Nr. 11

Die Gleichheit

Arbeit benötigt! Postverkehr im heutigen Umfang wäre ein Ding der Unmöglichkeit. Eine ähnliche Vergeudung der Kräfte stellen die vielen gleichartigen Kaufläden usw. vor, denen gegenüber das Warenhaus und besonders der genossenschaftliche Betrieb die fort­geschrittenere Form der Warenverteilung vorstellt.

Die schlimmste Verschwendung der Arbeitskraft aber geschieht durch die Millionen Einzelhaushalte, in denen Millionen Frauen tagein tagaus und Jahr für Jahr mit den gleichen Arbeiten be­schäftigt sind. Man denke nur allein an die Zubereitung des Essens, an die Ausbesserung der Wäsche und Kleidung, ihre Reinigung, den Einkauf der Nahrungsmittel, welche Tätigkeiten für jeden Haushalt besonders ausgeführt werden, und es wird sofort erkannt, daß hier eine gewaltige Menge von Arbeit über das erwünschte und not­wendige Maß hinaus geleistet wird. Welcher Muße würden fich unsere Hausfrauen erfreuen, wenn jene Verrichtungen zweckmäßiger organisiert wären! Besonders die kinderreichen Mütter, aber auch alle anderen Frauen könnten erst wirklich Menschen werden, könnten sich unterrichten, bilden, öffentlich betätigen, erholen, mehr als bis-, her der Erziehung der Kinder, dem Wohle der Familie widmen, wenn ihnen ein Teil ihrer Arbeiten abgenommen würde.

Daß das möglich und durchführbar ist, haben früher viele Frauen bezweifelt, die heute anders darüber denken. Wenn man ehedem auf die Vorteile der Errichtung großer allgemeiner Küchen hinwies, so bekam man vielerlei Einwände zu hören. Aber was erlebten wir jetzt während des Krieges? Fast überall find Volksküchen für die Massenspeisung eingerichtet, und es beteiligt sich daran ein ganz erheblicher Prozentsatz von Familien. Die riesig vermehrte Erwerbs­arbeit macht vielen Hausfrauen" die Tätigkeit im Hause unmög­lich; sie sind gezwungen, die Zubereitung des Essens der öffentlichen Küche zu überlassen. Stellen wir uns einmal vor, der äußere Zwang zur Benuzung der Massenspeisung fiele fort und an die Stelle des mit friegsmäßiger Snappheit und Einförmigkeit hergestellten Essens träte eine schmadhafte träftige Kost, die nach wissenschaftlichen Er­fahrungen bereitet, allen Ansprüchen an eine gesunde und aus­reichende Ernährung genügte welche ungeheure Erleichterung müßte das den Frauen bringen! Der zeitraubende und oft ärger­liche Einkauf fiele fort, ebenso die umständlichen Vorbereitungen und schließlich die Herstellung selbst. Jede Hausfrau weiß, welche Lasten das alles bedeutet, welche Muße sie allein dadurch gewinnen könnte. Mit Recht sagt Bebel: Die Beseitigung der Privatküche wird für ungezählte Frauen eine Erlösung sein. Daß die Massen­füche auch eine bessere Ausnutzung der Nahrungsmittel ermöglicht,

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Während alle diese Genossinnen mehr oder weniger durch die selbstempfundene Not der arbeitenden Schichten oder durch Erzie­hung dem Wesen unserer Weltanschauung nahegebracht worden find, hat die Fraktion zwei Mitglieder, die aus bürgerlichen Kreisen stammend durch wissenschaftliche Erkenntnis zum So­zialismus gekommen find. Bezeichnenderweise sind beide, ebenso wie unsere vor wenigen Jahren verstorbene frühere Genoffin Lilh Braun, Offizierstöchter. Sie erkannten die Oberflächlichkeit der Kreise, in denen sie erzogen wurden, und machten sich frei von der althergebrachten Bahn, auf der auch ihr Leben sich hätte be­wegen sollen.

Es ist dies zunächst die im Jahre 1877 in Mek geborene An= tonie fülf, die den Wahlkreis Oberbayern   und Schwaben   ver­tritt. Mit 21 Jahren verließ sie das Elternhaus, um sich durch ein Lehrerinnenexamen auf eigene Füße zu stellen. Während ihrer Tätigkeit in einem Fabrikvorort lernte sie die Nöte der Arbeiter kennen, und durch das Studium der Werke unserer Meister, be­sonders Marx und Engels, wurde sie dem Sozialismus gewon­nen, und seitdem verwendet sie ihr Wissen sowohl in politischer als auch in sozialer Hinsicht im Interesse der Unterdrückten.

