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Die Gleichheit

abhängigen" Widersachern. Weder in dem Bevölkerungsaus schuß des Reichstags noch in der Presse ist ein Gegensatz zutage ge­treten. Wem es also nicht in erster Linie auf Rechthaberei und Partei­ftreit ankommt, sondern wer der Bevölkerungspolitik tatkräftig nügen will, und zwar im gegenwärtigen Zeitpunkt durch energische Be­kämpfung der bekannten beiden Gesezentwürfe, der wird nicht erst fünstlich und gequält einen Gegensatz zurechtbauen und daraus dann seine viel höhere und reinere politische Weisheit ab­leiten, sondern er wird mit dem politischen Gegner, der in dieser besonderen Frage ja nicht sein Gegner ist, Schulter an Schulter eine gemeinsame Gefahr abzuwehren sich bemühen.

Wir raten unseren Genossinnen dringend, in diesem Sinne zu handeln und die Bundesgenossenschaft gegen die gefährlichen Gesetz­entwürfe zu suchen und zu nehmen, wo sie sich ihnen bietet, sei es zu ihrer Rechten, sei es zu ihrer Linken. Auf keinen Fall dürfen unsere Kundgebungen gegen die bevölkerungspolitischen Ausnahme­geseze durch Parteistreit mit den Unabhängigen" beeinträchtigt und in ihrer agitatorischen Wirkung herabgemindert werden.

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Gegen das Zölibat der Lehrerin.

Anläßlich der bevölkerungspolitischen Versammlungen in Hamburg  und Altona  , über die wir in der vorigen Nummer berichteten, sind dem Genossen Schulz aus den Kreisen der Lehrerinnen mehrere Zu­schriften zugegangen, die sich übereinstimmend gegen das Eheverbot für Lehrerinnen und andere Beamtinnen aussprechen. In einem dieser Briefe heißt es unter anderem:

Jetzt, während des Krieges, wo die Bevölkerungspolitik im Brenn­punkt des Interesses steht, wurde wieder die Zölibatfrage aufge­worfen, und zwar ging dieses Mal die Anregung von Hamburg  aus: Herr Schulinspektor Matthias Meyer nahm sich der Sache be­sonders an, hielt verschiedene Vorträge, auch in anderen Städten, und betonte, daß die Behörde mit den Leistungen der Frauen, die während des Krieges wieder in ihr Lehrerinnenamt eingetreten wären, in vollstem Maße zufrieden sei.

Man sieht also, es geht! Denn diese Frauen haben doch auch noch außer ihrer Schultätigkeit ihren Haushalt zu versorgen, ihre Kin der zu erziehen, da der Mann nicht daheim weilt, sondern das Baterland verteidigt. Wieviel leichter wird sie ihren Beruf ausüben können, wenn der Mann ihr im Frieden stüßend zur Seite steht? Also warum schafft man feine größere Heiratsmöglichkeit in bezug auf die weiblichen Beamten? Weshalb gestattet man diesen Frauen nicht, sich zu verheiraten und trotzdem im Berufe zu bleiben? Er­fordert doch der Krieg die denkbar größten Massenopfer an tost­barem Menschenmaterial. Warum also folgt man nicht der gebie­terischen Notwendigkeit und erweitert die Heiratsmöglichkeit eines guten, nun aber brachliegenden Menschenmaterials? Auch die Leh­rerinnen und andere staatliche Beamtinnen möchten die Freuden des eigenen Heims und Mutterfreuden kennenlernen. Unter den jezigen Verhältnissen scheut sich aber jede einigermaßen gut ver­dienende und in sicheren Verhältnissen lebende Frau, eine Ehe mit einem Manne mit kleinem Einkommen einzugehen, noch dazu, wenn eine pekuniäre Notlage in der Ehe eintritt und es ihr so schwer gemacht wird, zur Hebung derselben beizutragen, wie es tatsächlich vorgekommen ist. Dafür ein Beispiel:

Eine Lehrerin heiratete einen Geschäftsmann, lebte mit ihm in guten, glücklichen Verhältnissen; drei gesunde, blühende Kinder ver­vollkommneten das Glück. Da plöglich wurde der Ernährer krank, unheilbar und fiechte seinem Ende entgegen. Die Last der Ernäh­rung der ganzen Familie lag nun auf den Schultern der Frau. Als fie sich in ihrer Not an die Oberschulbehörde wandte mit der Bitte, fie wieder anzustellen, gab man ihr den Bescheid, daß man ihre Bitte nur erfüllen könne, wenn sie entweder Witwe wäre oder sich scheiden ließe. Die unglückliche Frau mußte in einen Keller ziehen und sich und ihre Familie mühselig durch Heimarbeit er­nähren.

Ich bin fest davon überzeugt, daß nicht jede Beamtin von der Aufhebung des Zölibats Gebrauch machen würde; denn nicht jede Beamtin ist fähig, beides, Beruf und Hausstand zu vereinigen. Auch würde vielleicht nicht jeder Mann damit einverstanden sein, seine Frau im Berufe tätig zu sehen. Die Befürchtung also, die Berufe könnten durch die Aufhebung des Zölibats überfüllt werden, würde nicht eintreffen. Aber es wäre wünschenswert, daß denjenigen Frauen, die der Aufgabe gewachsen sind, die Bahn freigegeben wird! Das Zölibat aber ist eine Beschneidung der persönlichen Freiheit der Be­amtin, und daher, sehr geehrter Herr Schulz, fomme ich zunt Schluß noch einmal mit der Bitte zu Ihnen: Schlagen Sie im Reichstag  die Aufhebung des Zölibats vor; des herzlichen Dankes von vielen, vielen Beamtinnen sind Sie gewiß!"

