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Die Gleichheit
gruppe Groß- Berlin zu einer Kundgebung zusammen. Als Vorstzende des Reichsausschusses war Frau Julie Bassermann anwesend. Namens der Frauengruppe Groß- Berlin führte Frau Klara Mende den Vorsiz. Außer mehreren nationalliberalen Parlamentariern wohnten auch Staatsminister Dr. Friedberg der Versammlung bei, Frau Klara Mende führte in ihrer Begrüßungsansprache aus, daß die Frau aus ihrer politischen Untätigkeit heraustreten müsse. Das Programm der nationalliberalen Frauenorganisation stimme mit dem Gesamtprogramm der Nationalliberalen Partei überein. Ihr Ziel sei nicht politische Arbeit gegen den Mann, sondern mit ihm zusammen. Auf dieser Grundlage aber fordere die nationalliberale Frauenorganisation völlige politische Gleichberechtigung mit dem Manne. Sie sei aber selbstverständlich bereit, Parteidisziplin zu wahren. Im besonderen verfolge die nationalliberale Frauenorganisation die Biele der Mittelstandspolitik, die besonders in der Zeit nach dem Kriege ihre volle Bedeutung gewinnen werde. Im Anschluß an diese Begrüßungsworte sprach dann der Reichstagsabgeordnete List über die politische Lage. Er trat mit aller Entschiedenheit für die Einführung des gleichen Wahlrechts in Preußen ein, die er im Zusammenhang mit der ganzen politischen Lage als eine deutsche Frage behandelte.
Das alles ist echt nationalliberal! Nicht warm und nicht falt, nicht Fisch und nicht Fleisch! Die nationalliberalen Frauen sind für Gleichberechtigung, aber wenn die Männer sie nicht wollen, so fügen sie sich aus Disziplin! Die nationalliberalen Männer sind zur Hälfte für das gleiche Wahlrecht, zur anderen Hälfte dagegen, beide Hälften aber sind gegen das Frauenwahlrecht. Nur nichts Klares und Ganzes!
Bei den dänischen Wahlen Anfang Juli ist eine Frau, und zwar eine Sozialistin, gewählt worden.
Kleine Mitteilungen. Die politische Kommission des Vereins Frauenwohl Groß- Berlin( Ortsverein des Deutschen Frauenstimmrechtsbundes) hat in einem Schreiben an diejenigen Parteien, die für das gleiche Wahlrecht in Preußen eintreten, die Erklärung abgegeben, daß sie und ihre Gesinnungsgenossinnen sich, falls eine Auflösung des Abgeordnetenhauses stattfindet, ganz in den Dienst der Parteien stellen wollen, um auch ihrerseits zur Wahl derjenigen beizutragen, die für das gleiche Wahlrecht als Kandidaten aufgestellt werden. Der Verein Frauenstimmrecht, Ortsverein des Deutschen Frauenstimmrechtsbundes und der Verein Frauenwohl und der Sozialdemokratische Verein für Frauen und Mädchen in Breslau überreichten eine Petition durch eine Deputation, die vom Oberbürgermeister Matting empfangen wurde. Die Petition spricht die Erwartung aus, daß der Magistrat und die zuständigen gesez gebenden Körperschaften darauf hinwirken werden, daß das Stimm recht für Frauen baldigst in den Kommunen eingeführt werde.
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Der Rat der Stadt Leipzig hat beschlossen, daß Frauen als Pflegerinnen in die Armendistrikte nicht nur aufgenommen wer den können, sondern aufgenommen werden müssen. Ferner sollen sie als volle stimmberechtigte Mitglieder in den Ausschuß für Jugendfürsorge, den Schulausschuß, den Ausschuß für das Fachund Fortbildungsschulwesen und den Ausschuß für die höheren Schulen Aufnahme finden. In anderen Ausschüssen sollen nach Bedarf Frauen hinzugezogen und gutachtlich gehört werden. In In Osterreich sind die ersten Ministerialbeamtinnen ernannt worben und zwar die beiden Konsulentinnen für Frauenarbeit im Mini sterium für soziale Fürsorge, Fräulein Lemberger und Dr. Alma Seiß. Jm ungarischen Wahlrechtsausschuß wurde die Bestimmung liber das Frauenwahlrecht mit 11 gegen 9 Stimmen abgelehnt. Graf Tisza stimmte dagegen. Eine Anzahl seiner Anhänger nahmen ben Paragraphen an, welcher jedoch mit zwei Stimmen Majorifät abgelehnt wurde. Im Entwurf der Verfassung des polnischen Staates ist das Wahlrecht der Frauen nicht berücksichtigt worden. Die Mehrzahl der Minister war für die Verleihung des aktiven Wahlrechts an jene Frauen, die Gymnaftalbildung besigen oder selb Ständig ein Unternehmen führen: aber der Regentschaftsrat lehnte bas ab, um die Lage für den Landtag nicht zu komplizieren. Sturier Bolsti" glaubt jedoch, daß die Frage des Frauenwahlrechts den Landtag beschäftigen wird. Die englische Arbeiterpartei hat im Wahltreise Stourbridge die erste weibliche Kandidatur zum Unter hause aufgestellt. Die Bewerberin ist Miß Mary R. Macarthur. Sieben verschiedene Wahlkreise hätten sich Miß Macarthur zur Ver fügung gestellt, deren Kandidatur von sämtlichen männlichen Ges werkschaften einstimmig unterstützt wird. Miß Mary Macarthur ist die Sekretärin des Nationalverbandes arbeitender Frauen und des Verbandes der Frauengewerkschaften. Sie ist am 13. August 1880 geboren und mit William E. Anderson, einem Unterhausmitglied, verheiratet. Sie hat in Glasgow und in Deutschland studiert.
