Nr. 8

Die Gleichheit

schenwürdige Wohnstätten zu schaffen, brauchen wir ein Reichswohnungsgesez, und zwar so schnell, daß die Wohnungsbauten, welche im kommenden Frühjahr in Angriff genommen werden, bereits durch dieses Gesetz geregelt werden.

Daß für alle Kinder, deren Mütter zur Erwerbsarbeit ge­zwungen sind, mustergültige staatliche Erziehungs. heime geschaffen werden müssen, habe ich bereits in meinem Artikel in der vorigen Nummer der Gleichheit" angeführt. Unser gesamtes öffentliches Erziehungswesen muß durch Reichsgeset neu geregelt werden, so daß es nicht mehr ein sinnloses Vielerlei bundesstaatlicher Volksschulen, son­dern eine einheitliche deutsche Volksschule gibt. Der vor­wärtsstürmende Geist der neuen Zeit muß in die Schule ge­tragen werden, und die Träger müssen Erzieher sein, die von diefem neuen, heiligen Geiste durchglüht sind. Die Heran­bildung dieser Erzieher ist nicht minder wichtig wie die Er­ziehung der Kinder selbst, und darum muß das Reichsschul­gesetz auch sie umfassen.

Was auf fozialpolitischem Gebiet geschaffen werden muß, habe ich ebenfalls in meinem letzten Artikel angedentet.

Ein reiches Arbeitsfeld liegt vor den gewählten Frauen. Auf allen Gebieten sollen sie mitarbeiten und so unserem po­litischen Leben die neue und bessere Note geben.

Klara Bohm- Schuch.

Ein Rundblick

über unsere Frauenbewegung. Unter der Einwirkung des Krieges hatte auch die sozial­demokratische Frauenbewegung stark gelitten. Eine Besserung auf der ganzen Linie konnten wir aber schon in der Mitte des Jahres 1917 beobachten, sie hielt an bis zum Ausbruch

der Revolution.

Nun aber sind unsere Frauen ganz wach geworden. übermüdung und Mutlosigkeit sind von ihnen gewichen, kampf­und arbeitsfreudig stehen sie in Reih' und Glied. Ein starker Strom von neuten weiblichen Mitgliedern findet den Weg zu

Feuilleton

Der frische Wind soll nicht verflauen, Den uns gebracht die große Not, Und nur an sichern Ankertauen

Befestigen wir der Freiheit Boot. Karl Hendell.

Glück.

Von Johannes Belden.

Ich habe heute abend beschlossen, eine Stunde lang glücklich zu fein. Das ist sonderbar für jeden, der das hört, aber für mich ist es noch sonderbarer; denn obwohl ich oft hätte glücklich sein dürfen, habe ich noch nie die Zeit gehabt, es zu sein; oder besser: ich habe sie mir nie genommen. Denn zum Glücklichsein gehört Zeit; und die habe ich nie gehabt. Wenn mir eines gelungen war, worüber ich mich hätte innig freuen dürfen, mußte ich schon an das nächste denken, das mir aufgegeben war; und so haben Hast und Sorgen mir nie mehr erlaubt als dieses: nicht unglücklich zu sein. Aber heute habe ich eine wirklich glückliche Stunde gehabt, und die will ich festhalten.

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Mit meiner fleinen müden Frau, der es genau wie mir geht, denn auch ihr fallen vor Beginn jeder Feierstunde die Augen zu, war ich in einem schlechten Konzert gewesen, in dem lauter be­rühmte Künstler mitwirkten. Und auf dem Heimweg sprachen wir, denn das ist unsere Bestimmung, vom Ausdruck in der Musik. Wenn wir uns einmal aussprechen dürfen und selten haben wir dazu Zeit, führt uns das Sehnen, das uns beide erfüllt, immer wie­der auf so ein Thema; ein Thema, das wir immer schon zu vari­ieren verstanden. Denn wir machen beide rechtschaffen Musik. Und auch heute plauderten wir beim Heimgehen, zu dem wir uns mitten in dem Konzert der berühmten Künstler entschlossen, da­bon, wie wenige Künstler es doch vermögen, unsere Seele zu sich zu ziehen und uns auch nur für Minuten so glücklich zu machen,

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unserer Partei. Manche von ihnen sind gute alte Bekannte, sie hatten sich von der Partei zurückgezogen, weil sie mutlos geworden waren und der Parteihader sie abgestoßen hatte. Andere kommen neu zu uns. Groß ist der Zustrom von Frauen aus höheren Berufen; Lehrerinnen, Künstlerinnen und akade­misch gebildete Frauen, zahlreiche im sozialen Leben erprobte Sträfte sind darunter. Allen diesen Genofsinnen rufen wir ein herzliches Willkommen zu. Wir hoffen auf ein gedeihliches Zusammenwirken mit ihnen bei der Lösung der vielen großen Zukunftsaufgaben.

