Nr. 11

Die Gleichheit

oder doch nur für kurze Zeit, bis sie ihren Irrtum eingesehen haben. Bei den Massen hält der Jrrglaube länger an, sie sind, weil un­fertig und unkritisch, denkträger, und können sich nicht so schnell aufs Umdenken einstellen.

Staum eine Zeit hatte günstigeren Boden bereit für Gespenster­seherei und fire Jdeen als die jetzige. Zu kaum einer anderen Zeit waren die Menschen in ihres Gemütes Grundtiefen unzufriedener als heute. Um so mehr Vorsicht ist dem einzelnen jezt geboten, besonders wenn dieser einzelne als Führer der Massen in Wort oder Schrift gilt. Hier ist an der Arbeiterschaft schwer gesündigt und gefrebelt worden in den Wochen, die seit der Revolution ver­flossen sind.

Tatsache ist doch, daß wir alle uns des großen Geschehens am 9. November von Herzen freuten. Wir waren wie von einem drücken­den Alp befreit. Und mitten in die Freude fiel zugleich das Gefühl schwerer Verantwortung, die bange Sorge: Werden unsere" Leute auch alle genügend reif sein, das Erbe sachgemäß zu verwalten? An die anderen, die unserer Bewegung fern standen, dachte man nicht, ich gestehe: die waren zunächst Luft" für alles Denken und Sorgen. Waren es ja auch tatsächlich. Saßen still in ihren Stuben und harrten in gewohnter Schafsgeduld auf die Entwicklung der Dinge.

Daß sich die Entwicklung im Riesenstaatsgefüge langsam erst und Schritt für Schritt vollziehen könne, war jedem Einsichtsvollen klar. Die junge Republik   mußte das Laufen lernen wie ein lange schwer frank gewesenes Menschenkind. Da waren aber welche, die mit un­serem Süngsten gleich Galopp rennen wollten! Die Folge: es gab Beulen, Wehflagen, Blut floß. Und sie beschimpften die Männer, die den jungen Staat tatkräftig unterstüßten, ihn immer wieder

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Wahrlich, es fällt schwer, den Gedankengängen extrem radikaler Menschen auch nur auf eines Schrittes Breite zu folgen, selbst als Frau, die vieles mit dem Herzen zu beurteilen pflegt. Hier rettet nur Nüchternheit, flares Verfolgen naturnotwendigen Geschehens und Geschehenmüssens. Unsere vielen neugewonnenen Frauen stan­den der Politik seither fern. Sie bringen eine gewisse Frische und Reinheit mit, sind unkomplizierte Naturen. Darum verstanden sie oft auch nicht entfernt den Sinn der heftigen Debatten, die sich heißblütige Diskussionsredner leisteten, die auf dem schwanken Bodeit politischer Jdeologien standen. Der gesunde Sinn der Frauen ivitd sie hoffentlich davor bewahren, den Boden unter den Füßen zit ver­lieren. Viele fühlten sich angewidert, abgestoßen von dem Ton, bet jene extrem Radikalen anschlugen, und sprachen sich nach Schlaß der Versammlungen umumwunden darüber aus. Es ist schon genug, daß jene das Treiben in den öffentlichen Versammlungen verwirrt ge­stalten.

Unsere Frauenversammlungen sollen nicht zu Stätten turbu lenter Butszenen werden. Um Aufklärungsarbeit zu leisten, braucht es nicht der Faust. Unsere Frauen sollen, wenn sie aus der Ver­sammlung nach Hause gehen, freudig bewegt und in Rube alles Gehörte überdenken. Wir müssen unsere Versammlungen so gestalten, daß ihr geistiger Gehalt den Frauen den ihnen zur Gewohnheit. liebgewordenen Stirchgang ersetzt. Unduldsame Fanatifer, die lieber die Welt in Trümmer zerschlagen wollen als ihre Ideen als Jrr­lehre anzuerkennen, tönnen gesund und natürlich empfindenden Frauen keine Lehrmeister sein. Schwester Lydia Ruehland.

aufnahmen, wenn er nahe am Boden lag, zum Dank für ihre Her Die erste Amtshandlung einer Abgeordneten. tulesarbeit Bluthunde", Verbrechergesindel". Anstatt stolz das Haupt zu tragen und in Versammlungen den Männern und Frauen zu künden: Aus unseren Reihen stammen sie, die Deutschlands   Schick= sal und Zukunft lenken, uns ist Heil widerfahren! Ihr Männer, er­zieht mehr solcher Söhne! Ihr Mütter, schenkt der Welt viele solche Kinder! Jugend, tritt in die Fußtapfen dieser Männer, laßt sie eure Vorbilder sein! So mußten sie sagen. Sie aber glichen eher der Meute, den Tempelschändern, die auch dem Nazarener sein Schicksal brachten. Heute ist es nicht das Kreuz, an dessen Stelle tritt der Laternenpfahl, die Sabotage, die den Schnellzug gefährdet, der jene Männer durch die Lande trägt zu ihren Pflichten, die sie tragen, jenem unglückseligen Atlas gleich, auf dessen Schultern die ganze Welt der Schmerzen ruht.

