Nr. 4

Die Gleichheit

auch hier die Menge politisch denkender Frauen sehr groß ist im Verhältnis zu den bürgerlichen. Und selbst bei diesen sind die Begriffe über die sozialdemokratischen Ziele denkbar un­flar. Die wenigsten kennen das Kommunistische Manifest oder die Programme, die die Sozialdemokratie seit ihrer Gründung sich zur Richtschnur gemacht hat.

Darum erscheint mir Aufklärung als unsere nächste, wich­tigste Aufgabe. Aufklärung über das, was wir wollen. Auf­klärung über die Aufgaben, welche die Frauen im Volksstaat zu erfüllen haben. Aufklärung darüber, daß jetzt der Augen­blick für die Frauen gekommen ist, ihre Rechte geltend zu machen. Die Zeit drängt, wenn nicht bei den neuen Wahlen die Frauen wieder abseits stehen sollen. Schließt man sie aus, so wird der neue deutsche Volksstaat kein wahrer Volksstaat, fein wahrer Rechtsstaat sein, denn dann ließe er die eine Hälfte des Volkes rechtlos. Anna Blos  .

Die Frauen im neuen Deutschland  . Unter diesem Motto waren zum Montag, den 4. November die Frauen Berlins   zu einer großen Rundgebung in den Sophiensälen in der Sophienstraße eingeladen worden. Wenn sich die Versammlung auch unmittelbar nur an die Berliner  Frauen richtete, war sie doch nicht nur für sie bestimmt, denn die Einladung war unterzeichnet worden von Marie Juchacz  im Auftrage der sozialdemokratischen Frauen Deutschlands  , von Marie Stritt   im Auftrage des Deutschen Reichsverbandes für Frauenstimmrecht und von Minna Cauer   im Auftrage des Deutschen Stimmrechtsbundes. Die Kundgebung war da­nach von großen zentralen Frauenverbänden Deutschlands  einberufen worden und sollte auch als Kundgebung über den Rahmen Berlins   hinaus für ganz Deutschland   wirken.

Dieser Zweck der Veranstaltung ist vollauf erreicht worden. Die Berliner   Frauen waren überaus zahlreich erschienen. Db­wohl nur Karten ausgegeben worden waren und sich dadurch also von vornherein eine gewisse Beschränkung ergab, dräng­ten sich doch lange vor Beginn der Versammlung zahlreiche

Feuilleton

Gesteh dir's selbst, wenn du gefehlt; Füg nicht, wenn Einsicht kam,

3um falschen Weg, den du gewählt, Auch noch die falsche Scham.

Die tanzende Sonne.

Von Werner Peter Larsen( München  ).

Grillparzer.

In den baltischen Brovinzen, in Sturland ſowohl wie and den baltischen Provinzen, in Kurland   sowohl wie auch

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Frauen und vereinzelte Männer in solcher Zahl in das Lokal, daß der große an 2000 Menschen fassende Saal bald über­füllt war und ein zweiter nicht ganz so großer Saal geöffnet werden mußte. Auch dieser war nach kurzer Zeit überfällt, so daß zahlreiche Besucher vergeblich kamen und an der Türe umkehren mußten.

Die Hauptversammlung tagte unter dem Vorsitz von Frau Marie Stritt  ( Dresden  ), die auf den Zweck der Kundgebung im gegen­wärtigen Augenblick hinwies. Die Demokratie marschiere in Deutsch­ land  , aber wenn sich die Frauen nicht regten, so würden sie dabei vergessen werden.

Auf diesen Grundton waren auch die Ausführungen der beiden furzen Referate, die Frau Marie Juchacz  ( Berlin  ) und Frau Dr. Rosa Kämpf( München  ) erstatteten, und die zahlreichen für die Dis­fussion vorgesehenen Redner und Rednerinnen abgestimmt. Sie alle verlangten volle politische Gleichberechtigung der Frauen und Ein­gliederung der Frauen in die allgemeine Demokratisierung Deutsch­ lands  .

Als Vertreter von Körperschaften sprachen Frau Adele Berens son für den Bund deutscher   Frauenvereine, der in sich allein 60 einzelne Frauenorganisationen aller Konfeffionen umschließt, Reichs­tagsabgeordneter Müller für den Vorstand der Sozialdemokrati­schen Partei Deutschlands  , Frau H. Ledermann für die Frauen der Fortschrittlichen Volkspartei  , Fräulein Gertrud Hanna   für die Generalfommission der Gewerkschaften Deutschlands  , Frau Adele Schreiber Krieger   für die Deutsche Gesellschaft für Mutter- und Kindesrecht, Frau Hamburger   für den Bund für Mutterschutz, Dr. Jdamarie Solltmann für den Verein zur Förderung der Sitt­lichkeit. Außerdem sprachen noch die Reichstagsabgeordneten Schulz und Sivkovich, Landtagsabgeordneter Hänisch, Pastor Frande und eine Reihe anderer Redner und Rednerinnen.

