Nr. 22

Die Gleichheit

Reichstag   tritt voraussichtlich am 5. November wieder zusammen. -Zu dem Entwurf gegen die Geschlechtskrankheiten ist zu sagen, daß die Kommission hier leidlich gute Arbeit geleistet hat; es ist gelungen, verschiedene rückständige Paragraphen zu modernisieren. Immerhin entspricht auch dies Gesetz noch nicht allen unseren Wünschen. Anders ist es mit dem Entwurf gegen die Verhinderung von Geburten. Hier sind die bisherigen Proteste der Frauenorgani fationen so gut wie spurlos verhallt. Und doch ist dieses Gesetz, das den Frauen jedes Schutzmittel gegen Empfängnis nehmen will, ge­eignet, tiefste Empörung auszulösen.

Der Bund Deutscher Frauenvereine, der Verband Württembergischer Frauenvereine, die Parteigenossinnen von Groß- Berlin, der Deutsche  Frauenstimmrechtsverband und andere Frauenorganisationen haben sich mit Anträgen und Wünschen an den Bevölkerungsausschuß des Reichstags gewandt, ohne daß sie nennenswerte Erfolge erzielt hätten. Uns Frauen bleibt jetzt nur noch eine Frist von wenigen Monaten, in der wir uns wehren können gegen ein Gesez, das die Frauen­welt in gesundheitlicher und moralischer sowie sozialer Hinsicht schädigt, ohne dabei dem Staat einen bevölkerungspolitischen Vor­teil zu bringen.

Es ist notwendig, in dieser Frist noch fleißige Aufklärungsarbeit zu leisten. Anfragen wegen Veranstaltung von Versammlungen sind zu richten an das

Frauenbureau des Parteivorstandes, Berlin   SW 68, Lindenstraße 3.

Helma Steinbach  .

Am Sonntag, den 7. Juli verstarb an den Folgen eines Herz­schlages in dem kleinen lauenburgischen Orte Plüsing die Genossin Helma Steinbach  . Sie suchte Erholung, um neue Kräfte zu sammeln, und nun sezte der Tod ihrem Wirken ein Ziel. Leben und für ihre Ideale streiten, war für diese Frau dasselbe. Denn sie benüßte jede Gelegenheit zur Agitation. In einer Zeit, als es noch mit Gefahren verbunden war, Sozialdemokrat zu sein, und als das Agitieren für unsere Partei besonders verfolgt wurde, unter der Herrschaft des Sozialistengesetzes und des fleinen Belagerungszustandes, hatte sie sich in Hamburg   der Partei angeschlossen. Die Haus- und Klein­agitation war damals das einzige Mittel, um neue Anhänger für

Und mein Zimmer, in dem ich arbeite, soll für Dich und die Kinder kein verschlossenes Heiligtum sein, niemals! Seid ihr denn nicht die Quellen, aus denen mir die Kraft zu meiner Arbeit strömt, und dürfen diese Quellen gefesselt werden?

Werden wir Tapeten nehmen? Ich glaube nicht. Erinnerst Du Dich noch, wie wundervoll die einfach gestrichenen Wände im Weimarer   Goethehaus wirkten? Und wie ganz anders werden die Steindrucke auf der einheitlichen Fläche wirken! Blumen im Garten! Blumen in den Zimmern! Wie viel Freude spenden sie, wie viel stille Freude. In anmutiger Be­scheidenheit erfüllen sie die Harmonie des Ganzen.

Und Du, mein Lieb, sollst immer festlich gehen. So, wie Du schon jetzt zu tun pflegſt: in einem einfachen, hellen Kleid aus weichem Stoff, der nicht erschrickt und abmahnend knistert, wenn Dich der Jubel unserer Kinder bestürmt oder Dein Herz­liebster Dich glückesfroh durch die Zimmer trägt....

Milizza Stojadinowitsch.

Lebten wir in der gefühlsseligen Zeit, da der Großvater die Groß­mutter nahm, diese Darstellung würde den Untertitel tragen: ein Vergißmeinnichtkranz auf ein vergessenes Grab, denn vergessen ist die arme Milita Stojadinowitsch heute, vierzig Jahre nach ihrem Tode, ganz und gar. Namentlich seit der große Krieg mit seiner Blut- und Brandschleppe über Belgrad   hingefegt ist, erinnert sich wohl nur selten eine Seele an den eingesunkenen Hügel in einer verlorenen Ecke des alten Markusfriedhofs und an die zerbröckelnde Marmorplatte, deren Schriftzeichen Zeit und Regen verwischt haben. Und doch klang vor zwei Menschenaltern noch der Name der unge= wöhnlichen Frau, die hier ruht, wie eine vollwertige Goldmünze, und nicht nur im serbischen Sprachgebiet begeisterte man sich für dieses erste weibliche Wesen, das in serbischen Versen dem Serben­tum gehuldigt hatte. Peter Petrowitsch Njegosch, der Dichter des Bergkranzes", bedauerte, daß er geistlicher Herrscher war, weil er

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die Partei zu werben. Auf diesem Gebiet war sie Meisterin, denn kaum hatte sie in ihrer Nähe einen Menschen entdeckt, den sie ge­winnen wollte, dann wußte sie rasch eine Unterhaltung einzuleiten, die sie auch bald auf das Geleise zu bringen verstand, wohin sie es haben wollte. An Gesprächsstoff fehlte es ihr nicht. Mit beson­derem Eifer verfolgte sie die Presse. Jeden Abend fand sie sich am Gänsemarkt im Café Nowad ein, wo sie regelmäßig die Zeitungen aller Parteirichtungen las. Sie war deshalb über alle politischen Borgänge und die Stellung der verschiedenen Parteien zu den Tages­fragen gut unterrichtet.

