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Die Gleichheit

die Barteipreffe laufend mit Beiträgen versehen und sich auch sonst eifrig an der schriftlichen Propagandaarbeit beteiligen.

Es läßt sich zur Stunde noch nicht übersehen, wie groß die Zahl der aufgestellten Kandidatinnen ist, fest steht aber, daß wir die Genugtuung haben werden, nach dem 19. Januar eine Anzahl unserer bekannten und bewährten Genossinnen in der Nationalversammlung zu sehen. Auch zum Preußischen Landtag find Genossinnen aufgestellt.

Die bisherige Nechtlosigkeit der Frauen hat die Entfaltung der in ihnen schlummernden politischen, sozialen, rednerischen und organisatorischen Kräfte nicht gefördert. Daß trotzdem verhältnismäßig viele öffentlich tätige Frauen vorhanden sind, zeugt für ihre starke Befähigung, ist aber daneben auch das Resultat der zielbewußten Tätigkeit unserer Partei, die die Frauen stets als Gleichberechtigte in ihren Reihen behandelt hat. Die in turzer Zeit im ganzen Reiche stattfindenden Kom­munalwahlen werden große Anforderungen an die Frauen stellen. Hier gilt es jetzt schon, in Anbetracht der großen Wich­tigkeit dieses Zweiges der öffentlichen Tätigkeit Umschau zu halten nach den geeigneten Genossinnen.

Es ist ferner schon heute notwendig, sich mit den nächsten Aufgaben der sozialdemokratischen Frauenbewegung vertraut zu machen. Es gehört dazu in erster Linie die syste­matische Schulung von Kräften für die Agitation, Organisation und die praktische öffentliche Arbeit. Sobald uns nach den Wahlkämpfen die Möglichkeit gegeben ist, müssen in Kursen Rednerinnen geschult werden, müssen die Genossinnen in be­sonderen Veranstaltungen vertraut gemacht werden mit dem ganzen Aufbau unserer Organisation, müssen sozialpolitische Lehrabende eingerichtet werden, wo dauernd Kräfte heran­gebildet werden. Das umfassendste Arbeitsgebiet der Frauen wird die Arbeit in den Gemeinden sein, die unter den neuen politischen Verhältnissen noch ganz andere Aufgaben lösen müssen als bisher.

Man lernt beim Lehren, das muß auch der Wahlspruch unserer führenden Gerossinnen sein. Wir Frauen wollen hinein­wachsen in die neue Zeit und der Rechte und Pflichten, die sie uns bringt, würdig sein.

M. J.

füße Antlig unserer Elisabeth anzuschauen, meines fleinen Wild­fangs, für den mir fein Rosewort der Welt auszudrücken vermag, wie lieb er ist. Und dann, vor meinem Schreibtisch, auf dem in Unordnung und schöner Harmonie meine treue Geige und eine auf­geschlagene Kantate meines Seelenhirten Johann Sebastian Bach  und einige gelehrte Bücher über den wahren Ausdruck in der Musik über- und neben- und untereinander lagen, faßte ich den für mich sonderbaren Entschluß, mir eine Zigarette anzuzünden und nachher noch einige andere und mir die Freiheit zu nehmen, eine Stunde glücklich zu sein; und das gelang mir vollkommen.

Denn der süße Lockenkopf und der energische sanfte Bub im Bettchen und das strahlende Gesicht meiner auf einmal nicht mehr müden fleinen Frau und unser Gespräch auf dem Heimweg ver­banden sich in meinem träumenden Kopf zu einem klingenden Lied, das von Erfüllung sang. Auf einmal wußte ich, daß unser ge= meinsames jahrelanges Suchen nach dem wahren Ausdruck in der Kunst kein vergebliches gewesen war, wenn wir auch nie zufrieden waren mit dem, was wir fanden. Wohl war eine dankbare Hörer­schar mehr aus Wohlwollen und Unkenntnis als zu Recht mit uns zufrieden gewesen. Wohl hatte uns selten, ich sagte es schon, ein gefundenes Goldkörnlein glücklich gemacht. Aber es war doch wenig für die Arbeit eines ganzen Lebens. Doch die gütige Hand des Schöpfers ließ die Kraft nicht verlorengehen, die wir an unser Suchen gewendet hatten. In unserem geliebten Lockenkopf war es alles märchenhaft wiedererstanden. Bin ich ein eitler Vater? Ist es nur Schein? Dieser befreiende, gewaltige Jauchzer, der wie die Offenbarung einer gewaltigen Urkraft ist, wenn unser kleiner Wild­fang Vati oder Mutti nach einigen Stunden der Trennung wieder­sieht, diese tiefen Töne der Zärtlichkeit, wenn sie mir die Wangen streichelt und mit ihrem süßen, dann ganz weichen Stimmchen sagt: Mein Hati" ,,, mein Hatili", dieses Leuchten der Augen und das Sieghafte, wenn sie triumphierend ruft: Liabeth tann's!". Das be­deutsame Heben des Zeigefingers, wenn sie Mutti erklärt: Hati jetzt Bach üben", die unendliche Weichheit, wenn sie ihren kleinen Bruder Klaus   vorsichtig aufs Köpfchen füßt und ganz leise sagt: Mein Büda Kaus- chen niedich Kerlchen", die beschämte Trauer, mit der

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Was bringt die Sozialdemokratie den Frauen?