Nr. 26

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Ich hab' erdacht im Sinn mir einen Orden, Den nicht Geburt und nicht das Schwert verleiht, Und Friedensrichter soll die Schar mir heißen. Die wähl' ich aus den Besten aller Länder, Aus Männern, die nicht dienstbar ihrem Selbst, Nein, ihrer Brüder Not und bittern Leiden; Auf daß sie, weithin durch die Welt zerstreut, Entgegentreten ferner jedem 3wist,

Den Ländergier und, was sie nennen Ehre, Durch alle Staaten sät der Christenheit,

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Ein heimliches Gericht des offenen Rechts. Grillparzer.

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Natürlich bedarf es einer solchen Aufforderung an einen Sozial demokraten nicht erst. Wir sind von jeher gegen das völlig sinnlose Eheverbot eingetreten und nehmen auch jede Gelegenheit wahr, unt es zu beseitigen.

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Ein Urteil bürgerlicher Frauen.

In der neuesten Nummer der Frau", der bekannten, von Helene Lange   und Gertrud Bäumer   vorzüglich geleiteten Monatsschrift der bürgerlichen Frauenbewegung, werden die bevölkerungspolitischen Gesezentwürfe einer scharfen Kritik unterzogen. Anerkannt wird, daß das Anpreisen und der unbeschränkte Vertrieb( gum Beispiel durch den Haufierhandel) von Schutzmitteln verboten sein müßte, und daß an der Strafbarkeit der Vernichtung des keimenden Lebens festzuhalten sei. Dann aber heißt es weiter:

Andererseits enthalten die Entwürfe Bestimmungen, gegen die die schwersten Bedenken erhoben werden müssen, und atmet vor allem die Begründung einen Geist, gegen den nicht scharf genug protestiert werden kann.

Dieser Protest richtet sich vor allem gegen die Darstellung der Gründe, die nach dem Gesezentwurf die Frauen bestimmen sollen, keine Kinder zu haben. Dabei ist nicht die Rede von den wirtschaft­lichen Schwierigkeiten, die in unendlich vielen Fällen die Frauen in die schmerzlichsten Konflitte zwischen ihrer Muttersehnsucht und ihrem Verantwortlichkeitsgefühl bringen. Es ist überhaupt nicht das von die Rede, daß der Wunsch der Beschränkung der Kinderzahl fat­sächlich in zahllosen Fällen ein Wunsch des Manues als des Er­nährers zu sein pflegt, dem sich die Frau fügt und fügen muß. Da­von scheint der Gesetzgeber nichts zu wissen. Er erklärt vielmehr, daß nur der selbstsüchtige Wunsch" der Frau, und zwar in der Regel aus Bequemlichkeit, Eitelfeit, Genußsucht und Scheu vor häus­lichen Einschränkungen, in manchen Fällen vielleicht auch aus über. triebener Besorgnis der gesundheitlichen Schädigung" der Schwanger­schaft vorbeugen wolle. Es handle sich bei verheirateten Frauen er fahrungsgemäß in der Regel nicht einmal um eine wirtschaftliche Notlage, sondern um das Verlangen, möglichst unbeeinträchtigt an den Genüssen des Lebens teilnehmen zu können und keine gewohnte Bequemlichkeit entbehren zu müssen". Es soll gar nicht bestritten werden, daß solche Fälle vorkommen und daß es Frauen gibt, die aus diesen Gründen die Mutterschaft fürchten. Als eine ungeheuer­liche Kränkung der deutschen Frau, die sie gerade jetzt am wenigsten verdient hat, muß es aber bezeichnet werden, wenn diese Fälle als die typischen, ja als die einzigen in dem Entwurf hingestellt wer­den und mit keinem Wort der weit überwiegenden Zahl der an­deren Fälle gedacht wird, in denen die Beschränkung der Kinderzahl aus dem Gefühl der Verantwortung für die schon vorhandenen Kinder von beiden Eltern gewollt wird. Es dürfte auch im Inter­effe der Bevölkerungspolitik sehr unzweckmäßig sein, wenn der Ge sezentwurf die Tatsache unterdrückt, daß die deutschen Frauen in ihrer Gesamtheit gesund genug empfinden, um die Mutterschaft zu wollen, und daß der Verzicht, wo ihn wirtschaftliche Gründe er­zwingen, ihnen sehr schmerzlich ist. Wenn die deutschen Frauen so wären, wie der Entwurf sie hinstellt, so könnte keine Bevölkerungs­politik den Bankrott unserer Volkskraft aufhalten....

Und ferner: das Gesetz über die Verbreitung empfängnisverhüten­der Mittel gibt das Mutterschicksal der Frau durchaus in die Hand des Arztes. Es läßt damit im Grunde nur medizinische Gründe, keine persönlichen oder sozialen, als entscheidend gelten. Es nimmt ihr jeden Schutz in solchen Fällen, von denen ein hervorragender Gynäkologe schreibt( Fehling, Frauenkrankheiten, 3. Auflage, 1906,