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Liebesgebärde.

Herrlich ist des Menschen liebende Gebärde:

Die Gleichheit

Sie schliesst den leuchtenden Himmel ein und die dunkle Erde. Sie reisst ein Herz aus einer verzweifelten nacht

Und bat alles Glück und alle nöte des Lebens durchdacht.

Unter ihr blühen die Blumen der Seele auf

Und tragen süssen Duft zu den Sternen der nächte hinauf. Unter ihr wird der missklang Gesang, Geschrei melodei, Und wie Nebelgestalten wallen die Sorgen der Cage an uns vorbei.

Liebesgebärde: Hand einer Mutter auf ihres Kindes Haar, Herz einer Frau wie ein Tempel der Liebe, verklärt und wunderbar, Arme, zur Opferung ausgebreitet bewusst und bereit, Schulter, beladen mit schluchzendem menschheitsleid. Liebesgebärde: Ein Wort, eine Cat aus tiefstem Verstehn, Auf die Gottes Hugen, zwei funkelnde Sterne, herniedersehn.

Tagebuchblätter aus Weimar  .

Hans Gathmann.

Weimar  , den 4. Februar 1919. Die Erwartung bedeutungsvoller Tage erweckt Gefühle der Span= nung und Erregung. Wenn die Reiseverhältnisse des Jahres 1919 nicht so miserabel wären, daß man zum Erempel von Köln   a. Nh. bis Weimar   zwei volle Tage braucht, dann kämen bestimmt alle parlamentarischen Neulinge, zumal die Frauen, mit hochklopfendent Herzen in die Musenstadt Weimar  . Der ungeheuren Bedeutung der nächsten Tage und Wochen sind sich aber alle( troß Reise- und sonstiger Schwierigkeiten) bewußt.

Die erste Sigung der größten Fraktion entbehrt des Feierlichen durchaus. Man fommt mitten hinein in Verhandlungen. Ein großer Teil der Abgeordneten fehlt noch. Der Saal ist ungebeizt, und draußen zeigt das Thermometer 5 Grad unter Null. Schlechte Akustik und einige merkwürdige Erzeugnisse der Malerkunst, die den Volks­haussaal in Weimar   berschönen", lassen auch unser Empfindungs­thermometer unter Null finken.

Weimar  , den 5. Februar 1919. Zweiter Sigungstag der Fraktion. Die Gewählten des Volkes sind fast vollzählig da. Die Frauen, neunzehn an der Zahl, sind ebenfalls erschienen. Man wird schon wärmer und darf auch Mäntel und Tücher draußen lassen; denn der Saal ist leidlich geheizt. Mit den Fragen innerlich vertrauter, verfolgt man mit Interesse die Besprechung all der wichtigen Dinge, die zur Verhandlung stehen. Die oftmals lebhafte Debatte über Anträge, die Besprechung der tieftraurigen Vorgänge in Bremen   geben die Gewißheit, daß diese Tage den Auftakt bilden zu den kommenden entscheidenden Dingen. Am Abend Sigung der Genossinnen unserer Fraktion. Notwendig ist das Kennenlernen und die Aussprache. Nicht nur die neuen Aufgaben in der Nationalversammlung  , sondern auch die Fragen des Ausbaus unserer Parteiorganisation müssen beraten werden. Alle Genossinnen sind der Auffassung, daß fortlaufend Be­sprechungen aller Fragen gepflegt werden müssen zum Nutzen unserer Bewegung.

Weimar  , den 6. Februar 1919. Eröffnung der Nationalversammlung  . Erregte Stimmung im flaggengeschmückten Weimar  . Vor dem Nationaltheater staut sich die Menge. Die obersten Ränge, als Zuschauerraum bestimmt, find dicht gefüllt. Journalisten und Photographen haben Hochkonjunktur. Das Theater ist als solches wunderschön, als Tagungslokal hat es natürlich viele Mängel. Mit gutem Willen aber ist es erträglich. Die Bühne( jetzt Tribüne") ist herrlich geschmückt. Maiblumen, Flieder, Nelken und lichtes Grün steigern die Erwartung zu hoff­nungsvoller Stimmung. Die Präsidentenglocke tönt, niemand sieht, wer sie bewegte. Unter feierlichem Schweigen der Versammlung beginnt Ebert zu sprechen. Seine Rede ist erfüllt vom Ernst und von der Bedeutung der Stunde. Der Widerspruch von ganz links und rechts, der sehr bald einseßt, wird unterbrochen und abgelöst vom Beifall des größeren Teiles der Versammlung.

Nr. 11

Unser verehrter Genosse Pfannkuch ist, so wollen es seine acht­undsiebzig Jahre, Alterspräsident. Stolz sind wir, daß er, ein Symbol sozialistischen Wollens und Arbeitens, die ersten Geschäfte der deutschen   Nationalversammlung erledigt.