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Ein Protest.
Nr. 21
Der Deutsche Frauenstimmrechtsbund und der Deutsche Frauenausschuß für dauernden Frieden ersuchen uns um den Abdruck des folgenden Protestes, dem wir uns sachlich völlig anschließen:
Die vorgenannten Organisationen erheben energischen Einspruch gegen den Inhalt eines in Berlin erschienenen„ Merkblattes" zur Drganisation eines Heimatheeres deutscher Frauen". Was hier als Pflicht jeder deutschen Frau" bezeichnet wird, bedarf der strengsten Nachprüfung durch die Frauen.
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Punkt 3 bezeichnet als solche Pflicht:" In der Öffentlichkeit, in Straßen, Stadt- und Untergrundbahnen, an Schaltern und in Warteräumen, in Volks- und Mittelstandsküchen, in Theatern usw. jeder flaumacherischen Außerung entgegenzutreten.( Es wird sich dabei empfehlen, jeden auffeimenden Unwillen durch Hinweis auf den wahren Schuldigen der Kriegsbeschwerden, den Vielverband, hinzulenken.)"
Frauen mit Verantwortlichkeitsgefühl müssen diesen Rat energisch zurückweisen. Abgesehen von der Unmöglichkeit, die Schuldfrage dadurch zu lösen, daß man über den Gegner das„ Allein Schuldig" ausspricht, wird kein Gerechtdenkender die Kriegswucherer im eigenen Land auf Kosten der Feinde von der Mitschuld an den Kriegsbeschwerden freisprechen können. Außerdem ist es nicht Mission der Frauen, Ol in die Flammen des Völterhasses zu gießen, sondern Brücken zur Verständigung zu bauen.
Aufs schärfste aber wenden wir Frauen uns gegen
Punkt 5:„ Klagen und Gerüchte, die besonders geeignet sind, die Stimmung nachteilig zu beeinflussen, zur Kenntnis der Kriegsberatungsstelle zu bringen, besonders flaumachende Personen festzustellen und namhaft zu machen."
Wir Frauen sehen in der Aufforderung an„ Tausende deutscher Frauen", in ihren Reihen ein ausgedehntes Spigel- und Denun ziantenwesen zu organisieren, eine unerhörte Beleidigung unseres Geschlechts, eine erniedrigende Zumutung, die man dem Manne nicht bieten würde und die in schreiendem, Widerspruch steht zu all den schönen Worten, mit denen man im Kriege die Frauen überschüttet hat.
Wir sehen aber auch die große Gefahr für unser Vaterland. Es gab eine Zeit, da galt in deutschen Landen der Spruch:
„ Der schlimmste Mann im ganzen Land Das ist und bleibt der Denunziant."
Werden jetzt die Dinge auf den Kopf gestellt, wird Denunzieren zur patriotischen Tat, so liegt darin die Gefahr einer Storruption, bie weit über den Krieg hinaus ihre unheilvollen Streise zieht. Berzicht auf die Vornehmheit und Lauterkeit der Gesinnung bedeutet Preisgabe der besten und edelsten Kräfte unseres Boltes. Unsicher heit und gegenseitiges Mißtrauen werden die erstrebte Einigkeit und Brüderlichkeit zunichte machen und jede freie Meinungsäußerung und damit jede Entwicklungsmöglichkeit im Keim ertöten.
Aus diesen Gründen erheben wir Frauen lauten Protest dagegen, zu solchen Dingen unsere Hände zu leihen. Wir lenken die Blide der maßgebenden Stellen auf diese Verirrungen mit dem Ersuchen, um der Würde der Frauen, um der Zukunft unseres Volkes willen diesem Treiben mit allen gesetzlichen Mitteln Einhalt zu tun.
Ein Fortschritt.
Kurz vor Redaktionsschluß erfahren wir, daß die deutsche Frauenbewegung einen kleinen Fortschritt zu verzeichnen hat: sie hat„ nichtamtlich" Fühlung mit der obersten parlamentarischen Vertretung Deutschlands , mit dem Reichstag , genommen. Am 4. Juli hatten Mitglieder des Bevölkerungsausschusses aus allen Parteien mit Vertreterinnen der Frauenbewegung aller Richtungen eine Aussprache über die beiden bevölkerungspolitischen Gesezent würfe, die der Ausschuß zurzeit berät. Anwesend waren unter anderem Frau Marie Stritt - Dresden ( Bund deutscher Frauenvereine ), Frau Katharina Scheven- Dresden( Abolitionistische Föderation), Gräfin Münster( Evangelische Frauenbewegung), Frau Juchacz und Frau Wally Bepler( Sozialdemokratische Frauenbewegung), Frau Luise Bieg( Unabhängige Sozialdemokraten); außerdem waren zwei weibliche Arzte, Fräulein Dr. Wygodzinsti und Frau Dr. Baum, anwesend. Die Aussprache, über die wir noch berichten, dauerte mehrere Stunden und verlief sehr anregend.
Verantwortlich für die Redaktion: Frau Marte Juchacz, Berlin SW 68. Druck und Verlag von J. H. W. Diez Nachf. G.m.b.H. in Stuttgart .