82

Die Gleichheit

Die ersten Schritte der National­ versammlung  

.

Nun ist die deutsche   Frau in der Politik, und zwar mitten drin, ganz. Nicht stufenweis wie in den anderen Ländern ging unser Aufstieg. Der harte Kampf, den wir um unser Staatsbürgerrecht führen mußten, nahm als selbstverständ­lich die Entwicklung der übrigen Länder zur Grundlage: Ge­meindewahlrecht, Landeswahlrecht und Reichswahlrecht. Es kam anders. Die Wogen der Novemberrevolution trugen uns zum Ziel, ließen uns nicht auf halbem Wege fallen. Die Re­volution gab uns unsere Freiheit, unser Recht ganz, und sie übertrug uns die ganze Verantwortung freier Staatsbür­ger. Nun sollen die deutschen Frauen in ihrer Gesamtheit, sollen vor allem ihre gewählten Vertreterinnen beweisen, daß sie reif sind zu beidem: zur Freiheit und zur Verantwortlichkeit Wie groß diese Verantwortung ist, haben die Entscheidun­gen, welche in den ersten Tagen in Weimar   getroffen werden mußten, wohl jeder Abgeordneten flargemacht. Unsere deutsche Republik, unser junger deutscher   Freistaat mußte auf einen Grund gestellt werden, um sich gesezmäßig entwickeln zu kön­nen. Dieser Grund ist die provisorische Verfassung, und in ihr mußte gleichzeitig die Möglichkeit der Mitarbeit aller Schichten unseres Volkes gegeben werden, ohne daß die Ent­wicklung des sozialistischen   Freistaats, also der sozialen Republik  , irgendwie beeinträchtigt wurde. Die Unabhängigen hatten in letter Stunde viele Abänderungsvorschläge einge­bracht, die zu einem großen Teil unwesentlich waren und nur andere Worte für denselben Sinn sezen wollten. Der Zusatz zum§ 5, der die Beurlaubung der zum Parlament gewähl­ten Soldaten unter allen Umständen sicherstellt, wurde ein­stimmig angenommen. Eine kurze, heftige Debatte entspann sich über die Frage der Abschaffung aller Geheimverträge. Die Unabhängigen verlangten, daß die Regierung der deutschen Republik durch die provisorische Verfassung fest verpflichtet werden müsse, jeden Vertrag vor der Öffentlichkeit abzuschlie­Ben. In vorzüglichen Ausführungen sagte dazu Genosse Landsberg  , daß wir die Abschaffung der Geheimdiplomatie nicht nur wünschen, sondern wollen. Damit bei den anderen Völkern kein Zweifel an der Ehrlichkeit unserer Absichten auf­kommen könne, sagt die provisorische Verfassung im§ 6:

" Sobald das Deutsche Reich einem Völkerbund mit dem Ziele des Ausschlusses aller Geheimverträge beigetreten sein wird, be­dürfen alle Verträge mit den im Bölferbund vereinigten Staaten der Zustimmung der Nationalversammlung   und des Staatenaus­schusses.

Der Reichspräsident ist verpflichtet, die gemäߧ 1 bis 4 und 6 beschlossenen Reichsgesetze und Verträge im Reichs- Gesegblatt zu

berkünden."

Es sei aber nicht zu verantworten, wenn Deutschland   ein­seitig gebunden werden solle, während wir gar nicht wüßten, ob die gegnerischen Staaten bereit seien, sich auf denselben Boden zu stellen. Es sei jezt Sache aller Friedense und Ver­ständigungsfreunde und aller Demokraten des Auslands, ihre Regierungen zu derselben ernsten Bereitwilligkeit zu bringen, wie die deutsche Regierung sie im provisorischen Verfassungs­entwurf bewiesen hat.

Es war der schwere Rechenfehler der Unabhängigen, daß sie das Heil des deutschen   Volkes von der Gerechtigkeit und der Gnade der Ententeregierungen erwartet haben, die doch heute noch im Grunde die Vertreter desselben kapitalistischen  Prinzips find, das in Deutschland   durch die Revolution be­seitigt worden ist.

Ein weiterer wichtiger Antrag der Unabhängigen war, nicht einen Reichspräsidenten zu wählen, sondern durch ein fünfköpfiges Kollegium eine verantwortliche Regierung zu schaffen, die aus seiner Mitte den Repräsentanten bestimmt.

über die Frage: Reichspräsident oder Regierungskollegium ist auch in unseren Kreisen ernsthaft diskutiert worden. Aber die Notwendigkeit raschen Handelns, um Frieden und Arbeit und Brot zu schaffen, hat uns bestimmt, diese Frage zurück­

Nr. 11

zustellen bis zur Beratung der endgültigen Verfassung. Jezt muß der Mann da sein, der zu Verhandlungen berechtigt ist, der den Friedensvertrag unterzeichnet.

