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Die Gleichheit

In diesem furchtbarsten aller Kriege hat die deutsche   Frau be= wiesen, daß sie reif ist, die Geschicke des Vaterlandes mitzubestimmen.

Die Stunde fordert die Mitarbeit aller Staatsbürger. Sache der Männer ist es, der Frau durch Gewährung aller Staats­bürgerrechte den Weg zur uneingeschränkten Mitarbeit freizumachen. Als ein, berechtigtes Verlangen der deutschen   Frauen" haben die Eingabe unterstützt: Die Sozialdemokratische Partei Frank­furt a. M.( Georg Maier, Vorsitzender), die Fortschrittliche Volkspartei  , Verein Frankfurt   a. M.( Dr. Gehrke, Vorsitzender), die Zentrumspartei Frankfurt a. M.( Gerh. Heil, Vorsitzender) und die Jugendgruppe der Fortschrittlichen Volkspartei Jung­ Frankfurt  ( Lissi Heinbach).

Besonders auffällig an dieser Unterstüßung ist die Beteili­gung der Zentrumspartei  , die sich bisher dem Frauenwahl recht gegenüber ablehnend verhielt. Die resoluten und demo­kratischen Elemente im Zentrum scheinen aber erfreulicherweise allmählich zu erkennen, daß die Demokratie nur auf einem Beine steht, wenn sie die Frauen von der vollen Gleich­berechtigung und Mitverantwortung ausschließt.

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In Nürnberg   veranstaltete der Deutsche Reichsverband für Frauenstimmrecht eine Versammlung für Frauenrechte. Uns wird darüber mitgeteilt: Die Versammlung war sehr gut besucht. Frau Dr. Ewinger hielt das Referat. Die Diskussion war sehr reichhaltig. Vertreter der Sozialdemokratie, der Volkspartei und sämtliche Dis­fussionsrednerinnen sprachen für sofortige Einführung des Frauen­wahlrechts. Zwei bürgerliche Herren und eine Zentrumsanhängerin waren dagegen. Trotzdem fand eine Entschließung, die die politische Gleichberechtigung der Frauen fordert, einstimmige Annahme.

Die Welle.

Empor fchlug die Welle, Die Mogen der Wahrheit Erfaffen die menfchen, Erobern das Reich. Sie find aus den Tiefen Des Lebens geftiegen, Sie braufen zufammen, Gewaltig geftaut.

Es wanken die Seffel Der sichern Gefellschaft, Die Schläfer erwachen, Die Müden stehn auf. nun gilt es zu bauen Ein starkes Gebäude, nun gilt es zu bilden Ein ftattliches Werk.

So fchlagt mit dem Hammer, So haut mit dem Meißel, mit Kühnheit besonnen Errichtet den Bau!

Daß weit allem Dolke Die Johnstatt fich wölbe, Auf freierem Grunde Gerechter erhöht....

Seid eins in der Liebe, Zu schlichten den Bader, Durch Zwietracht untrennbar Seid einig und- fchafft! Gesetze zu schmieden, Sei Weisheit befchieden, Doch Schönheit durchfchimmre Die Säulen der Kraft!

Unsere nächsten Aufgaben.

Karl Henckell  .

Der 5. Oftober 1918 war der Geburtstag der Demokratie. Die Umstände, unter denen sie geboren wurde, gaben keinen Anlaß zu lauten Feiern. Um so mehr ist Anlaß zum Nach­denken gegeben, was aus diesem neugeborenen Stinde werden soll. Es ist kein erstgeborenes Kind. Seine früher geborenen Geschwister haben nicht alle Hoffnungen erfüllt, die man an ihre Geburt knüpfte. Frühere Erfahrungen sind gute Lehrmeister, und sie müssen verwertet werden, wenn die jetzt ins Leben getretene Demokratie unserem Lande zum Heil gereichen soll. Bei allen bisherigen Demokratien hat man vergessen, die Frauen als Paten zur Taufe zu laden. Das ist ein schwerer Fehler, der sich überall gerächt hat. Die Gefahr liegt nahe, daß man ihn auch jetzt wiederholen wird. Bei den jetzt ge­forderten Verfassungsreformen, die zum Teil schon verwirk­licht sind, hat außer der Sozialdemokratie feine Partei daran gedacht, für die Frauen das Wahlrecht zu fordern. Es ist an­

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zunehmen, daß wir in absehbarer Zeit einen neuen Reichstag wählen müssen. Darum ist es dringend notwendig, daß schon heute für die Frauen das Recht gefordert wird, in diesem neuen Reichstag ihr Recht geltend zu machen.

