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Die Gleichheit
zur Wehr zu setzen, die ihre ureigensten Angelegenheiten berühren und doch ohne ihre Befragung und Mitwirkung zustande gekommen sind: die Verhütung von Geburten und die Unterbrechung der Schwangerschaft sind keine Angelegenheiten, die eine rein männlich orientierte Gesetzgebung lediglich durch am grünen Tisch ausgeflügelte Paragraphen zu ,, regeln" hat. Beide berühren Leib und Seele der Frau an ihrer empfindsamsten Stelle, beide greifen tief in das elementarste Recht ihrer Persönlichkeit ein.
Mögen die Frauen, besonders die Arbeiterfrauen und Arbeiterinnen, die nächsten Monate zu einer lebhaften Bewegung benußen, durch die sie einerseits sich selbst über die Gesetzentwürfe und ihre Gefahren aufklären, durch die sie andererfeits aber zugleich dazu beitragen, daß die Gesezentwürfe bei ihrer legten und endgültigen Beratung im Plenum des Reichstags entweder ganz abgelehnt oder doch ihrer gefährlichsten Bestimmungen entfleidet werden!
Wes ist der Erdenraum? Wes ist der Erdenraum? Des Fleißigen. Wes ist die Herrschaft? Des Verständigen. Wes sei die Macht? Wir wünschen alle, nur des Gütigen, des Milden. Rach' und Wut verzehrt sich selber. Der Friedselige bleibt und errettet. Nur der Weisere soll unser Vormund sein. Die Kette ziemt den Menschen nicht und minder noch das Schwert.
Ein Friedensgruß über den Ozean.
Herder.
Dem Deutschen Frauenstimmrechtsbund ist dieser Tage folgende Resolution der Nationalen Frauenpartei der Vereinig ten Staaten zugegangen:
„ Da die Stimme deutscher Frauenorganisationen, welche nach brücklich in ihrem Vaterlande ihre politischen Rechte fordern, bis au uns gedrungen ist und durch die ganze Welt schallt, würdigen wir, in einer Massenversammlung zu Chifago vereinigten Frauen, ihren tapferen Schrei um Gerechtigkeit, einen Schrei, der nicht erstickt werden soll in allem Getöse dieses schreckens vollen Kampfes der Welt.
Wir begrüßen ihre Kundgebung für eine Demokratisierung, da fie vielleicht ein heilbringendes Ergebnis dieser Jahre entnervenden Kampfes, Jammers und Opfers bedeutet, und wir wünschen, daß diese Außerung der Sympathie irgendwie zu ihnen gelangen möge."
Die Resolution wurde am 24. Januar gefaßt. Es hat also fast ein halbes Jahr gedauert, bis der Wunsch, diese Auße rung der Sympathie möge irgendwie nach Deutschland gelangen, in Erfüllung gegangen ist. Worte der Abneigung und der Kriegsheye finden rascher ihren Weg von drüben nach hüben und umgekehrt!
Eine Todesanzeige.
Genofsin Anna Blos schreibt über die vielen Todesanzeigen, die jetzt täglich die Zeitungen füllen. Immer wieder fehren die gleichen Wendungen.
„ Und doch fand ich dieser Tage eine Anzeige, die anders fautete als die vielen, die in den langen Kriegsmonaten erschienen. Es gehörte Mut zu diefer Anzeige. Vielleicht mutete fie deshalb so besonders rührend an:
Nach zweieinhalbjährigen Kämpfen verschied nach sechzehntägigem Strantenlager in einem Kriegslazarett in Frankreich mein lieber Bräutigam, der treue Vater meines Kindes. Mit ihm ging ein treues Herz von uns, das wir nie vergessen werden. Unterzeichnet war der Name der Braut mit ihrem Töchferchen Trudchen. Eine ganze, traurige Geschichte spricht aus dieser Anzeige. Das Paar hatte wohl keine Möglichkeit, sich
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friegstrauen zu lassen. Vielleicht hatten hartherzige Eltern die Heirat nicht dulden wollen, vielleicht sollte die Heirat bei dem nächsten Urlaub stattfinden. Der Fall an sich ist ja nicht vereinzelt. Daß die Braut aber den Mut fand, sich öffentlich zu dem Verstorbenen zu bekennen, das ist ein seltener Fall. Niemand soll glauben, daß er seine Pflichten an ihr und ihrem Kinde zu erfüllen versäumt hat. Sie rühmt sein gutes, edles Herz, den treuen Vater des Kindes. Das Kind trägt den Namen des Vaters nicht, aber diese Mutter wird dafür sorgen, daß sein Andenken dem Kinde heilig ist. Vielleicht gibt es auch heute noch Sittenrichter, die an dieser Anzeige Anstoß nehmen. Vielen wird es aber doch vielleicht gehen wie mir, die das Schicksal dieser unverheirateten Mutter erschüttert und die den aufrechten Mut bewundern, mit dem sie sich zu dem toten Bräutigam bekennt."
