie wird sie ausgesprochen, diese Frage; und doch so schnell beantwortet.
Eines Tages, noch ehe der Bub recht laufen kann, findet Karl Färber, als er des Mittags von der Arbeit heimkehrt,
Draußen heult und tobt ber vintersturm, in ihren Bethen ſein Weib mit verweinten Augen am Herdfeuer ſtehen, er
schlafen friedlich die vier Kleinen, im warmen Stübchen sigen die Ehegatten wieder in trauter Harmonie beisammen, beratend, sorgend wie immer. Mit neuem Mut sehen sie wieder hoffend in die Zukunft! Es wird schon noch alles gut werden.
Freilich, die Nähmaschine darf nicht mehr länger stillstehen. Karls Fleiß allein vermag die Not nicht mehr zu bannen. Immer steht sie lauernd auf der Schwelle, stets bereit, hineinzuschlüpfen ins Färbersche Heim, sich dort behaglich niederzulassen, um so bald nicht wieder zu gehen. Hinter ihr steht grinsend der Hunger, ihr getreuer Begleiter.
Das ist ein zähes Ringen, ein aufreibender Kampf mit den beiden düsteren Gesellen. Martha hätte etwas stärkende Rost so sehr nötig und muß doch von Tag zu Tag die Suppen verlängern, die Kartoffeln einem jeden in den Mund zählen. Die Brotschnitten sind längst schon kleiner geworden, der Appetit um so größer. Und dennoch verzagt sie nicht. Sie muß Sieger bleiben.
Immer hoffend, vertrauend auf ihre Arbeitskraft schmiedet sie schon wieder Zukunftspläne. Nur an eines wagen die Ehegatten nicht zu rühren. Eine bange Frage ist es, die sie
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weiß es, er braucht nicht einmal zu fragen nach dem Grund -die Verzweiflung, die aus Marthas Augen spricht, sagt ihm alles: jetzt ist es Gewißheit das Fünfte es wird kommen! So war denn alles Ringen umsonst. Und von dem Tage an haben sie beide das Lachen verlernt. Schwer wie ein Alp legt sich's auf die Gemüter. Nicht einmal rechnen tun sie mehr. Es nust ja alles nichts.
Mag denn kommen, was da kommen will.
Mit der Zeit aber rüttelt der fortwährende Anblick von Marthas elender, ausgemergelter Gestalt Karl Färber aus feinem Stumpfsinn. Alle Kraft nimmt er zusammen, um ihr tröstend beiseite zu stehen. Nichts läßt er unversucht, sie zu erheitern, aufzurichten. Längst schon hat er sich, so schwer es ihm auch geworden, das Rauchen abgewöhnt, für die wenigen Groschen, die ihm geblieben, bringt er ihr kleine Erfrischungen mit, die sie jedoch wieder bis auf einen kleinen Bruchteil unter die Kinder verteilt. Mit wehem Lächeln sieht sie dann zu, wenn sie mit Jubel darüber herfallen.
Immer bedenklicher wird Marthas Zustand. Oft muß sie tagelang das Bett hüten. Wird sie es diesmal austragen? hat sie die Kraft dazu?