Weimar  , den 7. Februar 1919.

Wahl des Präsidenten. Dr. David wird von allen Parteien des Hauses, mit Ausnahme der Mitglieder der Unabhängigen Sozial­ demokratischen Partei  , gewählt. Er nimmt an und beweist in seiner Antrittsrede, daß die Leitung der ersten deutschen   Nationalversamm lung in gute Hände gelegt wurde. Die Weihe des vorherigen Tages liegt noch während der Ausführungen Davids über dem Hause. Daß es ein Vertreter unserer Partei ist und sein muß, erscheint selbstverständlich. So haben sich die Zeiten geändert.

Die Wahlen der Vizepräsidenten: Fehrenbach, Haußmann und Dr. Dietrich erfolgen auch glatt und durch Stimmzettel; ebenfalls die der Schriftführer. Bertagung der Versammlung auf den 8. Februar. Zusammentritt der Fraktion und Beratung über die Besetzung der wichtigen Posten im neuen Reiche. Es sind die ernstesten Angelegen­heiten des deutschen   Volkes, und schwer legt sich das Empfinden auf alle, wie hart wir an der Verantwortung tragen.

Weimar  , den 8. Februar 1919. Erste Lesung des Entwurfes der provisorischen Reichsverfassung. Der Staatssekretär des Innern, Preuß, spricht lebendig, aber an die Zusammensetzung des Hauses fann er sich nicht gewöhnen: Meine Herren". Doch der weibliche Teil" fühlt sich durchaus nicht verletzt. Es bleibt bestehen, daß das erste Wort, die erste Anrede in der deutschen   Nationalversammlung 1919, von Ebert gesprochen, Meine Damen" war.

Weimar  , den 10. Februar 1919.

Zweite und dritte Lesung des Entwurfes. Die Parteien, an der Spige die sozialdemokratische, geben ihre Erklärungen ab, die dem Entwurf zustimmen. Alle behalten sich natürlich ihre endgültige Stellungnahme zur fünftigen Verfassung vor. Die unabhängige Sozialdemokratie hat eine Reihe von Anträgen eingebracht. Ihr Redner, der Abgeordnete Dr. Cohn( Nordhausen  ), begründet sie näher und nimmt die Gelegenheit wahr, in längeren Ausführungen den Standpunkt seiner Partei darzutun. Bei der Abstimmung Annahme der einzelnen Punkte mit großer Mehrheit der Versammlung. Ge fanitabstimmung: Annahme des Gesezes. Dann legt Scheide mann mit einfachen, klaren Worten die Obliegenheiten der Volks­beauftragten in die Hände der Versammlung. Payer bittet die bis­herige Regierung, die Arbeiten bis zur endgültigen Bildung des Reichsministeriums weiter zu erledigen. Nächste Sigung am 11. Fe­bruar: Wahl des Reichspräsidenten  .

Weimar  , den 11. Februar 1919. Der Abstimmungsmodus will es, daß heute mit dem Buchstaben E begonnen wird. Unter allgemeiner Heiterkeit gibt Ebert den ersten Zettel ab. Heute sigt auch eine Frau als Schriftführerin im Präsidium: Frau Lore Agnes   von der Unabhängigen Sozialdemokratischen Partei  . Der wichtige Augenblick der Resultatsvertündung findet ein laut­loses Haus: Ebert ist vom heutigen Tage an der oberste Vertreter des deutschen   Volkes und des Deutschen Reiches. Mit großer Stimmenmehrheit hat ihm die deutsche Nationalver­ sammlung   das wichtigste Amt in schicksalsschwerer Stunde auferlegt, das zu vergeben ist. Würdige und erhebende Worte dazu findet der Präsident Dr. David, der zusammenfassend die Leistungen Eberts nach dem 9. November 1918 und seine Pflichten jezt und in nächster Zukunft würdigt. Über die hysterischen Anfälle einiger Leute von der Unabhängigen Sozialdemokratischen Partei   während dieser Rede gehe ich hinweg.

In seiner schlichten, nachdrücklichen Weise, bezugnehmend auf seine Herkunft und Tätigkeit, ist uns Ebert mit seinen Schlußausführungen das Symbol des reifgewordenen Volfes, das sich mühsam sein Men­schentum und seine Würde erkämpft hat und es festhalten und zäh verteidigen wird.

Ein Hoch auf Volf und Vaterland beschließt den wichtigen Teil der Tagung. Draußen steht die Menge Kopf an Stopf und wartet auf den Präsidenten des neuen Deutschland  . Elisabeth Röhl  . Verantwortlich für die Redaktion: Frau Marie Juchacz  , Berlin   SW 68. Druck und Berlag von J. H. W. Diez Nachf. G.m.b.H. tn Stuttgart.