Die Parallelversammlung wurde von Frau Minna Cauer   ge­leitet. Hier begründete Frau Regine Deutsch   die Notwendigkeit des Frauenstimmrechts im allgemeinen, Frau Bohm- Schuch im beson­deren aus den Bedürfnissen der arbeitenden Frauen. In der Dis­fussion sprachen hier außerdem ein Teil der Redner und Rednerinnen, die auch in der Hauptversammlung gesprochen hatten. Ju beiden Versammlungen wurde folgende Resolution einstimmig angenommen:

,, Die am 4. November 1918 in der gemeinsam veranstalteten Bersammlung der sozialdemokratischen Frauen Deutschlands  , des Sonne am heiligen Ostermorgen von vielen glaubwürdigen, mit Namen angeführten Zeugen beobachtet worden fei; sie fügen jedoch hinzu, daß niemand das Tanzen der Sonne mehr gesehen hate, seit die Russenherrschaft über das Land ge­kommen sei, und daß sich hieran eine dunkle Prophezeiung knüpfe, die da besage, daß die Befreiungsstunde der Esten, Letten und Liven im gleichen Jahre schlagen werde, in dem die Sonne am Dstermorgen wieder tanzend am Himmelsrand aufgehe. Denn, so heißt es weiter, nur so sei es zu verstehen, daß die Sonne zum großen Fest des Frühlings nicht mehr tanzen möge, nur so: daß sie müde und bedrückt sei wie die Herzen der Völker, die unter der drückenden Last des mosko­der witischen Joches schmachten.

Das ist der Grund, warum die Gläubigen in Estland  ,

Livland   und Sturland, die aus der mitternächtlichen Oster­messe kommen, nicht, wie sie es sonst vielleicht täten, ihr Heim aufsuchen, sondern, zu feierlichem Zuge vereint, eine Anhöhe erſteigen, die einen Ausblick über den Himmel gewährt, und dort in stummer, demütiger Erwartung mit dem vereinten Gebet ihrer Herzen verharren, um zu sehen, ob nicht endlich, wie die Verheißung lautet, die Sonne wieder tanze....

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Brauch, daß die Gläubigen, welche die mitternächtliche Oster-. messe verlassen, nicht unmittelbar nach der heiligen Handlung ihr Heim aufsuchen, um der Ruhe zu pflegen oder sich nach der Fastenzeit am fetten Ostermahl gütlich zu tun, sondern gemeinschaftlich in feierlichem, gemessenem Zuge eine Anhöhe ersteigen, von der aus sie den Horizont zu überschauen ver­mögen, und dort in demütiger Erwartung, wie sie einer frommen Beterschar geziemt, verharren, bis die Sonne mit ihren ersten Strahlen am östlichen Himmelsrand emporsteigt. Denn es herrscht in der dortigen Bevölkerung der Glaube, daß die Sonne am Morgen des heiligen Osterfestes nicht in gleicher Bäuerin namens Stutusa lebte, die am 24. August 1915 um Weise wie alltäglich am Himmel aufgehe, sondern aus Freude über die Auferstehung des Herrn und die Wiederkehr des Frühlings in die Welt und in die Herzen der Menschen, in die ersten, goldig durchstrahlten Nebel des Morgens gehüllt, aus den Himmelstiefen aufsteige und eine Weile in stiller Verzückung tanze.

Alte Schriften, die in den Büchersammlungen baltischer Städte aufbewahrt werden, versichern, daß dies Tanzen der

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Es wird berichtet, daß in dem Drte Kielfond auf Ösel   eine vier Uhr morgens dortselbst im Alter von 62 Jahren auf Befehl des Gendarmerieobersten Wassiljew, als des Höchst­kommandierenden am selbigen Orte, standrechtlich erschossen worden ist.

Die Kutusa, die übereinstimmenden Aussagen nach zurzeit ihrer Hinrichtung eine geistig nicht völlig normale Person war, da ihr Seelenleben unter dem Verlust von vier Söhnen in der Masurenschlacht gelitten hatte, war des schwersten Ver­