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Die Gleichheit

Unsere Lage kann sich nicht verbessern, sondern nur verschlimmern. Bringt uns unsere jeßige Volksregierung den Frieden nicht, dann werden Verhältnisse eintreten, wie sie in Rußland   sind. Und das wollen wir nicht. Zu den Leiden des vierjährigen Krieges nach außen wollen wir nicht im fünften Jahre die Schrecken eines Bürgerkriegs gesellen. Wir wollen nicht mit neuem edlem Blut erkaufen, was wir friedlich erreichen können. Und darum brauchen wir den Frieden; darum sind wir jetzt gezwungen, jeder Bedin­gung uns zu unterwerfen. Daß aber unter solchem Zwange der Haß gedeiht, lehrt die Geschichte, und gerade Deutschland   hat das Unheil solcher Zwangs- und Machtpolitik schwer büßen müssen. Davon sollten unsere heutigen Besieger lernen.

Vielen Leuten bei uns im Lande geht die Arbeit der neuen Regierung im Innern nicht schnell genug. Sie haben wohl keine Ahnung von dem, was zu leisten ist. Dazu kommen die Quertreiber von rechts und links, die Alldeutsch  - Konservativen und die Unabhängigen, die die neue Regierung stürzen möchten. Sie schaden dem Vaterland und dem Frieden, und unser Volt hat das größte Interesse daran, diesen Quertreibereien ruhig und be­sonnen entgegenzuwirken und die jetzige Regierung zu stützen. Je schneller es dieser Regierung gelingt, den Frieden zu bringen, um so fester wird sie sich im Volke verankern.

Wir Frauen haben bisher von dem neuen Zustand wenig ge= merkt, darum sollten wir uns bemerkbar machen. Es ist nur die Forderung auf Einlösung einer Ehrenschuld, wenn wir unsere Staatsbürgerrechte verlangen.

Eine Amnestie ist erlassen, die allerdings noch viel weiter ausgedehnt werden muß, aber es waren bis zum 22. Oktober zirka 200 Menschen aus Gefängnissen und Zuchthäusern entlassen, die sich einst ihrer ehrlichen überzeugung geopfert hatten. Unter ihnen auch Dittmann und Karl Liebknecht  , dies ist den besonderen Be­mühungen des Genossen Scheidemann   zu danken.

In Preußen ist die Herrschaft der Junker gebrochen . und die des Volkes gesichert dadurch, daß das gleiche Wahlrecht eingeführt wird. Noch ist kein. Preußen nach unseren Wünschen da, aber die Bahn ist frei, um es in harter Arbeit zu erringen. Auf dem Balkan   herrscht die Revolution, und Österreich  Ungarn hat sich in seine Nationalitätenbestandteile aufgelöst. In einem Manifest vom 17. Oktober versuchte der österreichische Kaiser, an Stelle des alten Reiches einen Bundesstaat zu errich­ten. Einige Zeit früher wäre diese Lösung wahrscheinlich möglich gewesen, nun nicht mehr. Die Tschechen haben bereits die Abdan­Mutter stand neben ihr und pries im höchsten Diskant die Körperschönheit der jungen Dame. Zeigte mit einem spanischen  Rohr auf Inges herrliche Formen, als preiſe ſie irgendeine Ware an. Gegen 20 Pfennig Eintritt sei die Dame unverhüllt zu sehen, von dem Kopf bis zu den Zehen.

Und mancher Mann, Jüngling, selbst Greis verschlang die Gestalt des schönen Mädchens mit gierigem, lüfternem Blicke, zahlte und verschwand in der Bude.

Die Alte machte gute Geschäfte.

Kopf an Kopf gedrängt stand das Publikum und begaffte Inges wunderbaren, nur mit einem fleischfarbenen Trikot be­fleideten Körper, der so biegsamt wie eine Gerte war.

In Anmut und Grazie stellte sie Werke berühmter Maler und Meister der Bildhauerkunst dar.

Nur einer einzigen Vorstellung wohnte Heini bei. Auf die Knie hätte er sinken mögen, anbetend emporschauen zu seinem Heiligtum, feiner herrlichen Inge! Da riß das häßliche Wort eines betrunkenen Burschen ihn aus feinem Taumel. Inges herrlichem Busen galt der fade Wig. Hätte er die Straft be­sessen, so hätte er den Frevler mit einem Faustschlag zu Boden geschlagen, so aber stellte er ihn nur zur Rede. Ein allseitiges Hohngelächter war die Antwort. Inge selbst lachte über den häßlichen Wig. Und dann kam die Alte und zeigte ihm die Tür. Ganz still war er gegangen. Fest hatte er sich vorge­nommen, mit Inge zu sprechen.