Im engen Freundeskreise, wozu der verstorbene Genosse Wilhelm Schröder, der damals Redakteur der bei Maier in Hamburg   ge= druckten Gewerkschaftspresse war, und Genosse von Elm gehörten, wurden alle Fragen besprochen. Aber nicht nur die Tagespresse war ihr Arsenal, sondern sie suchte auch in der schönen Literatur Stoff für die Agitation. Als im letzten Viertel des vorigen Jahrhunderts die neuen Dichter das soziale Gebiet in ihren Werken aufnahmen, fanden sie in Helma Steinbach   eine eifrige Verbreiterin. Sie war eine gute Vorleserin. Wo sich Gelegenheit bot, rezitierte sie die sozialen Teile aus den Werken moderner Dichter.

Bald nach dem Fall des Sozialistengesezes stürzte sie sich mit großem Eiser in die Agitation für die Gewerkschaften. Dabei suchte sie Gebiete auf, die bis dahin wenig von der Agitation be­rührt waren. So gründete fie eine Organisation der Plätterinnen, eine Schicht weiblicher Arbeiter, die unter besonders langer Arbeits­zeit zu leiden hatten. Bei allen großen Lohnbewegungen, so zum Beispiel bei dem Streit der Tabakarbeiter, dem großen Hafen­arbeiterstreik und bei anderen Gelegenheiten war sie mit großem Eifer tätig und suchte unausgesetzt auch immer Anhänger für die Partei zu werben.

Hervorragendes leistete sie in der Gewerkschaftsbewegung. Als der Konsum, Bau- und Sparverein Produktion" gegründet wurde, war sie zweifellos die eifrigste und erfolgreichste Agitaforin. Ununterbrochen warb sie neue Mitglieder. Aber Mitglieder werben war für sie mur die Einleitung. Sie blieb mit den gewonnenen Mit­gliedern in Verbindung und forschte nach etwaigen Klagen. War jemand nicht zufrieden mit den erhaltenen Waren oder der Be­dienung, dann forschte sie, ob die Beschwerden begründet waren, und sie sonst zur Fürstin von Montenegro gemacht hätte, Michael, Fürst von Serbien  , war ihr in aufrichtiger Freundschaft zugetan, Wuf Stefanowitsch Karadschitsch, der große Erneuerer der serbischen Lite­ratur, liebte sie wie eine Tochter, und die jungen romantischen Dichter ihrer Generation drückten ihr in überschwänglicher Begeiste= rung einen vollen Kranz auf das schwarze Haar. Aber auch mit dem Wiener   Dichter Ludwig August Frankl   stand Miliza   in enger Verbindung, und Johann Gabriel Seidl   schenkte ihr seine Gedichte mit der Widmung:

Db Sitt' und Sag' und Luft und Licht der Serben Mit ernsten Tinten Deine Lieder färben, Dbgleich mein deutsches Herz mir mildre lieh

Wer wollte rechten? ist's nur Poesie!

Drum, wie zwei Flüss' in einem Meere münden, Mag Deutsch   und Serbisch sich im Lied verbünden.

Ja, solchen Ruf genoß die Muse der serbischen Romantik", daß eines Tages zwei Engländerinnen eigens in ihr weltabgelegenes syrmisches Dorf famen, um sie anzustaunen.

In einem ähnlichen Dorf, Bukowatsch, kam sie 1830 als Kind eines Popen zur Welt, der kurz nach ihrer Geburt mit der Familie nach seinem neuen Wirkungskreis Brdnik übersiedelte. Damals ent­zitndete gerade die illyrische Bewegung auf allen Höhen die Leucht­feuer einer größeren und gemeinsamen Zukunft sämtlicher Südslawen, und auch in der jungen Miliza weckten die Erzählungen des Vaters bon des untergegangenen Serbenreiches Glanz und Gloria und die Lieder der Mutter von den mittelalterlichen Helden des Südslawen­stammes die ungestüme Liebe zum eigenen Volkstum. Glühende Patriotin bezog die Zwölfjährige ein Pensionat in Peterwardein, um abendländische Bildung, Deutsch   und Gitarre zu erlernen, und glühende Patriotin kehrte sie in das Elternhaus zurück, um bald mit ungelenken Kinderfingern die ersten Verse niederzufrißeln. Dann flammte das Jahr 1848 auf und warf seinen Schein auch nach den Südosten Europas  . Mit den Kroaten standen die Serben Ungarns  gegen ihre magharischen Unterdrücker auf, die Bauern schmiedeten ihre Sensen gerade, die Brandfackel flog den fremden Grundherren aufs Dach, die weiß- rot- blauen Fahnen wehten, die Namen des