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Die Gleichheit

sierte Gesellschaft, sondern noch der private Inhaber der Produk tionsmittel Arbeitgeber ist, ist heute ein ausgebauter Arbeiterschutz und die Sicherung der Rechte der Arbeiter beim Ausbau des Ar­beitsverhältnisses erforderlicher denn je. Denn das überangebot an Arbeitskräften würde sonst zu namenlosem Elend führen. Aus dem­selben Grunde ist der Ausbau der Sozialversicherung und die Re­form der eigentlichen Sozialfürsorge( Armen-, Jugend- und Woh nungsfürsorge) dringend notwendig. Ein derartig ausgebautes, die Notwendigkeiten der Gegenwart umfassendes Sozialprogramm hat nur die Sozialdemokratie. Die bürgerlichen Parteien betonen zwar gegenwärtig ihre freundliche Stellung zur Sozialreform, aber ihr politisches Programm ist so auf die Gegnerschaft zur Arbeiterschaft eingestellt, daß sie, auch wenn vorher andere Absichten geherrscht haben, allmählich zur Befestigung ihrer politischen Stellung zu Feinden der gesamten Arbeiterbewegung werden müssen. Damit werden sie auch Feinde der Sozialreform, die die Arbeiterschaft hebt und stärkt. Die Sozialdemokratie aber hat über das Programm der Sozialreform hinaus das Bestreben, die Grundlagen des heu­tigen Arbeitsverhältnisses zu ändern. Die Sozialisierung bedeutet zunächst die Überführung der einzelnen Betriebe in die Hände der demokratisch organisierten Gesellschaft, in die Hände der sozia­listischen Republik. In diesen sozialisierten Betrieben stehen die Ar­beitnehmer nicht mehr im Gegensatz zu den Arbeitgebern, denn der Arbeitgeber ist der Staat, dem ihre politische Arbeit gilt, und dem ihr Wille die Form gibt. Durch das Medium des Staates- ver­walten sie selbst ihre Betriebe. Die Forderung des Arbeiterschutzes und das Arbeiterrecht werden zur Selbstverständlichkeit. Wichtige Kräfte, die jetzt im Stampfe gegen die der Sozialreform wider­strebenden Arbeitgeber und ihre, politischen Organisationen ver braucht werden, werden dann frei und können der Wohlfahrt aller dienen, die das höchste Jdeal des sozialistischen   Staates ist.

So wird die soziale Frage durch die Eroberung der politischen Macht durch die Arbeiter gelöst. Nur so ist die wirkliche Lösung der sozialen Frage, die Beseitigung der sozialen Ungerechtigkeit und der wirtschaftlichen Not der Arbeiter möglich. Wer mitarbeitet am sozialen Hilfswerk, wer die soziale Frage lösen will, der muß sich der politischen Partei der Arbeiter, der Sozialdemokratischen Partei anschließen und in ihr um die Eroberung der politischen Macht durch die Arbeiter ringen. Lassalle   sagte in dem schon mehrfach erwähnten ,, Arbeiter- Programm", daß ein Staat, welcher unter die Herrschaft der Idee der Arbeiter gesetzt wird, mit höchster Selarheit und vollem Bewußtsein, die sittliche Natur des Staates, dem ein­kraft der Partei zur Verfügung zu stellen, lernte die 30jährige Eli­ sabeth Röhl   als Schneiderin das Elend der Heimarbeit kennen. Beide Schwestern arbeiteten durch Teilnahme an allen sich bieten­den Bildungsmöglichkeiten daran, ihre in der Volksschule erwor­benen Kenntnisse zu vervollständigen und insbesondere in das Wesen der sozialistischen   Weltanschauung einzudringen, um das so erworbene Wissen dann rednerisch und schriftstellerisch ihren Mitschwestern wieder zu vermitteln.

Ein schönes Beispiel, wie es durch eisernen Fleiß und Energie möglich ist, sich trok mangelhafter Vorbildung geistig emporzu­arbeiten, gibt die vom Regierungsbezirk Arnsberg   entfandte 39jäh­rige Genoffin Klara Bohm- Schuch. In einer an Liebe, aber infolge der Notlage der Familie auch an Arbeit reichen Kindheit stand der heutigen, auch unseren Leserinnen bestens bekannten Schriftstellerin keine weitere Bildungsmöglichkeit zur Verfügung als die Dorfschule ihres Heimatorts in Westhavelland  , die lediglich durch das Wissen der feinsinnigen Mutter vervollständigt werden konnte. Wie ernst und tief das Kind veranlagt war, zeigten die schweren inneren Glaubenskämpfe während des Konfirmations­unterrichts, die zu einer heftigen Nervenerkrankung führten. In dem Wunsche, sich einen Beruf zu schaffen, kam Klara Bohm nach Berlin  , wo sie zwei harte Jahre im Kampfe ums tägliche Brot teils als Verkäuferin, teils als Kontoristin verbrachte, bevor es ihr ge= Tang, sich wirtschaftlich eine einigermaßen gesicherte Stellung zu schaffen. Heute lebt sie seit zwölf Jahren in glücklicher Ehe mit dem Kaufmann Schuch und erfreut sich der zärtlichsten Liebe ihres Töchterchens. Seitdem die junge Klara Bohm sich zum Sozialis­mus durchgerungen hat, ist sie im Interesse ihrer Mitschwestern sowohl rednerisch als auch besonders literarisch tätig.

