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Die Gleichheit

liche, soziale und kulturelle Wissen unserer Genossinnen muß vertieft, das logische Denken geschult, die Kunst der Sprache ausgebildet und ständig geübt werden. Bei dieser Arbeit sollen wir aber auch der nach Bildung und Wissen strebenden weiblichen Jugend nicht vergessen.

Das oben Gesagte ist nur ein Weg von vielen, um die jetzt vielfach so willig dargebotenen Frauenfräfte für den Dienst des Sozialismus zu schulen. Zu neuen gangbaren Vorschlägen aus dem Kreise der Leserinnen bietet unsere Zeit­schrift stets gerne ihren Raum. Die neue Zeit der praktischen sozialistischen Arbeit und die zukünftigen Wahlkämpfe müssen M. J. uns gerüstet finden.

Aus unserer Bewegung

Emilie Motteler, die Gattin unseres unvergeßlichen Roten Postmeisters" Julius Motteler , ist nach einer Nachricht, die uns in­folge der Wirren erst jetzt erreicht, am Neujahrstag in Leipzig mit ihrem Bruder, Herrn E. Schwarz, einer Gasvergiftung zum Opfer gefallen. Sie war eine treue Gefährtin ihres Mannes auf allen Wanderfahrten, zu denen ihn der harte Dienst unserer Sache in der Zeit des Sozialistengesetzes zwang, eine gütige Helferin und trene Freundin aller, die mit ihr gleiche Not und gleiches Wollen ver­band. Ungezählte Parteigenossen, namentlich die älteren, die un­vergeßliches Erinnern mit dem Hause Motteler verbindet, werden der trefflichen Frau ein treues Andenken bewahren.

Ju Wilmersdorf sprach am 3. Januar die Genossin Adele Schreiber über die Frauen und die Nationalversammlung. Aus der Fülle ihrer Darlegungen leuchtele wie ein roter Faden immer und immer wieder die eine Tatsache heraus: wenn die Frauen als Frauen wählen, wenn sie für ihre eigenen Interessen eintreten wollen, dann können sie nur der Sozialdemokratie ihre Stimme geben.

Schon allein dadurch, daß die Sozialdemokratie in ihrem Er­furter Programm das Wahlrecht auch für die Frauen und die Ab­schaffung aller Geseze fordert, die die Frau gegenüber dem Manne benachteiligen, schon dies allein müßte genügen, um die Frauen in Scharen der Sozialdemokratie zuzuführen. Wie rechtlos war doch die Frau im alten Deutschland ! Wenn der Mann sie schifanieren wollte, konnte er ihr sogar das Recht verweigern, durch irgendeine berufliche Arbeit etwas zum Unterhalt der Familie beizutragen. Sie

Meine Stellung gebe ich auf und will nun wieder ganz meiner Familie leben. Will meinem langentbehrten, vom Kriegs­und Lagerleben umgetriebenen müden Mann ein warmes, sonniges Heim bereiten und will vor allem meinem Jungen eine rechte Mutter werden. Das ist mir tausendmal wichtiger als jede politische Betätigung der Frau. Ich trage gar kein Verlangen danach, mit den Männern zur Wahlurne zu gehen. Das Frauenstimmrecht, diese herbe Frucht, die der Revolu­tionswind uns Frauen vor die Füße wehte, mag aufheben wer will, ich habe Besseres zu tun, als mit den Männern auf einem mir völlig fremden Gebiet zu wetteifern. Komm bald und sieh Dir die glückliche Familie an. Deine Johanna.

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Berlin , den 4. Dezember 1918.

Meine liebe Johanna! Das war wirklich eine Herzensfreude, die mir Dein Brief brachte. Auch ich kann mich der Tränen nicht erwehren, wenn ich mir Euer Wiedersehen nach so langer schmerzlicher Tren­nung ausmale. Ich habe die bittere Not des Scheidens und Alleinseins kennengelernt, als man meinen Mann hinaustrug auf den Kirchhof. Und wenn auch schon Jahre darüber hin­gingen, so blutet die alte Wunde doch bei jedem Anlaß von neuem, und wenn ich mir denke, wie es wohl gewesen wäre, wenn mir ein solches Wiedersehen mit meinem Manne be­schieden gewesen wäre doch still! man soll nichts unerreich­bares, nichts Unmögliches ersehnen. Neidlos und von ganzem Herzen freue ich mich Eures Glückes und werde bald kommen, um mich ein wenig zu sonnen. Eins nur bedrückt mich sehr - ich will es ehrlich aussprechen: es tut mir weh, daß das Glück Dich egoistisch gemacht hat, daß Du Dich Deiner Pflich ten als Staatsbürgerin entziehen willst. Ich kann verstehen,

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durfte ja nicht einmal ein Bant- oder Postscheckkonto haben ohne die Einwilligung ihres Mannes. Und alle die anderen Zurück­setzungen als Ehefrau, als Mutter und vor allem als uneheliche Mutter. Alle diese Sondergesetze, die ausschließlich gegen die Frau geschaffen sind! Sondergeseze gegen ein Geschlecht und gegen eine Selasse! Denn in den wohlhabenden Kreisen hat man sehr wohl ver­standen, sich zu schüßen. Die Sondergeseze gegen Prostituierte! Gegen die Kuppelei!( Und die Mädchen mußten doch irgendwo wohnen!)