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Feuilleton

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Die in Ostpreußen   gewählten Mitglieder der Nationalversamm­ lung   waren schon vor dem Zusammentritt in Weimar   nach Königs­ berg   geladen worden, um sich dort in Gemeinschaft mit den für Preußen gewählten Vertretern Ostpreußens   als eine Art freier Pro­vinziallandtag zu konstituieren. Nach der Eröffnung der Versamm­lung durch den Oberpräsidenten v. Batocki   mußte ein Mitglied den vorläufigen Vorfiz übernehmen. Nach altem parlamentarischem Brauch wurde dazu das älteste Mitglied aufgefordert. Bei der Fest­stellung des Alters ergab sich, daß unsere Genossin Wilhelmine Kähler   den in diesem Falle nicht ganz einwandfreien Vorzug hatte, die meisten Lenze erlebt zu haben. Die rauhe Politik räumt auch mit alten Geboten der Galanterie auf. Ist die Frau schon gleich­

nahe dem Fenster der alten Frau niederließ, und zwar zu einer bestimmten Stunde. Ihre silbergrauen Federgewänder schimmerten in der Morgensonne, dann und wann flog eines

Die Frauen sind silberne Schalen, in die wir goldene Äpfel der Tierchen aus der Reihe, setzte sich vor das kleine Fenster Legen.

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Alles Große bildet, sobald wir es gewahr werden.

Tiere und Menschen.

Goethe.

Goethe.

as gute Verhältnis zwischen Tieren und Menschen gründet sich auf die gleichen einfachen Bedingungen der Freund­schaft: unbedingtes gegenseitiges Vertrauen, Gerechtigkeit und Liebe. Man verspotte Menschen nicht, die wegen des Todes ihres treuen, jahrelang ihnen anhänglichen Hundes trauern, als sei ein Drgan ihres Daseins zerrissen. Man lache nicht, wenn ich erkläre, daß ich einen zehnjährigen Jungen kannte, der bittere Tränen weinte, als seine Lieblingskuh, die keine Milch mehr gab, geschlachtet wurde, und daß dieser selbige Junge nicht um die Welt das gebackene Hirn dieses Tieres angerührt hätte.

Und es ist nicht rein oberflächlich, wenn auch im strengen Sinne unwissenschaftlich gesprochen, wenn Menschen von der Tierseele reden. Wie eigen die Beziehungen zwischen Tier­und Menschenseele oft sind, können wir häufig erleben, und das mag auch ein Vorfall zeigen, den ich in nachstehenden fura schildern möchte.

In dem Hause, das dem meiner Wohnung gegenüberliegt, wohnte eine alte Frau, der ich lange nicht mehr Aufmerksam. keit schenkte als allen Gegenüberwohnern sonst. Im Laufe der Zeit bemerkte ich, daß sich jeden Morgen eine Schar schöner, rundlicher Tauben wie ein lebendiges Relief am Fenstersims

der Frau, flog wieder zurück, ein anderes erhob sich, flatterte am Fensterchen vorbei auf eine Dachrinne, eine andere er­höhte Stelle, um wieder die Statistenrolle in der reizenden Relieffrönung neben dem Fenster einzunehmen. Bis sich dann endlich der kleine Flügel des Fensters öffnete: eine zitternde, runzlige Hand kam zum Vorschein, öffnete sich und streute Brotstückchen oder Brosamen. Manchmal dürften es auch andere Reste gewesen sein, die in dieser Zeit der Not von der alten Tierfreundin Tisch kamen. Die Tauben flogen eilig herzu, und ihr emsiges Picken gegen die Hand der Alten dünfte mir oft ein dankbarer Kuß.

Das beobachtete ich lange und machte mir oft meine eigenen Gedanken darüber, daß es Menschen gibt, die die Dankbar­keit der Tiere höher einschätzen als die der Menschen, wie es bei dieser alten, sonderlichen Frau sicher der Fall war.

Bis eines Morgens in diesen rauhen Wintertagen das Tauben­relief nach langer, gewohnter Geduld doch immer unruhiger wurde. Eine nach der anderen flog hin, kehrte zurück, flog, ließ sich nieder, pickte wohl auch gegen die Scheiben, die re­gungs- und spiegellos zugleich waren, aber es war vergebens. Was konnten sie zu erfahren suchen? Was konnte es ihnen nügen, zu erspähen, ob ihre Wohltäterin krank oder verzogen sei? Nein, verzogen konnte sie nicht sein, sagte ich mir; das hielt ich nicht für möglich.

Und es wurde mir an einem der nächsten Morgen bestätigt: Die Tauben tauerten neben dem Fenster gleich unruhig wie vorher und wußten nicht, daß ihre Freundin soeben das Haus Julius Zerfaß  . für immer verließ.