Eine Reihe unserer Vertreterinnen in der Nationalversammlung  hat die sozialdemokratische Weltanschauung gewissermaßen mit der Luft im Elternhause in sich aufgenommen, so die im Regierungs­ bezirk Potsdam  ( zweiter Wahlkreis) gewählte Elfriede Ryned, deren Mutter die bekannte Berliner   Agitatorin Frau Staegemann war. Infolgedessen war unsere heute 46 Jahre alte Genoffin von den Mädchenjahren an im Dienste unserer Bewegung tätig, was

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zelnen durch die Vereinigung aller zu einer Entwidlung zu ver helfen, zu der der einzelne nicht befähigt gewesen ist, zu seiner Aufgabe macht, weil die Solidarität der Interessen, die Gemein­samkeit und die Gegenseitigkeit in der Entwicklung die sittliche Jdee des Arbeiterstandes ist". Und wenn er fortfährt, daß ein solcher Staat der Arbeiter mit freier Lust und vollkommenster Konsequenz vollbringen würde, was bisher nur stückweise und in dürftigsten Abrissen dem widerstrebenden Willen abgerungen worden ist..., und somit notwendig einen Aufschwung des Geistes, die Entwicklung einer Summe von Glück, Bildung und Wohlsein voll­bringen würde, wie sie beispiellos dasteht in der Weltgeschichte", so wissen wir alle, daß das in unserem, durch den Krieg so schwer be­troffenen Lande nicht möglich ist, aber wir müssen uns auch sagen, daß der Staat der Arbeiter, dessen Zweck es ist, das menschliche Wesen" zur positiven Entfaltung und zur fortschrittlichen Entwick­lung zu bringen, allein befähigt ist, uns aus den schweren Tagen der Gegenwart besseren Zeiten entgegenzuführen.

Genossenschaftliche Organisation

zur Erleichterung der Hausarbeiten.

Der Fortschritt der Menschheit hängt wesentlich davon ab, daß es gelingt, alle gesellschaftlichen Bedürfnisse mit dem geringstmöglichen Aufwand an Arbeit zu befriedigen. Nach dem Maß der Arbeit be­stimmt sich die Muße, die erst den Menschen in den Stand setzt, der Entwicklung seiner Persönlichkeit zu leben. Heute wird enorm viel Arbeitskraft vergeudet, weil der kapitalistischen   Gesellschaft eine plan­mäßige, zwedbewußte Drganisation der Güterherstellung und-ver­teilung abgeht.

An Beispielen für diesen Mangel fehlt es nicht, wie andererseits auch bereits die Ansäge einer zweckmäßigen Organisation bestehen. Ein Musterbeispiel stellt der vielfach noch übliche Milchhandel dar. Wie häufig trifft man nicht den Zustand, daß in ein Miethaus ebensoviel Händler kommen, als Familien darin wohnen. Man stelle sich nur einmal das Unsinnige einer solchen Verteilung vor. Wie viele Menschen sind nicht überflüssigerweise beschäftigt; um wie­viel wird die Ware nicht dadurch verteuert! Das Gegenstück dazu ist die Bestellung der Postsendungen, die einheitlich und wohlfeil organisiert ist. Wie teuer würde wohl ein Brief kommen, wenn die Bestellung nach dem Muster des Milchhandels eingerichtet wäre! Und welche ungeheure Menge von Menschen würde allein für diese dahin führte, daß das Vertrauen der Genossinnen sie im Jahre 1912 in den Kreisvorstand Teltow- Beeskow berufen hat. Wie bei so vielen von uns umfaßte ihre Tätigkeit während des Krieges hauptsächlich die soziale Fürsorge, und zwar in ihrem Wohnort Treptow  - Baumschulenweg.

Ebenso wie die im Jahre 1876 geborene Abgeordnete des Regie­rungsbezirks Magdeburg   und Anhalt, Frau Minna Boll­ mann  , ist auch die Vertreterin der Proving Posen, die 49jährige Frieda Lührs, von den Eltern in sozialistischem Sinne er­zogen und später durch das Leben in ihrer sozialdemokratischen Überzeugung gefestigt worden. Sie sind beide seit vielen Jahren agitatorisch für unsere Partei tätig, und besonders die Genossin Lührs hat während des Krieges auch in sozialer Hinsicht fleißig gearbeitet.

Auch unser ältestes weibliches Fraktionsmitglied, die in West­ preußen   gewählte 56jährige Anna Simon, ist schon durch ihren Vater, einen Schneidergesellen, mit unseren Bestrebungen vertraut gemacht worden. Als Kurbelstepperin wurde sie Mitbegründerin des Verbands aller in der Kurbelstepperei beschäftigten Personen, dessen zweite Vorsitzende sie vier Jahre lang war. Später wurde sie in verschiedene Ortsvorstände des Textilarbeiterverbands be­rufen. Seit dem Jahre 1911 ist sie, Streisvorstandsmitglied des so­zialdemokratischen Wahlkreises Westhavelland  .

Die Leiden des Sozialistengesetes waren es besonders, die die bom Wahlkreis Pommern   entsandte Genossin Else Höfs   der Sozialdemokratie zuführte. Im Jahre 1887 wurde der Vater aus Stettin   ausgewiesen, wodurch die Mutter und die damals 11jäh­rige Tochter gezwungen wurden, in schwerer Heimarbeit sich ihr Brot zu verdienen. Die Verfolgungen, denen in damaliger Zeit unsere Genossen ausgesetzt waren, machten Else Voigt früh wissend und zur Anhängerin unserer Partei. Heute ist die mit dem Stadt­verordneten Höfs verheiratete Frau Vertrauensperson unserer Stettiner   Genossinnen und Mitglied des Pommerschen Bezirksvor­stands. Während des Krieges hat sie zu ihrem Teil versucht, die vom Kriege den Menschen geschlagenen Wunden in ihrem Wohnort mit zu heilen.