Nr. 7

Die Gleichheit

Haupt. Nach den ersten, selbständig von der Partei organi fierten Bildungsbestrebungen führte der Weg dahin, im Ver­ein mit dem Bürgertum wissenschaftliche und künstlerische Beranstaltungen für das Proletariat zu schaffen. Doch für die Zukunft handelt es sich darum, die im Volke selbst ruhenden, aus dem Volke dringenden und in ihm gären den geistigen Kräfte emporzuheben, fie lebendig werden, durch sie wiederum Wissenschaft und Geistesarbeit frisch befruchten zu lassen. Ebenso in der Kunst.

Vor kurzem schrieb der wohl bedeutendste unter unseren Architekten, Bruno Taut  , in den Sozialistischen Monats heften" einen Aufsatz, der dieser Forderung der Lösung schöp­ferischer Volkskraft wundervollen Ausdruck gab:" Große Volksbewegungen folgen dem Gedanken. Der Gedanke der Herrsch- und Machtsucht führte zum Zusammenbruch. Der Gedanke der Einheit unter den Menschen, frei von jeder hem­menden Kluft des Besizes, des Standes und der Bildung muß den Aufbau bringen. Aufbau! Eine Gedankenwelt liegt in Trümmern: Verherrlichung des Schlachtenruhms... Per­sönlichkeitskultus, Geldanbetung und Materialismus.... Das soll in Trümmer fallen. Aus seinem Staube soll ein neuer Phönig aufsteigen, ein neues Licht erstrahlen und ein fester Bau erstehen!... Die Architektur ist formgewordener Ausdruck der Zeit; denn wir alle, alle, die wir wollen und ar­beiten, sind Bauende. Bauende einer neuen Kultur."

Nach dieser erst im eigentlichen Sinne sozialistischen Auf­fassung, Geist und Gestaltungskraft des Volkes in schöpferische Taten umzuseßen, muß auch die in der engeren Bedeutung produktive Tätigkeit, die Schaffung der materiellen Güter, den Charakter solch einer schöpferischen Tat gewinnen. Dar­aus fließt ganz von selbst die Notwendigkeit, auch die an­scheinend geringste Teilarbeit mit äußerster Genauigkeit aus­zuführen, sie zur Qualitätsarbeit werden zu lassen, als ein selbst hochwertiges Glied einem hochwertigen Ganzen einzu ordnen.

Mit anderen Worten: es ergibt sich daraus eine Art neuer Arbeitsethik, die die Leistung nicht mehr danach wertet, ob sie auf der sozialen Stufenleiter hoch oder niedrig steht,

ich ihr von Tante Lisbeth aus bestellt, daß das die Sozialdemo fraten doch nicht nötig haben. In ihrem Programm stand schon immer die Forderung des Frauenwahlrechts. Während das Zentrum und die Liberalen das jetzt erst in ihr Programm hineinschreiben, wo das Frauenwahlrecht nun da ist. Fräulein Hahn dachte aber, daß die Sozialdemokraten ihr Programm auch umgeändert hätten. Im übrigen scheint sie das Erfurter Programm, das ich ihr einmal mitgebracht hatte, nicht gelesen zu haben.

Wir mußten heute morgen in der Schule sein, wo man uns sagte, wie wir uns während der Besetzung zu verhalten haben. Wir sollen sehr zurückhaltend sein, aber trotzdem freundlich. Den kleinen Kin­dern wurde gesagt, daß sie den Engländern nicht nachlaufen sollen und nach Schokolade fragen.

In Aachen   sind Belgier eingezogen. Sie scheinen furchtbaren Haß über die Deutschen   zu haben. Jeder Bürger muß für einen bel­gischen Offizier den Bürgersteig verlassen, er muß seinen Hut vor ihm ziehen. In den nächsten Tagen werden auch in Köln Engländer einziehen. Wir werden bei ihrem Einzug im Hause bleiben. Ver­schiedene werden ja wohl mal hingehen müssen und sich die neuen Leute mal anguden.

In unserer Schule wird wahrscheinlich noch eine Volksschule unter­gebracht werden. Wir haben dann abwechselnd morgens und nach­mittags Schule. Der Durchzug der Truppen durch Köln   ist jetzt vorüber. Stöln legt seinen Schmuck beim Einzug der feindlichen Truppen wieder ab. Die vielen Girlanden, die man sah, machten einen karnevalistischen Eindruck. Aber es war doch gut gemeint, und all die heimkehrenden Soldaten haben sich sicher darüber gefreut. Wir haben auch ganze Nachmittage hindurch gesessen und Blumen gemacht. Nach roten Blumen wurde gar nicht gefragt. Bayern  , die durchzogen, verlangten blauweiß, während die anderen Soldaten bunte Blumen bekamen. Sehr dankbar waren sie immer für Rauch­

zeug.

Tante Lisbeth hat heute abend in Mülheim   eine Versammlung. Wir sind also allein zu Hause.