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Was wollte er ihr eigentlich sagen? er wußte es nicht, da kam ein alternder Lebemann dem Schüchternen zu Hilfe. Allabendlich belagerte der widerliche Mensch mit den welfen schlaffen Gesichtszügen die Bude und weidete sich an Inges Anblick. Den Krüppel erfor er sich als Liebesboten, übergab ihm das Billett, das er nebst einem Strauß prachtvoller Rosen Inge oder, wie er sagte, der schönen Alabastra" übergeben

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fung der Habsburger   gefordert. Ungarn   begibt sich aus dem Bünd­nis mit Deutschland   in den Schuh der Entente und hofft dadurch günstigere Bedingungen für seine Selbständigkeit zu erlangen. Die Deutschösterreicher aller Parteirichtungen haben sich geeint und versuchen ihren Anschluß an das Deutsche Reich. Schon mel­den sich aber Stimmen, welche nun nichts mehr von dem reinen Selbstbestimmungsrecht der Nationen wissen wollen, sondern die historischen" Grenzen verlangen. Besonders in Italien   wird diese Forderung erhoben. So geht die alte Welt in Stücke und eine neue will werden. Klara Bohm- Schuch.

Aus unserer Bewegung

Frankfurt   a. M. Am 18. September hielt der Sozialdemo kratische Verein eine von Frauen und auch von Männern gut besuchte Versammlung ab, in der Stellung genommen wurde zu den bevölkerungspolitischen Gesetzen, die dem Reichstag   zur­zeit vorliegen. Die bürgerlichen Frauenvereine der Stadt hatten dazu Einladungen erhalten und waren aufgefordert worden, auch ihrerseits durch Erklärungen ihre Stellungnahme zu diesen Gesezen zu präzisieren. Dieser Aufforderung waren sowohl der Verband Frankfurter Frauenvereine sowie die beiden bürgerlichen Frauen­stimmrechtsvereine und die Abolition gefolgt. Sie alle gaben durch ihre Vertreterinnen der vollen Zustimmung zu der vorgeschlagenen Resolution Ausdruck und gelobten alles zu tun, daß den bürger­lichen politischen Parteien kein Zweifel über die Ansicht der Frauen gelassen und die Stimmung für die Ablehnung der beiden Gesez­entwürfe gestärkt werde.

Das Referat hatte Genosse Dr. Quarck, Mitglied der Reichstags­kommission für Bevölkerungspolitif. In einem kurzen historischen Rückblick auf die Geburtenfrage in der Menschheitsentwicklung zeigte er das Ringen nach besseren Daseinsbedingungen, zeigte, wie mit der Demokratisierung die Masse auch auf diesem Gebiet ihr Schick­sal selbst in die Hand zu nehmen beginnt, um regeind einzugreifen. Nach einer kurzen Besprechung des Gesetzes zur Verhütung der Ge­schlechtskrankheiten, dem immerhin noch einige auf der Linie der fortschreitenden Entwicklung liegende Tendenzen nachgesagt werden könnten, wandte sich der Referent zu den beiden Gesezentwürfen gegen Unfruchtbarmachung und Schwangerschaftsunterbrechung und zur Verhinderung der Geburten. Er nahm entschieden Stellung gegen diese Geseze, die er als einen Schlag ins Wasser bezeichnete und deren Durchführung unmöglich sei, da sie nur die ärmere Be­sollte. Und der Krüppel las das Billett, ehe er es Inge gab, wartete auch erst auf die Antwort. Ganz frei ohne Umschlag gab Inge ihm das Zettelchen, worauf geschrieben stand:

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, Erwarten Sie mich nach der letzten Vorstellung." Heini stellte sie zur Rede. Und Jnge- fie fah ihn mitleidig lächelnd an: Geh, sei nicht fad, Kleiner!" Da starb etwas Hohes, Reines im Herzen des Krüppels. Seine Heilige!

Der schöne Mädchenleib, er war nicht weiß, nicht rein, er barg eine schmußige Seele.

Jetzt hatte das Leben, das ihn so schändlich betrog, keinen Wert mehr für ihn.

Nach Schluß der letzten Vorstellung sah er, wie Inge aus dem Wohnwagen getänzelt kam und sich an den Arm des noblen Herrn hing. Und die Alte sah ihnen schmunzelnd nach. Beim perlenden Wein erstickte Inge die Stimme des Gewissens, im Sektrausch verkaufte sie ihren schönen Marmorleib einem schmuzigen Lüstling.

Heini klagte nicht. Ruhig und still, als sei nichts geschehen, nahm er sein Schemelchen, packte seine Geige ein und verließ den Marktplatz.

Im nahen Weiher, dessen Fluten einst Inges reinen Mädchenleib umspült, suchte er Vergessen. Sein letzter Gedanke galt der kleinen Inge von damals. Immer wieder erklang ihm ihr übermütiges Wasserscheu! Wasserscheu!"

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Der Sterbende glaubte sich im wogenden Kornfeld liegend, griff mit beiden Händen in die leuchtende Flut des roten Mohns, um seine Inge, die im Spitzenröckchen dahergetänzelt kam, damit zu schmücken.

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Am Morgen fand man den Jahrmarktskrüppel" tot auf. Am Ufer lag seine Geige, und im Hute waren die letzten Nickel,