Die zweite diefer Frauen ist die im Jahre 1866 in Schlesien   ge­borene Schriftstellerin und Gattin des württembergischen Minister­präsidenten Anna Blos  , die durch das Vertrauen der württem­hergischen Wähler in die Nationalversammlung   entsandt worden ist. Durch den Besuch höherer Schulen sowie der Universität Berlin war es ihr möglich, sich als Lehrerin und Oberlehrerin auszubilden und zu betätigen. Die so gewonnenen Erfahrungen stellt sie nun­mehr als Mitglied des Ortsschulrats Stuttgart   sowie in ihrer Tä­tigkeit in verschiedenen kommunalen Einrichtungen der Stadt Stuttgart   in den Dienst der Allgemeinheit. Den Leserinnen dürfte sie durch verschiedene Artikel sowohl in der Gleichheit" als auch in der sozialistischen   Tagespreffe bekannt sein. Aber auch ihre Bro­schüren verdienen von den Genoffinnen gelesen zu werden, so ganz besonders die Schrift Kriegsarbeit in der Gemeinde", die anläßlich der jetzt überall in Deutschland   stattfindenden Gemeindewahlen besonders aktuell ist.

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sei nur nebenher erwähnt, obwohl es jetzt und später von großer Bedeutung ist.

Wie die Bereitung der Speisen, so lassen sich noch eine Reihe anderer Verrichtungen zweckmäßiger und arbeitsparender durchführen. Es sei nur an die Wäsche erinnert. Welche Vorteile bietet nicht die Inanspruchnahme von Waschanstalten. Da sie aber heute durchweg Privatbetriebe sind, die als Hauptzweck einen guten Profit für den Besizer verfolgen, so kommen sie nur für die wenigsten Arbeiter­Haushaltungen in Betracht. Werden sie aber genossenschaftlich betrieben( wie es hier und da in Holland   schon der Fall ist), so fällt das bisherige Hindernis fort, denn alle erzielten Vorteile kommen den Genossen wieder zugute. Und warum sollten nicht schließlich auch Ausbesserungsanstalten nach demselben Grundsay errichtet werden? Der genossenschaftliche Zusammenschluß fann eine vollständige Umwälzung der heutigen unproduktiven Einzelhaus­wirtschaft herbeiführen.

Die gegenwärtige Wohnungsnot zwingt zur Schaffung neuer Wohnräume. Dabei wird der genossenschaftlichen und gemeinnüßigen Tätigkeit eine bedeutende Rolle zufallen. Wenn bei der Errichtung solcher Genossenschaftshäuser auch Zentralheizungen und Warmwasser­leitungen eingebaut werden, lassen sich weitere Arbeitsersparnisse im Haushalt herbeiführen, ein Punkt, der zweifellos auch im Wohnungs­bau besonderer Berücksichtigung wert ist.

Die genossenschaftliche Organisation ist berufen, viele Nachteile der Privatwirtschaft zu beseitigen, sie wird auch den Frauen die not­wendige Muße bringen, die ihnen ermöglicht, erst wirklich Menschen zu sein. Der Krieg hat schon viele Umwälzungen mit sich gebracht. Er wird zweifellos auch den Anstoß geben, die Unwirtschaftlichkeit unseres häuslichen Lebens zu beseitigen. Neue Betätigungsmöglich= teiten tauchen für unsere Frauen auf. Die reichen Kräfte, die in der proletarischen Frauenwelt schlummern und bisher gebunden waren, werden frei und dem Fortschritt unserer Klasse, der Befrei­ung der Frau und dem Wohle des ganzen Menschengeschlechts zu= M. gute kommen.

Warum die Menschen so wenig behalten können, was sie lesen, davon ist der Grund, daß sie so wenig selbst denken. Wenn jemand das, was andere gesagt haben, gut zu wieder­holen weiß, so hat er gewiß selbst viel nachgedacht; es sei denn, daß sein Kopf ein bloßer Schrittzähler wäre, und der gleichen find manche Köpfe, die des Gedächtnisses wegen Auf­Lichtenberg. sehen machen.

Wie immer alle diese Frauen sich bisher betätigt und wie sie der Allgemeinheit bereits gedient haben mögen, so sind sie doch in der parlamentarischen Arbeit Neulinge, und sie sind zugleich Bahn­brecherinnen für die, die nach ihnen kommen werden. Gilt es auch für sie, zunächst zu lernen, so dürfen wir doch die berechtigte Hoff­nung haben, daß sie in nicht zu ferner Zeit nicht nur gleichberech­tigt( wie schon heute), sondern auch gleichwertig unseren parlamen­tarischen Genossen zur Seite stehen werden. Luise Schröder  .

Sehnsucht.

Dumpfes Drängen lebt mir in der Seele, Himmelwärts möcht' sie die Schwingen breiten, Aber ach noch decket Rauchgeschwele Blaue Höhn und sonn'ge Weiten.

Rote Nebel brauen über Brachen, Blutgedüngte Saaten wollen reifen, Saulig schillern trübe Lachen, Und die Rachefurien schweifen. Unheilschwanger braust es in den Lüften, Schmutzig- brodelnd heben sich die Gründe, Leid und Schuld klagt an den Grüften, Und die Not gebiert die Sünde.

Seele, laß die Hoffnung dir nicht rauben, Laß zum Brand das Glimmen werden, Schür' das Feuer heil'gen Glaubens, Daß die Freiheit siegt auf Erden. übe sorgsam und mit reinen Händen Altardienst am Gral der Bruderliebe, Daß der Menschheit Tempel sich vollende, Lüg' und Neid und Haß zerstiebe.

Charlotte Buchow.