Ehe ich diese Frage beantworte, möchte ich zuerst einmal die Frage auswerfen: Was hat die bisherige faiserliche Regierung für die Frauen getan? Nun, nicht allzuviel, und dieses wenige geschah nie, aber auch nicht ein einziges Mal aus eigener Initiative. Jeder Fortschritt, auch der winzigste, mußte langsam, schrittweise erkämpft, jedes kleinste Zugeständnis mußte erst wie mit Zangen der regierenden Macht entrissen

werden.

Da war es vor allem die Sozialdemokratie, die immer und immer wieder Forderungen im Interesse der Frauen auf­stellte, Forderungen, bei denen selbst die bürgerlichen Par teien der Linken mit bedenklichem Stopfschütteln und scheu zur Seite rückten, Forderungen, die heute durch den jähen Lauf der Ereignisse längst überholt worden sind. Den studierenden Frauen waren zwar die Pforten der Universitäten geöffnet worden.

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Aber damit war auch so ziemlich alles erschöpft, was die alte Regierung an modernem Geist aufzubringen vermochte. Die spätere Ausübung fast jedes akademischen Berufes wurde erschwert, ja meist unmöglich gemacht durch die Schran­fen, die das Gesetz von Männern einseitig im Intereffe ihres Geschlechts verfaßt der Tätigkeit der fachlich gebil­deten Akademikerin zog. Auch in der Gemeinde, in der man nach langem, ängstlichem Zögern der Frau ein bescheidenes Plätzchen zugewiesen hatte, konnte sie nach Lage der Dinge ihre Kräfte nicht frei entfalten. Als Arbeiterin wurde sie nur gerade so weit durch die Gesetze geschützt, als das Interesse des Unternehmers es zuließ und ein Mindestmaß an staat­licher Fürsorge es erheischte. Und endlich als Staatsbür­gerin stellte man sie in eine Reihe mit den Unmündigen und den Verbrechern. Sie durfte und mußte sogar Steuern zahlen von dem, was sie sich mühselig durch ihrer Hände oder ihres Geistes Arbeit erwarb, und zwar hatte sie die Berechti gung", genau soviel zu zahlen wie der Mann, aber über die Verwendung dieses von ihr mitaufgebrachten Geldes durfte sie nicht mitbestimmen. Und diese schreiende Ungerechtigkeit

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sie gesteht: Liabeth puputt machen"( faputt gemacht), und das ge­bieterische Marcato, das sie in ihren Befehl legt: Hati hinsegen dort, Bilderbuch vorlesen" was sind sie alle, diese Momente, als die wundervolle Offenbarung, daß alles, was wir ersehnt und mit Schmerzen und Entbehrungen erstrebt haben, sich, höher noch als im menschlichen Kunstwert, in dem göttlichen Kunstwerk des leben­digen Menschleins, in unseren Kindern, umgesetzt hat in den leben­digen Ausdrud einer menschlichen Seele. Legen wir unsere Geige, unser Cello weg, meine fleine müde Frau; wir brauchen sie nicht mehr, um uns zu beweisen, daß wir ehrliche Künstler gewesen sind und es auch ohne Klang immer, ewig in unseren Kindern bleiben werden. Und mir, der in Übertragung des eigenen Sehnens auf die Mitmenschheit seit frühester Jugend nach dem Schlüssel und Sinn der Kunst gesucht hat, um allen, die sich sehnen, wie er selbst, etwas von der Schönheit zu geben, die ich selbst in begnadetent Augenblicken schauen darf, um ihr Leuchten dann lange in freier atmender Brust zu bergen- mir ist heute in einer glücklichen Stunde flar geworden, zum erstenmal ganz klar, daß die Kunst mehr wert ist als nur das: Kunst zu sein, daß sie die göttliche Anteilnahme am Werden eines edleren fünftigen Menschengeschlechts ist. Nenne es ethisches, nenne es ästhetisches, nenne es religiöses Wesen, was du in der wahren Kunst zu schauen meinst es ist der mensch­liche Keim, den wir in das Seelenleben eines kommenden mensch­licheren Geschlechtes legen, wenn wir uns ehrlich mühen, das Gött­wir finden ein himm liche in unserer geliebten Kunst zu finden lisches Geschenk für unsere geliebten Kinder, das ihre Seelen weit und glücklich machen wird. Blicke auf unsere strahlende kleine Elisabeth! Mein Gong schlägt Mitternacht. Auf meiner Schale liegt ein fleiner Berg grauer Asche. Feiner Rauch steigt wie von einer Opferschale auf. Habe ich geträumt geschlafen? Ich weiß es nicht- ich will es schnell tunes ist Mitternacht.

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Aber ich bin eben sehr, sehr glücklich gewesen.

Es ist nichts als die Tätigkeit nach einem bestimmten Ziel, Schiller. was das Leben erträglich macht.