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Bei all diesen Gefeßen haben die bürgerlichen Parteien, auch die Fortschrittliche Volkspartei , versagt. Alle bürgerlichen Parteien haben bis kurz vor der Revolution noch auf das erbittertste gegen das Frauenstimmrecht gefämpft! Und jetzt will die Demokratische Partei die Frauen als Stimmyich zur Wahl führen lassen. Sie wendet sich nämlich an den deutschen Familienvater": Bleibe nur so, wie du bist ( in deiner Stellung als Familienoberhaupt), aber bringe- so un­gewohnt es dir auch sein mag, mit den Frauen über Politik zu sprechen deine Frau und deine Töchter hin zur Wahlurne. Nein! So sollen die Frauen nicht zur Wahlurne hingeführt werden! Sie sollen als Freie hingehen! Von allen Parteien trat nur die Sozialdemokratie stets für die Frauen ein. Sie ist die Partei der Arbeiterinnen wie der kaufmännischen Angestellten. Die Partei der Krankenpflegerinnen, Lehrerinnen, Beamtinnen, Haustöchter und Hausfrauen. Ach! über die Heiligkeit des Kochtopfes! Was wird bei der Frau nicht alles heilig genannt. Ich finde nicht, daß das Waschen von Windeln, das Stopfen von Wäsche und Strümpfen, das Kochen von Sauerkohl heilige Sachen sind. Ich begreife nicht, daß man diese untergeordneten Tätigkeiten, die durch technische Mittel ersetzt werden können, heilig nennt.

Heilig nenne ich, wenn die Mütter ihre Kinder selbst stillen, ihre Kinder lieb haben, sie belehren und aufklären. Das sind heilige Dinge, die nicht ersetzt werden können. Heilig ist, wenn sich zwei Menschen lieben, wenn eine Frau ihren Körper nur dem hingibt, den sie wirklich liebt. Die Sozialdemokratie ist auch die Partei der Mütter, denn sie ist die Partei der Kinder. Nur wenn die Sozial­demokratie in der Nationalversammlung die Mehrheit hat und da­durch zur dauernden Macht gelangt, fönnen wir hoffen, über den jetzigen Tiefstand in verhältnismäßig furzer Zeit hinwegzukommen. Nur durch die Sozialdemokratie werden wir zur sozialistischen Re­publik, das heißt zum freiesten und fortschrittlichsten Staate der Welt. Dann wird auch die Abneigung der anderen Völker gegen uns schwinden. Dann werden wir wieder als Gleiche, ja als Vor­bild in die Reihe der Völker eintreten.

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daß es Dich nicht lockt, aus dem Frieden Deines Hauses in den Streit des Tages hinauszutreten. Aber was jetzt auf dem Spiele steht, ist so ungeheuer wichtig, ist von so grenzenloser Tragweite, daß jeder einzelne Mann und Weib sein Bestes einsetzen muß. Es gilt des deutschen Volkes Zukunft, und das Volk der Staat - das sind wir selber, das bist Du und ich, das ist vor allem Dein Kind. Gerade die Mütter dürfen die Gelegenheit zu werftätiger Mitarbeit beim Neu­aufbau des Staates nicht versäumen, denn sie halten in ihren Kindern ein Stück Zukunft greifbar am Herzen.

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Unter Politik versteht man doch nicht allein die auswärtige Politik, dieses schwierigste Problem der Staatskunst, sondern ebenso die gesamte innere Gesetzgebung und Verwaltung. Und nun sage mir, ob es wohl ein Gesetz gibt, das Männer und Frauen nicht in gleich einschneidender Weise berührt! Denke zum Beispiel an die uns alle jetzt so brennend interessierende Ernährungsfrage, die nur in engster Verbindung mit der eigentlichen Volkswirtschaft behandelt und gelöst werden kann. Wie ungeheuer wichtig sind weiterhin die Wohnungs­und Siedlungsfrage, die Besoldungsverhältnisse in Stadt und Land, die Armenpflege und überhaupt jede Art sozialer Fürsorge!

Vor allem aber und das möchte ich jeder Frau und na­mentlich den Müttern immer wieder von neuem zurufen: Kümmert euch aufs eingehendste um die Fragen der Schule, um Erziehung und Unterricht, um das Gesundheitswesen und - um die Sittengesetzgebung! Denn unter diese Rubriken fallen die für die Menschheitsentwicklung in förperlicher und seelischer Beziehung wichtigsten Dinge. Ich brauche Dir nuc die Stichworte zu nennen, um Deiner Zustimmung sicher zu jein. Ich frage Dich: Welchen Einfluß hatten die Frauen bis­her in der Ehegesetzgebung, im Säuglings- und Jugendschuh, in der Strafreform, in den das Familienleben aufs tiefste be­