Ich schließe nun. Sei recht herzlich gegrüßt und gefüßt von Deiner

Lotte.

53

wohl aber danach, ob sie in sich möglichste Vollkommenheit er­reicht. Diese Anschauungsweise, die schon von Jugend an durch den Einfluß der Erziehung verbreitet werden muß, wird gerade auch den Geist, der heute noch oft in der weiblichen Arbeiterschaft herrscht, von Grund aus wandeln müssen. Sie wird die Menschen lehren, die Arbeit nicht als Last, sondern als innersten Gehalt des Lebens zu empfinden, in ihr den eigentlichen Ausdruck der menschlichen Persönlichkeit zu sehen. Damit kann Daseinsfreude und Genuß nicht nur verbunden sein; sie entfalten sich vielmehr erst durch solche Auffassung des Lebens zur höchsten Intensität. Das ganze Sein und Empfinden der Menschen würde damit mit neuem, mit ſozia­listischem Gehalt erfüllt, eine andere, wahrhaft sozialistische Gesinnung in jedem wachgerufen; der einzelne fühlte sich un­bedingt als Glied des Ganzen, jedes Eigeninteresse wäre eng dem Gesamtheitsinteresse verknüpft.

Das sind nur wenige knappe Züge zu dem Entwurf eines sozialistischen   Gesellschaftsgemäldes, wie es uns für die kom­mende Welt vor Augen steht.

Nach dem Gesagten brauche ich kaum zu wiederholen, wes­halb mir die Frauen mit in erster Reihe berufen scheinen, es in die Wirklichkeit zu übersehen. Ihrer Tatenluft und unver­brauchten Kraft ist hier das höchste Ziel gesteckt, das Ziel, an der Aufrichtung des glücklichen Zukunftsreichs einer freieren, fittlicheren Menschheit mitzuschaffen.

Uns allen aber, jeder sozialdemokratisch denkenden wie jeder Frau in der Arbeiterschaft erwächst damit zugleich eine ganz bestimmte Aufgabe: bei den Wahlen für die deutsche Nationalversammlung, die in kürzester Zeit stattfinden wer­den, nicht allein selber ihre Stimme für die sozialdemokrati­schen Kandidaten abzugeben, sondern auch werbend und an­fenernd mitzuhelfen, damit in dem ersten Volksparlament des freien Deutschen   Reiches der Sozialismus die Führung über­nehme.

Die Frauen mit ihrer überwiegenden Zahl geben bei diesen ersten Frauenwahlen den Ausschlag; sie mögen zeigen, daß sie politisch reif genug sind, das Wahlrecht richtig auszuüben. Wally 3epler.

Liebe Mutti!

Köln  , den 24. November 1918.

Wir haben wieder schulfrei. Unsere Schule ist ausgeräumt und zu einer richtigen Kaserne umgewandelt. In den Schulräumen stehen Betten, Tische und Stühle und Bänke für die Soldaten. Am 21. d. M. sind sie eingezogen. Im Hofe stehen Bagagetager., Autos, Auto­räder, Fahrräder und andere Sachen.

Die Stadt ist sehr festlich geschmückt. Jeden Tag famen Truppen aus der Etappe. Vom 23. November bis 4. Dezember kommt die Frontarmee. Die Soldaten werden mit Blumen und Kaffee und anderen Sachen beschenkt.

Lotte und ihre Mitschülerinnen überreichen den Soldaten Blumen, die sie selbst gemacht haben. Fritz ist jetzt eben zur Luxemburger Straße gegangen, er will zugucken, wie die Soldaten beschenkt wer­den. Ich bin schon einmal auf einem Soldatenpferd inmitten eines Trupps Bayern   durch die Stadt geritten. Rolf auch schon. Auf dem Bahndamm, der in unserer Nähe ist, halten viele Militärzüge. Die Soldaten verkaufen Lebensmittel, die sie entbehren können. Friß und ich, wir haben jeder ein Kommißbrot geschenkt bekommen. Dami für 1 Mt. Käse, für 1 Mt. Weizenmeht, für 50 Pf. drei Schachteln Schuhfett, einige Taschen Weißkohl und 1 Flasche Odol   zu 0,50 Mr. Viele Grüße von Deinem Paul.

Eingegangene Schriften.

Der Verlag für Sozialwissenschaft bringt in 16 Kupferbruden Bilder aus den Revolutionstagen, die als unvergängliche Doku­mente unserer Tage wert sind, von jedermann gekauft und aufbe­wahrt zu werden. Die einzelnen Aufnahmen geben ein getreues Bild vom Kampf und Sieg der Revolution. Die Karten sind durch jede Parteibuchhandlung oder direkt vom Verlage zu beziehen. Preis 15 Pf. Serien von 16 Stück im Umschlag kosten 2 Mt.

Rita Bardenheuer  , Woher und wohin?" Geschichtliches und Grundsägliches aus der Frauenbewegung. Leipzig   1918, Verlag Naturwissenschaften G. m. b.. 122 Seiten.