In den letzten Nummern der Gleichheit" wurde von Ver­sammlungen berichtet, die zu den bevölkerungspolitischen Ge­sebentwürfen Stellung genommen haben. Wichtiger erscheint im Augenblick noch die Einberufung von Frauenversamm­lungen, in denen den Frauen klargemacht wird, daß ein Volksstaat, der die Frauen rechtlos läßt, kein Volksstaat ist. Der jetzige Reichstag wird sich kaum noch mit der Bevölke rungspolitik zu befassen haben. Eine um so größere Rolle wird diese Frage im neuen Reichstag spielen. Da dürfen aber die Frauen nicht als Bittstellerinnen mit Petitionen und Reso­lutionen erscheinen, sondern sie müssen mitarbeiten bei dieser für die Frauen so unendlich wichtigen Frage wie bei vielen

anderen.

Es muß dem deutschen   Volke aufgehen, daß die Aufgaben des Friedens überhaupt nicht zu lösen sind, ohne daß die Frauen dabei mitzubestimmen und mitzureden haben. Die Bevölkerungspolitik ist unmöglich, wenn in den Frauen nicht der Willen zur Mutterschaft vorhanden ist. Dafür müssen aber erst die Vorbedingungen geschaffen werden. Diese bestehen in gesunder Wohnungspolitik, in ausgedehnter Mutterschaftsver­sicherung, Steuerermäßigung für Kinderreiche Familien, in Er­ziehungsbeiträgen, in weitgehendem Arbeiter- und Gesund­heitsschutz. Erst wenn alle Vorbedingungen geschaffen sind zur Erleichterung der Ehe und zum Aufziehen von Kindern, kann man daran denken, daß bevölkerungspolitische Gesetze Erfolg haben.

Die Frauen müssen also verlangen, daß sie mitarbeiten bei der Schaffung der Vorbedingungen. Diese stehen wieder in engem Zusammenhang mit allen sozialpolitischen Gesetzen. Je mehr Einfluß die Frauen auf die Sozialpolitik haben, um so leichter ist deren praktische Durchführung. Alle bisherige Wohl­tätigkeit muß Wohlfahrtspflege werden, und dafür bringen die Frauen nicht nur das warme Empfinden, sie bringen auch schon praktische Vorkenntnisse mit.

Ein besonderes Kapitel dabei bildet die Jugendfürsorge, die nach dem Striege in ein ganz neues Stadium treten wird. Wir werden bei der Schließung der Rüstungsindustrien und der Heimkehr der arbeitsfähigen Männer ein Heer von Ar­beitslosen haben. Insbesondere wird es sich um jugendliche Arbeiter und Arbeiterinnen handeln, denn die verheirateten Frauen werden zum großen Teil in ihre Familien zurückkehren. Die plögliche Arbeitslosigkeit bedeutet eine große Gefahr. Die Arbeitslosenunterstützung wird nicht groß sein. Es muß für Obdach und es muß für Beschäftigung gesorgt werden, wenn die Jugend nicht den Gefahren der Straße preisgegeben sein soll. Hier lassen sich schon jetzt mit Hilfe der Frauen Vor­fehrungen schaffen. Das neue Reichsarbeitsamt wird sich mit diesen Fragen beschäftigen, wird Fürsorgegesetze machen müssen, bei denen auch die Stimmen der Frauen gehört werden müssen. Sie müssen schon heute ihr Recht fordern, dabei mitzuarbeiten. Auch die Forderung eines Reichsschulgesetes wird im neuen Reichstag hoffentlich verwirklicht werden. Auch hier müssen die Frauen mitarbeiten, müssen insbesondere fordern, daß die Frauenbildung kein Stieffind bleibt wie bisher und auf die wichtige Aufgabe der Frau als Erzieherin hinweisen.

Es wird so viel über die Gleichgültigkeit der Frauen wäh rend des Krieges geklagt, insbesondere auch in der jetzigen schweren Zeit. Diese Gleichgültigkeit läßt sich aus der bis­herigen politischen Rechtlosigkeit der Frauen leicht erklären. Das Bewußtsein, bei der wichtigen Frage, ob Krieg, ob Frieden sein soll, nicht mitentscheiden zu dürfen, macht sie natürlich mutlos. Das Bewußtsein, daß sie auch nicht mitreden dürfen bei all den neu auftauchenden Fragen, tötet das Interesse daran. Solange sie kaum ein Amt, viel weniger noch eine Meinung im Staate haben, solange sie politisch so unauf­geklärt bleiben wie bisher, fann man nichts anderes erwarten.

Die politische Aufklärung aber ist selbst in der Sozialdemo kratie noch lange nicht energisch genug betrieben worden, wenn