Das Versammlungsleben ist überall sehr rege. In Dst­und Westpreußen, in Pommern , Mecklenburg und Schleswig­Holstein, in Süd- und Westdeutschland stellen die Frauen einen starken Teil der Versammlungsbesucher. Besondere Frauen­versammlungen finden in so großer Anzahl statt, daß es unmöglich ist, in altgewohnter Weise einzeln darüber zu be­richten. Nicht nur in den großen Städten Berlin , Hamburg , Köln , Stuttgart , Frankfurt , Breslau ist der Zustrom zu den Versammlungen sehr start, auch auf dem flachen Lande und in kleinen Städten ist ein starkes Bedürfnis nach Versamm­lungen vorhanden. Man möchte Rednerinnen aus dem Boden stampfen können. Die Spaltung der Partei hat leider auch stampfen können. eine Anzahl rednerisch und schriftstellerisch tätiger Genossinnen in das andere Lager geführt, wir wurden daher ärmer an Kräften, ohne daß die Unabhängige sozialdemokratische Partei Deutsch­ lands besonders reich wurde, auch dort herrscht unverkennbar ein Mangel an geschulten Frauen.

Erfreulicherweise bringt aber die neue Zeit auch neue Sträfte hervor. So manches bisher schlummernde Redetalent ist in den letzten Wochen erweckt worden. Diese jungen Sträfte für die Zukunft zu bilden, muß unsere Aufgabe sein.

Manche Bezirke, zum Beispiel Ostpreußen , Berlin , Ober­rhein, haben für die Propaganda unter den Wählerinnen be­sondere Frauenbureaus eingerichtet, in denen bewährte Genossinnen die Leitung haben. Sie arbeiten mit einem Stab von Genoffinnen in durchaus selbständiger Weise, natürlich im Einvernehmen mit den Parteileitungen. Erfreulich groß ist die Zahl unserer schriftstellerisch befähigten Genossinnen, die wie das begeisterte Schauen des wahren Schönen glücklich machen muß. Nach dem Schönen in der Kunst suchen wir nämlich schon seit vielen Jahren, jeder für sich, als wir uns nicht kannten, und ge= meinsam, seit wir uns fennen. Manchmal finden wir ein Stückchen davon, und das gibt uns dann jedesmal eine Weihnachtsstimmung, als wär's Christabend, und wir ständen wie vor vielen, vielen Jahren unter dem Baum und hätten eben das Tuch fortgezogen von dem Tisch, den gütige Hände aufgebaut haben. So sind wir miteinander reif geworden, und so werden wir miteinander alt werden. Davon sprachen wir also, wieviel Glück in der Offenbarung des wahrhaft Schönen liegt, das uns durch so viele gottbegnadete Geister in großen und fleinen Gaben auf den immerwährenden Weihnachtstisch gelegt worden ist, und davon, daß es immer wieder ein durch schweres Ringen zu erwerbendes Weihnachtsglück ist, wenn wir das Tuch von diesem Tisch heben dürfen. Und wir sprachen auch davon, wie wenigen Menschen es eigentlich, nicht durch der Gottheit Schuld und auch nicht durch ihre eigene, gegeben ist, das wahrhaft Göttliche in der Kunst zu schauen, mit einem Blick alles zu erfassen, was sie geben kann ihren vollen Ausdruck. Und so famen wir zum hundertundtausendsten Male auf die Technik des vollkommenen Ausdrucks in der Musik und begannen in Ziffern und Tönen zu reden, mit denen ich hier niemand gruselig machen will. Und wir freuten uns, daß uns in der letzten Zeit wieder so manche neue Erkenntnis vom Wesen unserer geliebten Musik auf­gegangen war. So hatten wir unsere Pforte erreicht, und unsere ersten Schritte daheim führten uns, wie stets, an zwei kleine Bettchen. In einem war ein zweijähriger wilder Lockenkopf nur undeutlich zu sehen, in dem andern ein süßes, sanftes und doch energisches Bübchen, das sehr bestimmt an seinem drei Monate alten Fingerchen sog und seine Mutter herausfordernd ins Auge faßte, als wenn es bedeuten wollte: Wenn du noch so müde bist, jekt bist du für mich da. Und Mutti gehorchte, ihre Müdigkeit war verschwunden. Ich aber nahm Abschied, um meinen bösen, braven alten Schreib­tisch aufzusuchen, auf dem ein bedrückender Stoß eiliger Aften lag. Und ich konnte mich nicht enthalten, erst noch schnell die Decke von den Locken in dem ersten Bettchen fortzuziehen und schnell noch das