Folgenschwer kann jede Entscheidung sein, die getroffen wird und getroffen werden muß. Und ungeheuer groß sind die Aufgaben, die vor uns liegen. Werden wir sie bewältigen können? Diese Frage ist es besonders, welche uns Frauen bestürmt. Mit viel Mut und vielen Hoffnungen sind wir in das erste Parlament des deutschen   Freistaats gegangen, und wir wissen, daß die Hoffnungen von vielen Millionen Schive­stern mit uns find. Viele von uns haben die bittere Tren­nung von der Familie auf sich nehmen müssen, um der Sache zu dienen. Der Parlamentarismus an sich ist etwas Neues für uns, in das wir uns erst hineinfinden müssen. Erwar­tungen und Enttäuschungen stehen nebeneinander; die große Verantwortung macht zunächst befangen. Gut und segensreich fann die Arbeit der Frau im Parlament nur werden, wenn auch die Männer fühlen, daß mit der Arbeitsgenossin ein neues Moment für sie zu den parlamentarischen Erfahrungen gekommen ist, dem sie sich anpassen müssen. überhebung auf der einen Seite würde entweder überhebung auf der anderen Seite oder bei feineren Naturen das vollkommene Zurück­ziehen in sich selbst bedeuten, und beides wäre nicht gut. Nur verständnisvolle Zusammenarbeit von Männern und Frauen dient dem Wohle unseres Volkes.

Das Wohl unseres Volkes, des gesamten deutschen   Volkes muß aber unser höchstes Ziel bleiben, und diesem haben sich auch alle partikularistischen Bestrebungen, alle Sonderwünsche der einelnen Menschen und der einzelnen Staaten innerhalb der deutschen Republik unterzuordnen. Nicht nur auf wirt­schaftlichem, sondern auch auf kulturellem, geistigem Gebiet. Wir Frauen waren wohl alle enttäuscht, daß aus den Trüm­mern der bundesstaatlichen Monarchie nicht der einheitliche stolze Bau des ungeteilten deutschen   Freistaats hervorwuchs. Wir müssen uns in diese Enttäuschung finden, aber wir mis­sen auch mit allen Kräften daran arbeiten, daß sich unser Ideal verwirklicht.

Dazu ist vor allen Dingen die Grundlage für eine geistige Einheit notwendig; die Schaffung gleicher Bildungsmöglich feiten für alle Kinder, ob sie in Nord- oder Süddeutschland  geboren sind und zu Menschen heranwachsen sollen. Wir

brauchen ein Reichsschulgesetz so notwendig, wie wir Reichs­gesetze für den Schutz von Gesundheit und Leben gebrauchen. Wer sich diesen Bestrebungen nach geistiger Einheit Deutsch­ lands   widersett, versündigt sich an Volk und Vaterland und Menschheit. Vor allem dürfte es unter den gesamten Frauen der Nationalversammlung  , welcher Partei sie auch angehören mögen, hierüber keine Verschiedenheit der Meinung geben. Unsere Zukunft sind die Kinder, immer wieder die Kinder, und wir sind berufen, die Grundlagen ihres Glückes zu schaffen. Das ist die größte Verantwortung, die wir tragen, aber auch die stolzeste und schönste. Klara Bohm- Schuch.

Ein Nachwort zu den Wahlen.

Der Krieg ist totes lebe der Krieg! So hieß die Losung bei Beginn des vor wenig Wochen begonnenen und jetzt vorläufig be­endeten Wahlkampfes. Daß ein Krieg etwas Frisch- Fröhliches sei, ist nur eine fromme Sage. Er ist immer traurig, weil widernatürlich. Aber diesmal war er besonders traurig, denn seine Brandfackel leuchtete auch in unsere sonst so friedlichen Frauenversammlungen hinein, und die Faust, die jene Fackel umklammert hielt, gehörte der Bruderhand des Gesinnungsgenossen. Das war das Allerschmerz­lichste.

Wohin man auch fam, es begegnete einem immer die Undult= samkeit und der Fanatismus. Einen versöhnlichen Ausklang nahmen nur wenig Versammlungen, das liegt bei uns hier an den Verhält­nissen. Nicht Westfalen allein ist rote Erde", auch unser Wahlkreis darf besonderen Anspruch auf die Bezeichnung machen. Wie die Zei­tungen, so die Massen, denen unverantwortlich handelnde Schreiber fire Jdeen suggerieren, an die sie selbst vielleicht gar nicht glauben,