Eine wichtige Sigung.
Am 4. Juli war eine Anzahl von Frauen im Reichstag, um Mitgliedern des Reichstagsausschusses für Bevölkerungspolitik ihre schweren Bedenken gegen die vorliegenden bevölkerungspolitischen Gesezentwürfe vorzutragen. Es waren anivesend: Frau Marie Stritt * und Dr. Marie Kaufmann, Spezialärztin für Haut- und GeschlechtsKrankheiten, vom Deutschen Verband für Frauenstimmrecht, Katha rina Scheven von der Abolitionistischen Föderation( Internationale Organisation zur Bekämpfung der staatlich reglementierten Prostitution), die Genosfinnen Wally Zepler , Dr. Martha Wygodzinſki und Marie Juchacz von der Sozialdemokratischen Partei, Luise Zietz von der Unabhängigen Sozialdemokratie und Frau Gräfin Münster, Frau Nikolai und Frau Gerken- Leitgebel vom Evangelischen Frauenbund und der Evangelischen Frauenhilfe. Von den Mitgliedern der Reichstagsfommission waren zehn Herren, Bertreter aller Parteien, anivesend.
Es war eine eigene Situation: Frauen mit grundverschiedenen Weltanschauungen faßen sich gegenüber mit geübten Barlamentariern der verschiedensten Barteirichtungen, um diesen die Unzulänglichfeit und Rückständigkeit des geplanten Gesetzentwurfs gegen die Verhinde rung der Geburten darzulegen!
Die Frauenstimmrechtlerinnen und die Sozialdemokratinnen haitent sich auf gemeinsame Abänderungsvorschläge zu dem Gefeß geeinigt, die Frau Stritt mit eingehender Begründung vortrug. Nach diesen Vorschlägen soll sich das Gesetz beschränten auf das Verbot der Anpreifung und des Verkaufs von Mitteln und Gegenständen zur Beseitigung der Schwangerschaft sowie des Anbietens von darauf ge= richteten Diensten, wenn auch in verschleierter Form, ferner auf das Verbot der Herstellung, Einführung und des Verkaufs gesundheitsgefährdender Mittel und Gegenstände zur Verhütung der Empfängnis, auf das Verbot des Hausierhandels und der Automaten. Die fozialdemokratischen Frauen hatten sich diesen Vorschlägen angefchloffen aus der ganz richtigen Erwägung, daß sie hier dem festen Willen des Gesetzgebers zur Schaffung eines solchen Gefeges gegenüberstünden und deshalb das Mögliche zu erreichen fuchen müssen. Wohl bietet zu den vorgeschlagenen Verboten das Bürgerliche Gesetzbuch auch heute schon die nötigen Handhaben. Der Kern des Gesetzes besteht aber in dem Verbot unschädlicher empfängnisverhütender Mittel, die von Frauen ange= wendet werden können. Und gerade gegen dieses ganz unbegründete und unberechtigte Verbot war der energische Protest der Frauen gerichtet.
Die einzelnen Rednerinnen begründeten ihre Forderungen und Bedenken mit fulturellen, ethischen, sozialen, gesundheitlichen und politischen Gründen, fie gaben ihrer Ansicht Ausdruck, daß das Gesez in der geplanten Form nicht zu einer gesunden Bolksvermehrung beitragen, wohl aber die an sich schon hohe Zahl der friminellen Aborte vermehren werde. Den Frauen der besitzenden Schichten stünden trog des Gesezes weiter die Wege offen, sich vor der Empfängnis zu schüßen. Den Frauen der mittleren und unterent Vollsschichten, die sich vielfach aus sozialen und gesundheitlichen Gründen vor zu großem Kinderreichtum schützen müßten, brächte das Gesez physisches und moralisches Elend. Luise Bieg, als Sprechein der unabhängigen sozialdemokratischen Frauen, wandte sich gegen das Gesetz als Ganzes, Gräfin Münster gab umgekehrt für die Frauen vom Evangelischen Frauenbund die Erklärung ab, daß sie