Nr. 4

29. Jahrgang

Die Gleichheit

Zeitschrift für Arbeiterfrauen und Arbeiterinnen

Mit der Beilage: Für unsere Kinder

Die Gleichheit erscheint alle vierzehn Tage einmal. Preis der Nummer 15 Pfennig.

Durch die Post bezogen vierteljährlich ohne Bestellgeld 95 Pfennig; unter Kreuzband Mr. 1.45.

Stuttgart  

22. November 1918

Zuschriften sind zu richten an die Redaktion der Gleichheit, Berlin   SW 68, Lindenstraße 3. Fernsprecher: Amt Morigplag 14838. Expedition: Stuttgart  , Furtbachstraße 12.

Die Frauen und der kommende Frieden.

Eine neue Welt ist im Werden. In der Geschichte der Mensch­heit beginnt ein neues Zeitalter. Die Demokratie ergreift Be­sitz von der Welt, in allen Ländern, diesseits und jenseits der großen Wasser. Was sich ihr in den Weg stellt, stößt sie über den Haufen.

Aber soll diese neue Zeit gleich wieder vom Fluche der Halbheit gezeichnet sein? Soll die Demokratie von vornherein auf brüchiger und schiefer Grundlage stehen? Ist eine Welt­demokratie möglich, von der die eine Hälfte der Welt, die Frauen, ausgeschlossen sind? Soll erst ein zukünftiger wilder Kampf der Frauenwelt gegen die Männerwelt die halbe Demokratie zur ganzen machen?

Nein! Das darf nicht sein, das wird nicht sein! Die Frauen haben in diesem Kriege in allen beteiligten Ländern ihre Rechte so elementar und unumstößlich begründet, daß man an ihnen in Zukunft nicht mehr vorbeigehen kann. In Ländern, in denen man mit den Methoden der Demokratie schon ver­trauter ist und schneller die Forderungen der Zeit erkennt als in Deutschland  , ist man bereits dabei, den Frauen volle staatsbürgerliche Gleichberechtigung zu geben. Abgesehen von Kleineren Ländern, in denen das politische Recht der Frauen schon ganz oder zum großen Teil erreicht war, schicken sich jetzt auch die beiden größten Stulturländer an, den Frauen zu geben, was man ihnen nicht länger vorenthalten kann: in England erhalten die Frauen in Kürze das aktive und passive Wahlrecht und treten damit gleichberechtigt neben die Männer, in Amerika   ist Präsident Wilson ein entschiedener Anhänger des Frauenivahlrechts, dem er mit seinem starken Einfluß die Bahn freizumachen sucht.

Wie aber steht es in Deutschland  ? Es windet und krümmt sich in furchtbaren Geburtsschmerzen. Die Demokratie ist für Deutschland   etwas unerhört Neues, auf ihrem Wege stößt sie überall mit den Resten und Trümmern des alten Regiments zusammen, und auf Schritt und Tritt muß sie heftige Stämpfe mit ihren offenen und versteckten Feinden ausfechten. Nicht in großem Zuge wird in Deutschland   das Notwendige getan und das Gebot der Stunde erfüllt, sondern Schritt für Schritt in mühseligen Stampfe müssen die Vorkämpfer der Demo­fratie vorwärts zu kommen versuchen.

Aus diesem Grunde steht auch in Deutschland   die Forde­rung der Gleichberechtigung der Frauen leider noch nicht mit in der ersten Reihe der demokratischen Forderungen. Leider muß sogar gesagt werden, daß die Frauen selber erst lang­sam erwachen und die Rechte zu fordern wagen, die ihnen zustehen. Darum muß mit immer stärkerem Nachdruck, mit immer lauteren Posaunenstößen auch in Deutschland   das

Frauenwahlrecht gefordert werden. Die deutschen Frauen müssen geradezu verlangen, daß ihre Forderung bei den bevorstehenden Friedensverhandlungen und auf dem internationalen Friedenskongreß als eine un­erläßliche Friedensbedingung für alle beteiligten Völker anerkannt wird.

Wenn das nicht geschieht, wenn den Völkern in der Frage des Frauenwahlrechts freie Hand gelassen wird, so wird sich wiederum bald eine unselige Zwiespältigkeit in den zu einem demokratischen Völkerbund vereinigten Völkern ergeben. Die meisten und größten Nationen haben den Frauen das Wahl­recht eingeräumt oder sind auf dem Wege dazu. Bei ihnen kann sich die Demokratie voller und reiner auswirken, die Mitbestimmung der Frauen wird sich in der ganzen Gesetz­gebung, in der inneren und äußeren Politit bemerkbar machen. Wenn aber Deutschland   in dieser Grundfrage der Demokratie wiederum zurückstehen würde, wenn Deutschland   den Weg der Demokratie, den es, da es viel einzuholen hat, schneller gehen müßte als andere Länder, im Gegenteil langsamer, schleppen­der und unbefriedigender ginge, weil in Deutschland   die volle Mitwirkung der Frauen im Staatsleben fehlt, so wird Deutsch­ land   bald wieder in einen bedauerlichen Gegensatz zu den anderen Völkern gelangen.

Das muß vermieden werden! Wir wollen nicht, daß auch in der zu erhoffenden demokratischen Zukunft der Welt Deutsch­ land   wiederum am hintersten Ende marschiert. Wir wollen, daß Deutschland   eines der freiesten und fortschrittlichsten Länder wird. Das ist aber nur möglich, wenn es von vorn­herein bei der Neugestaltung seiner innerpolitischen Verhält­nisse sich der tatbereiten und verantwortungsvollen Mitarbeit der Frauen versichert.

Im Interesse des Völkerfriedens der Zukunft, im Interesse des inneren Friedens des deutschen   Volkes, im Interesse der Kultur, der Freiheit und des Fortschritts verlangen die deutschen  Frauen die volle politische Gleichberechtigung mit dem Manne!

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An den Reichstag   und Bundesrat haben die sozial­demokratischen Frauen Frankfurts   a. M. und der Verband Frankfurter Frauenvereine folgende Eingabe gerichtet:

Entsprechend dem Willen der neuen demokratischen Regierung dem deutschen   Volke die ihm zustehende Teilnahme an den Ge­schicken des Landes zu gewähren, fordern die deutschen Frauen als Teil des Volkes das aktive und passive Wahlrecht in Reich, Bundesstaat und Gemeinde.

Die deutschen Frauen erwarten mit der Verabschiedung des Wahlrechts durch die gesetzgebenden Körperschaften Erfüllung ihrer berechtigten Forderung.