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Die Gleichheit
Einzelschicksal handle, solle Einzelfürsorge eintreten. Vor allen Dingen aber muß der armenpolizeiliche Geist vermieden werden. Die Fürsorge muß vom Reich ausgehen, um die Verschiedenheiten zu beseitigen. Die Fragen der Kostenaufbringung, der Trägerschaft und der Durchführung sind zu lösen. Die Zuständigkeitsfrage muß klar sein, ebenso darf keine Unklarheit über den Kreis der Unterstützungsberechtigten herrschen. Ausführende seien am besten Arbeitsnachweise und Arbeiterorganisationen, auf keinen Fall die Armenbehörden. Für Jugendliche muß mit der Erwerbslosenfürsorge Erziehungsarbeit verbunden sein.
Fräulein Anna Schmidt, welche über Arbeiterinnenschut spricht, fordert vor allem Verkürzung der Arbeitszeit, Vermehrung der Gewerbeaufsichtsbeamten, Nachprüfung der Betriebe bezüglich der Unfallschutzvorschriften, endlich Errichtung der Fachausschüsse für die Heimarbeit, rechtsverbindliche Löhne sowie Regelung der Krankenversicherung für diese und Erhöhung der Krankengelder überhaupt. Das Arbeitskammergesetz kann viel helfen, wenn es im Sinne der Arbeiterinnen erfolgt. Zum Schluffe verlangt die Rednerin Revision der seit 1810 bestehenden Gesindeordnung.
Fräulein Hildegard v. Gierke behandelt das Thema „ Soziale Fürsorge". Sei fordert Bessergestaltung des Wohnungs- und Verkehrswesens; die Lebensmittel- und Kartenausgabe sollte dem Bedürfnis der arbeitenden Frauen angepaßt sein. Besonders dringend sei die Fürsorge für Tuberkulöse und Geschlechtskranke. Erholungsurlaub müsse gefordert werden, und zwar müßten für die Kostenaufbringung Kranken- und Invalidenversicherung zusammenarbeiten. Sie bespricht dann die Forderungen und Bestrebungen in der Kinderfürsorge.
Das Schlußreferat hielt Fräulein Dr. Marie Baum über Aufgaben und Bedeutung einer Reichszentrale für Frauenarbeit. Sie zerteilt die Gesamtsumme der Arbeit, die in einem Volfe geleistet wird, in 1. produktive Berufsarbeit, 2. produktive Arbeit in der Familie, 3. Regelung des Konsums in der Familie, 4. die Sorge für die menschliche Krafterneuerung, generative Leistung, Pflege der Kinder, die wieder arbeitende Kräfte der Volkswirtschaft werden. Von diesen Gefichtspunkten aus wurde in vorzüglichen Darlegungen die Frauen
arbeit für das Volksganze bewertet und gezeigt, wie sie nicht loszulösen ist von dem sonstigen Leben der Frau. Dem muß für die Zukunft Rechnung getragen werden, und das kann erreicht werden, wenn das, wofür die Frauenreferate am Kriegsamt grundftündlich Neues, Wahres, Reines in uns selbst, und Dir in mir, mir in Dir! Und das gibt all diesen Entdeckungen, die wir mit staunender Seele wahrnehmen, den dauernden Wert und den zauberischen Reiz: daß wir alles selbst in uns festigen und verankern müssen, daß wir aus eigener Kraft alle neue Erfenntnis uns zu eigen machen müssen.
Denn das ist der wahrhafte Lebensbeginn zweier Menschen: Das Schaffen des eigensten Kreises aus Eigenstem. Gelingt uns das, dann ist das Leben auch wirklich unser, und es wird unser werden, denn wir haben in uns die göttliche Kraft
der Liebe.
2.
Wohin aber, Liebste, wird uns unser Leben führen? Ein Ziel muß da sein, ein Resultat, zu dem wir gelangen. Und es ist da; jeder Schritt, den wir so tun, wie ihn unser gemeinsames Fühlen und Vollbringen ihn uns befiehlt, bringt uns ihm näher.
Durch Schönheit geht unser Weg; das Ziel der Schönheit aber ist die Freiheit.
An den einfachsten, reinsten Genüsseri unseres Lebens wird uns flar, wie tief diese Wahrheit ist, diese in aller Bescheidenheit doch so vollkommene Lebensphilosophie.
Befreit uns nicht schon der Anblick des Schönen? Bringt es nicht schon ein einfaches, aber tief empfundenes Bild mit sich, daß wir uns weltenweit erheben über des Alltags Kleinlichkeit und Gemeinheit? Und wenn Du, Liebste, am Flügel fitft, Beethoven spielst oder Mozart, wenn ich diesen wunderbaren Klängen lausche, deren befreiende Harmonie mich sanft und unendlich liebevoll loslöst von allem, was mich vorher niederzog( denn auch ich bin nur Mensch!), wo bleibt dann die Gemeinschaft mit dem Allzumenschlichen?
