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Die Gleichheit

Parteien kommen zu Wort: Gröber( Zentrum) sagt uns nichts Neues. Naumann von der Deutschen Demokratischen Partei spricht von seinem Standpunkt aus sehr gut. Neue Gedanken und eine plastische Art, sich in guten Bildern auszudrücken, fesseln von Be­ginn bis Schluß der Rede. Minister Erzberger spricht und über­rascht die Neulinge durch die Frische und Schlagfertigkeit seiner Sprechweise.

Weimar , den 14. Februar 1919. Wir wählen einen neuen Präsidenten der Nationalversamm­ lung . Es wird uns Frauen besonders schwer, daß wir uns in die Notwendigkeit fügen müssen. Gern tauschen wir Fehrenbach nicht gegen David ein. Freudig geben wir dagegen Heinrich Schulz als Vizepräsidenten unsere Stimme. Graf Brockdorf- Rantau liest fluge Säße vom Blatt; er wirkt ermüdend, weil er kein Redner ist. Aber seine Ausführungen zur demokratischen Handhabung der auswärtigen Politik empfinden wir als Bekenntnis eines Mannes, der trot aristokratischer Herkunft ein Demokrat ist. Für unsere Partei spricht Keil, fernig und ohne Phrase, wie es seine Art ist. Wie aus der Versenkung, aus entschwundenen alten Tagen taucht von den Deutschnationalen Graf v. Posadowsky- Wehner auf, der in seiner Rede von versunkener deutscher Herrlichkeit uns blaue Wunder erzählt. Wir verstehen seinen Schmerz.

Weimar , den 15. Februar 1919. Rede des Staatssekretärs Schiffer zur Finanzlage des Reiches. Interessant ist uns aus seinem berufenen Munde die uns freilich nicht neu dünkende Feststellung, daß unmittelbar nach Ausbruch des Krieges die Demoralisierung einsette. Der Herr Staatssekre= tär verteilt auch gerechterweise Licht und Schatten bei der Be­urteilung der Arbeiter- und Soldatenräte. Das Volk braucht Zeit zur Selbstbesinnung!" Ein trefflich Wort, Herr Staatssekretär! Die Unabhängige Sozialdemokratische Partei schickt Haase vor. Und Noske , der Wielgehaßte, antwortet sicher und kraftvoll, wie wir es erwarten. Herrn Rießers Rede zum Schluß ist eine Vor­lesung über die Sozialisierung, wie sie Vertreter der Deutschen Volkspartei verstehen.

Weimar , den 17. Februar 1919. Dumpfe, gedrückte Stimmung im Hause. Wir spüren: die dunklen Wetterwolfen, die erstidend über dem deutschen Volke hängen, haben sich noch gefahrdrohender über unserem armen Vaterland zusammengeballt. Schlucken wir die neuen Härten des Waffenstillstandes? Ein Volf erträgt viel. Das beweist das deutsche . Erzberger gibt die Bedingungen bekannt; das Haus ber­tagt sich, die Fraktion tritt zu langen, ernsten Beratungen zu=" jammen.

Weimar , den 18. Februar 1919. Die Deutschnationalen gehen zum Angriff über. Sie be= schränken sich nicht allein auf die Produktion von Anträgen, son­dern reiten eine schneidige Attacke gegen Erzberger . Er ist ihnen ein Dorn im Fleisch. Dr. Vögler ist außerordentlich scharf, er hat die ehrenvolle Aufgabe", die Interpellation Heinze zu begründen. Das Haus erlebt eine außerordentliche Debatte: alle Parteien und dann auch der Herr Ministerpräsident und Herr Minister Erzberger nehmen das Wort. War das ein großer Tag?" so fragen sich die Vertreter, innen" des Volkes!

Weimar , den 19. Februar 1919. Arbeitsminister Bauer entrollt sachlich und in Kürze sein Pro­gramm. Er vertritt ein Ressort, dem wir Frauen das größte Interesse und die größte Arbeitsfreudigkeit entgegenbringen. Hierauf entfesselt Oberst Reinhard mit seinen sachlich unanfecht­baren Ausführungen Sturm bei der äußersten Linken. Und dann fommen wir Frauen das erstemal zu unserem Rechte der Rede im Parlament. Genossin Juchacz spricht. Und daß sie ihre Aufgabe ganz in unserem Sinne löst, ist an anderer Stelle nachzulesen. Es stand bei uns fest: die erste Frau, die spricht, muß eine Sozia­listin sein. Historisch gewordenes Recht! In diesem Falle gibt es das. Es war unser Tag, der Tag der Frau! Meier ( Kaufbeuren ) und Falk( Köln ) finden hinterher nur ein dünn­besettes Haus mit ihren Reden.

Weimar , den 20. Februar 1919. Herr Traub, der Verwandlungsmann, eröffnet heute den Reigen der Opposition von rechts. Nach einer Rede Gotheins, des Demo­fraten, und Entgegnung Erzberger- Traub erlebt das Haus teil­weise recht heitere anderthalb Stunden. Wer ihm die bereitet? Herr Abgeordneter Kahl, sicher tüchtiger Professor des Kirchen­rechtes aber ein merkwürdiger Politiker. Er verwechselt Par­lament und Schulklasse. Seine Anrede Meine Herren" erklärt er mit dem 50. Buche des kanonischen Rechtes, wonach in diese Anrede auch weibliche Teilnehmer eines Parlamentes einbegriffen

