Nr. 11

Die Gleichheit

tischen Erfahrungen. Wir haben den Willen und oft auch die schlum­mernde Befähigung, praktische Arbeit im Staatswesen mit zu leisten. Ich möchte hierbei nicht versäumen, auch den Genossen ein Mahn­wort zuzurufen: Versäumt es nicht, eure Frauen zu Hause über alles aufzuklären. Die Zeiten sind vorbei, wo ihr sagen konntet: Ach, was versteht eine Frau davon! Fördert die Aufklärung eurer Frauen! Ihr werdet in ihnen Kameradinnen finden, und viel schöne Feierstunden werdet ihr zu Hause mit eurem Weib erleben, wenn ihr ihr für die Politit Herz und Hirn geöffnet habt. Ihr leistet da­mit wertvolle Arbeit für die Allgemeinheit, und eure Frauen wer­den lernen, sich ihrer politischen Rechte und Pflichten würdig zu erweisen. Frau St.

Worte von Goethe.

Häffe Byron Gelegenheit gehabt, sich alles dessen, was von Opposition in ihm war, durch wiederholte derbe Äußerungen im Parlament zu entledigen, so würde er als Poef weit reiner da­ffehen. So aber, da er im Parlament kaum zum Reden gekommen ist, hat er alles, was er gegen seine Nation auf dem Herzen hatte, bei sich behalten, und es ist ihm, um sich davon zu befreien, kein anderes Mittel geblieben, als es poetisch zu verarbeiten und aus­zusprechen. Einen großen Teil der negativen Wirkungen Byrons möchte ich daher verhaltene Parlamentsreden nennen, und ich glaube, sie dadurch nicht unpassend bezeichnet zu haben." Goethe zu Eckermann am 25. Dezember 1825. *

Eine Oppofifion, die keine Grenzen hat, wird platf. Die Ein­schränkung aber nötigt sie, geiffreich zu sein, und dies ist ein sehr großer Vorteil. Direkt und grob seine Meinung herauszusagen, mag nur entschuldigt werden können und gut sein, wenn man durchaus recht hat. Eine Partei aber hat nicht durchaus recht, eben weil sie Partei iff. Goethe zu Eckermann am 9. Juli 1827. * Alle im Rückschreifen und in der Auflösung begriffenen Epochen find subjekliv, dagegen aber haben alle vorschreitenden Epochen eine objektive Richtung. Unsere ganze jeßige Zeit ist eine rück­schreifende, denn sie ist eine subjektive.... Jedes tüchtige Be­ffreben dagegen wendet sich aus dem Innern hinaus auf die Welt, wie Sie an allen großen Epochen sehen, die wirklich im Streben und Vorschreiten begriffen und alle objektiver Natur waren. Goethe zu Eckermann am 29. Januar 1826.

gung durch eigenste Anschauung der Armut und Not geworden war, hat sie sich zugleich praktisch auf allen Gebieten der sozialen Ar­beit betätigt. Ebenso wie die Genossin Luke ist sie Mitglied des Arbeiterrats und außerdem des Bezirksrats der Amtshauptmann­schaft Döbeln.

Das ganze Elend der Weber hatte die im Jahre 1872 geborene Minna Eichler durchzukosten. Infolge der traurigen Lebens­bedingungen dieser Arbeiterklasse war es dem Vater nicht möglich, seine Familie zu ernähren, so daß die Tochter schon als Kind aufs Gut arbeiten gehen mußte. Bis zu ihrer Verheiratung als Dienst­mädchen tätig, erlernte sie später die Etuisbranche. Die in der Volksschule erworbenen Kenntnisse erweiterte sie durch Teilnahme an Bildungskursen und besonders in der Gewerkschaftsschule in Berlin  . Nachdem sie durch ihren Mann, vor allem aber auch durch ihre praktischen Erfahrungen als Hausfrau bei der Schußzollgesetz­gebung zum Sozialismus gekommen war, gehört sie seit 1906 dem Parteivorstand von Sachsen- Altenburg an, welcher Wahlkreis fie auch in die Nationalversammlung   entsandt hat.

Ebenso wie die jüngste, 28jährige Genoffin der Fraktion, die im Regierungsbezirk Oppeln   gewählte Frieda Haute, die in Katto­wizz in städtischer Fürsorgetätigkeit arbeitet, ist auch die von der Provinz Heffen- Nassau entsandte Johanna Tesch   durch ihren Mann unserer Partei zugeführt worden. Im Jahre 1902 gründete die damals 27jährige den Bildungsverein für Frauen und Mäd­chen der Arbeiterklaffe in Frankfurt   und im Jahre 1906 die Frank­ furter   Ortsgruppe des Zentralverbands der Hausangestellten. Wäh­rend des Krieges hat sie sich in ausgedehntester Weise in städtischen Kommissionen und Deputationen in Frankfurt   betätigt.

Infolge eines mit 18 Jahren mitgemachten Streiks für den neunstündigen Arbeitstag im Buchdruckergewerbe kam die im Be­zirk Bromberg   gewählte, heute 41jährige Gertrud Lodahl   in die Gewerkschaftsbewegung hinein, so daß sie bereits mit 20 Jah­ren in Berlin   in den Vorstand des Buchdruckerhilfsarbeiterver­bands gewählt und später Vorsitzende der Ortsgruppe wurde. Nach ihrer Verheiratung wurde das genossenschaftliche Interesse in ihr geweckt, und wenn sie auch politisch rednerisch tätig ist, so arbeitet

Soziale Fürsorge und Sozialdemokratie.

Von Hedwig Wachenheim  .

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( Schluß.)