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In diesen Stunden erkenne ich, daß auch die Menschheit noch zur Freiheit gelangen wird. Denn in der Seelen Tiefe
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legend sind, weiter ausgebaut wird. Als Kriegseinrichtung konnten durch Ausschaltung der Zivilbehörden Auswege geschaffen werden, aber wie erhalten wir diese Einrichtung für den Frieden, deren Sachkenntnis eine andere Stelle gar nicht besitzt? Eine Zentralstelle für Frauenarbeit muß im Reichswirtschaftsamt errichtet werden, und sie muß überall da zuständig sein, wo wirklich Wirtschaftsfragen zu erledigen sind. Am Reichswirtschaftsamt und gegebenenfalls bei jedem Regierungspräsidenten ist ein Referat einzurichten. Die Aufgaben der neuen Arbeit liegen da, wo das Leben brandet und flutet. Überall in der Wohlfahrtspflege und sozialen. Versicherung müssen wir blutwarme Menschen haben, die diese neue Arbeit leisten. Dies vorausgesetzt, werden die übergeordneten Stellen ihre große Aufgabe finden und erfüllen können, und zwar muß die Referentin alles erfahren innerhalb der verschiedenen Ressorte. Sie muß aber auch zwischen den Frauen, die in ihrem Bezirk arbeiten, die Verbindung herstellen; alle tätigen Kräfte müssen unter sich in Fühlung bleiben unter den Augen der leitenden Frau. Der Freiheit muß allerdings Raum gelassen werden; eine behördliche Einschränkung würde schaden. Die Aufgabe einer solchen Reichsstelle sollte sein, die mitarbeitenden Frauen wirklich zu lebenden Individuen werden zu lassen, die sich einfühlen und einleben in das Leben der Frauen, für welche sie sorgen sollen, um ihr Leben leichter und schöner zu gestalten.
Aber vor allen Dingen ist es notwendig, fügen wir hinzu, daß die arbeitenden Frauen selbst mit Hand anlegen, um ihr Leben von den größten Lasten zu befreien, indem sie sich zusammenschließen mit ihren männlichen Kollegen in den gewerkschaftlichen Organisationen. Klara Bohm= Schuch.
Aus unserer Bewegung
Gegen die bevölkerungspolitischen Pläne!
Seit Monaten arbeitet die sechzehnte Kommission des Reichstags an den Gesezentwürfen zur Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten und gegen die Verhinderung der Geburten. Neuerdings ist noch der Entwurf gegen die Unfruchtbarmachung und Schwangerschaftsunterbrechung dazu gekommen.
Die Entwürfe sind jetzt in der zweiten Lesung erledigt worden. Sobald die Berichte über die Verhandlungen fertiggestellt sind, wird sich das Plenum des Reichstags mit den beiden Gesezen befassen. Das dürfte also schon in der Herbsttagung zu erwarten sein. Der
eines jeden schlummert die Sehnsucht nach Harmonie, und der Liebe wird es gelingen, zu siegen.
Wir wollen uns Schönheit dauernd zu eigen machen, wollen unser ganzes Leben, unser ganzes Sein mit ihr erfüllen. Aber nicht Pflicht soll sie uns sein, sondern Bedürfnis und Genuß, denn dann erst wird sie für uns zur Offenbarung werden. Dann wird sie uns segnen, und wir werden in der Fülle dieses Segens glücklich sein wie Kinder. Und, uns ganz unbewußt, wird sie uns weiterführen auf der Bahn, die wir als unseren Lebensweg bezeichnen und erkannt haben; wird sie uns mehr und mehr befreien vom Zwang, den ein elendes, dumpfes Vegetieren, wie es die Menge kennt, auf sehnende, flehende Herzen ausübt. In uns wird Sonne sein!
Und wir, zwei Menschen, werden als Auserkorene das erreichen, wonach Millionen noch jahrhundertelang streben: Freiheit! Menschheitskultur!
3.
Du Liebe Du! Wie gern höre ich Dich von unserer Zukunft sprechen! Du fragst nicht:„ Bist Du auch einverstanden?" Nein, Gott sei Dank, daß Du nicht so fragen brauchst. Denn Du weißt und fühlst mein jubelndes Ja zu Deinen Worten.
Einfach wollen wir unser Heim gestalten, aber schön. Jedes Möbelstück soll ein Stückchen von uns selbst sein, mit Liebe ausgewählt und erworben, mit Liebe benügt. Die Sonne unserer fröhlichen Herzen soll auch von diesen„ toten Dingen" ausstrahlen, die doch in Wahrheit so sehr, sehr leben, weil sie zu uns gehören, einen Teil unserer innigen Gemeinschaft bilden.
Und viel, viel Sonnenlicht soll unsere Räume erfüllen, alle Räume, in denen wir leben. Nicht aus dem Grunde, weil es steuerfrei ist, sondern weil es Körper und Seele täglich aufs
neue reinbadet.