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sind. Mit der Revolution kann sich Herr Professor" nicht ein­verstanden erklären, er erklärt ihr Vorhandensein als nicht be= rechtigt". Ach ja, Revolutionen fragen nicht erst bei deutschen Pro­fessoren an, ob sie kommen dürfen. Sie sind da. Minister Lands­ berg unterzieht sich der Pflicht, die gröbsten Verstümmelungen historischer Wahrheit und geschichtlichen Geschehens zurückzuweisen. Er wendet sich gegen Traub und Kahl mit großem Geschick. Der Tag ist angefüllt mit parlamentarischen Ereignissen: Frau Zieß besteigt das Podium. Es ist zwar 7 Uhr abends und die Rede ist laut eigener Bemerkung der Unabhängigen Sozialdemokratischen Partei zwei Stunden lang. Aber das Hohe Haus beschließt, noch selbigen Tages die geistige Strapaze zu ertragen. Unsere Erwar­tungen sind nicht allzuhoch gespannt. Aber was tam, übertrifft einfach alles. Und darum stelle ich fest: die gröbste, plumpste Wahlrede ist mit Aufwendung von Stimmenkraft und Gesten= reichtum über das Haus gegangen. Toben auf der Rechten, leb­hafter Widerspruch Mitte und links. Schön ist es nicht. Der Tag schließt mit Sensation: Debatte Noske- Bock über die Vorgänge in Gotha . Sturm auf der äußersten Linken. Aber die Kreditvorlage tommt noch unter Dach. Schluß ein Viertel vor 10 Uhr abends. Weimar , den 21. Februar 1919.

Eine Hiobspost: Eisner erschossen. Die zweite: Roßhaupter und Auer sind nicht mehr. Wir wollen es nicht fassen. Nach Eröffnung der Sitzung bespricht Ministerpräsident Scheidemann vor der stehenden Versammlung das schreckliche Geschehen. Der Jrrsinn des Meuchelmordes, des politischen Verbrechens geht um. Das Furchtbarste bleibt uns nicht erspart. Der Präsident Fehrenbach hofft, daß unser Mitglied Auer nicht tot sei, denn eine letzte Mel­dung spricht nur von schwerer Verlegung. Wir flammern uns daran, wir brauchen tüchtige Menschen, und Auer kennen wir als einen der Besten. Mechanisch wird das Diätengesek verabschiedet. Ministerpräsident Scheidemann nimmt das Wort zur Abwehr gegen ganz rechts und ganz links: Professor Kahl und Frau ziet. Es ist nötig, daß Front gemacht wird gegen den furchtbaren Terror, der den letzten Rest Volkskraft vernichtet. Die Worte waren not­wendig. Eine Erklärung des Justizministers Heine gegen Behaup­tungen der Frau Zieh hören wir, und dann folgt eine äußerst geistvolle und geschickte Rede des Genossen Meerfeld . Nach Steger­wald, dem klugen Zentrumsmann, folgt die dritte Parlamenta­rierin: Gertrud Bäumer . Warum sollen wir Sozialdemokraten nicht loben, was uns an einer bürgerlichen Frau gefällt? Äußerst wohltuend ist ihre Rede, getragen vom zukunftgestaltenden Idea­lismus", den auch wir Mehrheitssozialistinnen" teilen. Wir wer­den als Parteien gute Stücke Weg gemeinsam gehen. Dem Vater­land wird es nicht zum Schaden sein. Die übliche Geschäftsord­nungsdebatte nimmt uns noch etwas Zeit weg; Rechts und Links fühlen sich benachteiligt durch den Schluß der Debatte; mit keinem Rechte: sie kamen ausgiebig zu Wort. Neues ist von ihnen nicht zu erwarten. Nächste Sibung: Montag, den 24. Februar.

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Weimar , den 24. Februar 1919. Ein Reichswehrgesetz soll schnell beschlossen werden, um in die unordentliche Auflösung. unseres Heerwesens und das wilde Ent­stehen von Freiwilligenkorps Ordnung zu bringen. Aber ein ge­ringfügiger Formfehler gibt den Unabhängigen die Möglichkeit, das Zustandekommen des Gesetzes um einen Tag zu verschleppen. Sie lassen sich solchen billigen Erfolg nicht entgehen, was man bei ihrem Mangel an Erfolgen verstehen kann. So bleibt für die Sigung nur ein Monolog des Reichsministers des Innern, Dr. Breuß, übrig, der die neue Verfassungsvorlage mündlich be­gründet.

Weimar , den 25. Februar 1919.

Die Sigung beginnt schon vormittags um 10 Uhr, weil man den Fraktionen Zeit zur Beratung der Verfassungsvorlage geben will. Aber leider zieht sich die Sigung bis nachmittags nach 1/22 Uhr hin. Wir können mit unserer Fraktionssizung also erst um 4 statt um 2 Uhr beginnen. Die nächste Sigung des Plenum ist am Donnerstag. Es soll dann drei Tage lang vor- und nach­mittags im Plenum gearbeitet werden, damit die erste Beratung der Verfassungsvorlage noch in dieser Woche erledigt werden kann. In der ersten Märzwoche beginnen dann die Ausschußberatungen, und zugleich tritt in Berlin die preußische Nationalversammlung zusammen. Wir haben also in den nächsten Tagen tüchtig zu tun. So viel haben wir Frauen jedenfalls schon erfahren müssen: ernste parlamentarische Arbeit ist kein Kinderspiel, man ist am Abend Elisabeth Röhl . eines fizungsreichen Tages redlich müde.

Berantwortlich für die Redaktion: Frau Marie Juchacz , Berlin SW 68. Druck und Verlag von J. H. W. Diez Nachf. G.m.b.ß. in Stuttgart .