Daß der weitere Ausbau des Arbeiter- und Arbeiterinnenschutes, der sozialen Versicherung, der Armen-, Jugend- und Wohnungs­fürsorge, des öffentlichen Gesundheitslebens und die Besserstellung der unmittelbar durch den Krieg Betroffenen unbedingt erforderlich ist, weiß heute jede Frau, die durch die soziale Fürsorge Einblick in die Lage der arbeitenden Massen hat. Einmal, weil die Privat­fürsorge durch ihren Mangel an Mitteln nicht in der Lage war, ausreichend zu helfen, und zweitens, weil das Vertrauen der Ar­beiterschaft ihr fehlte. Nur die umfassendste und weitestgehende soziale Gesetzgebung fann eine weitere Schädigung unseres ohnehin schwver geprüften Volkes verhindern. Es wird nicht leicht sein, in Deutsch­ land   zukünftig Mittel aufzubringen über die Abtragung der Kriegs­schuld und der Kriegsentschädigung hinaus, aber diese Mittel müssen aufgebracht werden, da nur sie ein weiteres Herabsinken verhindern können. Man kann nach dem Zusammenbruch Deutschlands   nur die Worte des Würzburger   Parteitags wiederholen: Die elementarsten Lebensnotwendigkeiten unserer heutigen staatlichen Gemeinschaft, nicht moralische Erwägungen, zwingen uns zur Lösung der in diesem furzen Programm umschlossenen Aufgaben."

Wie notwendig die Regelung der Interessenvertretung der Arbeiter schaft innerhalb des Betriebs und die Schaffung örtlicher oder be= ruflicher Schlichtungsstellen oder fester Tarifverträge ist, haben die wilden Lohnkämpfe der letzten Wochen gezeigt. Deutschland   kann nur durch stete und intensive Arbeit wieder in die Höhe kommen. Diese Arbeit kann nur erzielt werden durch eine geregelte, ver­nünftige und fachkundige Mitarbeit der Arbeiter bei der Festlegung ihres Arbeitsverhältnisses. Daß die Arbeitervertreter dazu in der Lage sind, haben sie während des Krieges häufig genug gezeigt. Aus demselben Grunde ist auch die Sicherung des Koalitionsrechtes notwendig. Es sollen nicht unnötige Reibereien zwischen den beiden Parteien des Arbeitsvertrags entstehen, durch gleiches Recht für beide Teile können sie vermieden werden. Das Würzburger   Pro­gramm sagt ganz richtig: Die Grundlagen, von denen aus die Arbeiterschaft ihren fulturellen Aufstieg erreichen will und erreichen muß, sind die Drganisationen."

Auch die elementarsten Lebensnotwendigkeiten unserer heutigen staatlichen Drdnung fordern diese Sozialreform, denn die Soziali sierung kann heute auch von einer sozialistischen   Regierung nur all­mählich durchgeführt werden. Wo aber nicht die sozialistisch organi­

fie doch in der Hauptsache schriftstellerisch für gewerkschaftliche und genossenschaftliche Zeitschriften.

Der Wahlkreis Hamburg  ( Bremen  ), Regierungsbezirk Stade  , hat die 41 jährige Hamburger   Genossin Johanna Reige entsandt. Mußte sie sich als junges Mädchen ihren Lebensunterhalt zunächst als Dienstmädchen, später als Arbeiterin in einer Buchdruckerei berdienen, so nahm sie nach ihrer Verheiratung die sich ihr durch Teilnahme an Fortbildungskursen sowie an der Parteischule in Berlin   bietende Möglichkeit wahr, ihre Volksschulkenntnisse zu er= weitern, um das Gelernte sodann in den Dienst der Partei zu stel­len. Seit 17 Jahren ist sie, zunächst in Hamburg  , dann während 8 Jahren in Vegesac politisch tätig, bis vor einigen Jahren die Hamburger Genoffinnen sie in den Vorstand des dortigen Sozial­demokratischen Vereins beriefen. Während des Krieges arbeitete fie in der sozialen Fürsorgetätigkeit, besonders als Mitglied des Speiseausschusses der hamburgischen Kriegsküchen.

Ebenfalls von der Wasserkante stammt die Vertreterin des Wahl­treises Schleswig- Holstein  , Luise Schröder  ( geboren 1887). Als Arbeiterkind früh mit den Sorgen der unteren Schichten ver­traut, wurde sie durch das Studium der sozialdemokratischen Lite­ratur, besonders von Bebels Frau", überzeugte Sozialdemokratin. Während sie sich ihren Lebensunterhalt als Privatsekretärin ber­diente, arbeitete sie in ihrer freien Zeit als Mitglied des Ortsvor­stands Altona- Ottensen für die Partei sowie in städtischer und so­zialer Betätigung der Stadt Altona  .

Aus einfachen Verhältnissen stammen die beiden Schwestern Marie Juchacz  ( gewählt im Regierungsbezirk 1 Potsdam) und Elisabeth Röhl  ( Köln- Aachen). Der Vater war ein alter De­mokrat, der der Sozialdemokratie sympathisch gegenüberstand, und alle drei Kinder bekannten sich früh zum Sozialismus. Das Leben beider Schwestern war voller Arbeit. Während die ältere, unser Parteivorstandsmitglied und Redakteurin der Gleichheit", die 39jährige Genossin Juchacz  , in ihrer Jugend als Dienstmädchen, Fabrikarbeiterin, Krankenwärterin und Schneiderin ihr Brot ver= diente, um dann zunächst als Parteisekretärin in Köln   und später als Sekretärin im Parteivorstand Deutschlands   ihre ganze Arbeits­