N».l7 Die Gleichheit lZZ Dazu kommt, das heutige Geschlecht ist zu aufgeklärt, um an hie.Einmaligkeit" und„Ewigkeit" der Liebe zu glauben. Die meist späten Heiraten— durch wirtschaftliche Ursachen bedingt— bringen eS mit fich. daß man selten seine.erste" Liebe heimführt. Man weiß also aus Erfahrung, daß man nicht nur einmal lieben kann. Man ist unsicher, ob das LiebeSgefühl, auf das man die Ehe ausbauen will, auch stark und dauerhaft genug ist, um vor dein Alltag und für eine längere Zeit zu bestehen. Auf diese beiden Tatsachen gründet fich die Abneigung— vor allem des Mannes—, sich auf Lebensdauer an einen anderen Menschen zu binden. Die andere Möglichkeit des Zusammenlebens der beiden Geschlechter: die.freie Liebe", hat wiederum so viel Schattenseiten für die Frau— ich erwähne nur den sittlichen Makel, der für die Frau immer noch damit verbunden ist, und vor allem daS Fehlen jeder rechtlichen Grundlage für den Fall der Mutterschaft—, daß man es den Mädchen wirklich nicht verdenken kann, wenn sie nichts davon wissen wollen. Als Mitte zwischen diesen beiden Gegensätzen halte ich heute die Zeitehe für einen durchaus gangbaren Weg, eine Anpassung an die Übergangszeit von der kapitalistischen zur sozialistischen Gesellschaft. Den Schwarzsehern aber, die in der Zeitehe nur die Möglichkeit sehen, daß die Frau noch mehr als bisher ausgenutzt, der Flatterhafte durch das Gese? uni. rstützt und unsere.Sittlichkeit" noch weiter sinken wird, möchte ich an die Macht der GeMhnung erinnern. Ich bin fest davon überzeugt, daß zwei Menschen, die zwei Jahre miteinander gelebt haben, nicht ohne zwingenden Grund auseinandergehen. Insofern wird und soll die Zeitehe nichts anderes sein als eine Probezeit. Und die Kinder? Elternschaft bedeutet mehr als.ein Kind in die Welt zu setzen". Und die Männer und Frauen, die sich ihrer Bater- und Mutterpflichten bewußt sind, werden am besten für die Probeehezeit auf Kinder verzichten. Oder der Wille zur Eltern- schast müßte stärker sein als alle Bedenken. Soll also t«n Ehescheuen mit dieser Zeitehe die Möglichkeit gegeben werden, das Eheglück zu versuchen, so ist eS nur zu begrüßen und liegt sowohl im Interesse der Einzelmenschen wie auch der Gesamtheit, wenn die Gesetze der Zeitstimmung Rechnung tragen und die Zeitehe in das Eherecht mit aufnehmen. Überhaupt ist es notwendig, das gesanite Eherecht von Grund aus umzugestalten, die bisherige Rechtlosigkeit und Zurücksetzung suchenden Teilnahme sein müsse, die Härte, gleichviel aus welchen Ursachen sie komme und wer immer die Mitschuld trage, zu mildern. Und dies sei nur möglich, wenn man die Härte geißle, um Liebe für die Bedrängten werbe und zur Toleranz mahne. „Und die Mitschuldigen, eigentlich die Gleichschuldigen zu Nichtern aufruft?" „Ja. Aber ich und andere wissen keinen andern Weg zur Hilfe." „Dann überlassen Sie die feigen ledigen Mütter ihrem verdienten Schicksal, oder Sie helfen an der Unwürdigkeits- erklärung der Menschenschöpfung mit. O, ich bin keine Moral- anarchistin. die das Kind der Ledigen einfach gutheißt. Nein, weil das Kind unter dem Mangel eines Elternheims leidet. Nur unter diesem rein wirtschaftlichen Gesichtspunkt verurteile auch ich die Irrende. Sonst nicht, weil die Zeremonie nichts mit dem Gebot der Natur zu tun hat. Und ich werde Ihnen beweisen, daß ich, nach Ihrer Meinung eine Theoretikerin, vielleicht mehr zu meiner Anschauung bekehrte, wenn auch Wider ihren Willen, indem ich ihnen die Härte zu betätigen unterband. Interessiert Sie meine Tätigkeit?" „Ich bitte, Sie geben mir viel." „Meine Schwester starb kurz nach ihrem Gatten. Ich übernahm das nach dem Tode des Schwagers geborene Kind, einen Knaben, als mein eigenes. Ich bin Pflegerin gewesen. Meine Jugend wurde durch eine Enttäuschung an einem Manne getrübt. Doch ich überwand sie. Kurz, ich erklärte mich, wo immer ich eine ledige Mutter verdammen hörte, als solche. Und zögerte nicht mit meines Erklärung, stellte sofort die Behauptung auf, daß die Kritikerin sicherlich einst der gleichen Schuld anheimgefallen, doch glücklicher oder geschickter gewesen sei. Sie kennen die Verstellungskunst gewisser Weiber, ich nenne sie nicht Frauen. Aber sie wirkt nur auf den der Frau zu beseitigen und wie im politischen Leben auch in rechtlicher Beziehung die Frau dem Manne völlig gleic�ustellen. »-» Kurt Heilbut. In ihrer jetzigen Form ist die Ehe eine Barbarei. Eine Grausamkeit ist die Bneinanderkettung zweier Menschen mit fast unlöslichen Fesseln. Ich sage: fast unlöslich. Denn das Gericht verlangt erst den Nachweis schwerer Verfehlungen oder gar gänzlicher moralischer Verworfenheit des einen, ehe es die Ehe trennt. Drum prüf«, wer sich e w i g bindet, ob sich das Herz zum Herzen findet. Der Wahn ist kurz, die Reu ist langl Wieviel auftechte, stolze, lebensfrohe Menschen sind nicht schon in jammervoller Ehe zu armseligen, gedrückten, freudlosen Geschöpfen geworden, die ihre Qual vor den Augen)>er Mitwelt verbergen, die ihre Fesseln bis ans Ende ihrer Tage hinschleppen. Das Wort geschieden hat einen bösen Klang. Es begegnet nach unseren Anschauungen schlimmstem Vorurteil, weil eben die Ehescheidung nur aus schwerwiegendsten Gründen ausgesprochen wird. Wäre nicht deshalb schon eine Reform der Eheschließung zu wünschen? Der Gedanke der freien Ehe hat manchen Vorkämpfer gefunden. Bebel spricht für ihn in seinem Buche: Di« Frau. Die frei« Ehe ist das Ideal der Veieinigung von Mann und Frau, aber zur freien Ehe ist unser moralisch so tief gesunkenes Volk jetzt am allerwenigsten reif. Nur pflichtbewußte, vollgereifte, sittlich hochstehende Menschen können fich zu freier Ehe zusammen- geben. Erst müssen unsere alteingebürgerten Sittenbegriffe revolutioniert, von der neuen Freiheit des Geistes und des menschlichen- Willens durchdrungen werdeip Die freie Ehe, die das Brandmal der Unsittlichkeit trug, war im verflossenen Polizeistaat nicht möglich. Sie ist eS auch jetzt noch nicht. In den Wahltagen hat sich gezeigt, wie- Bebels Idee von der freien Ehe als wirksame Waffe gegen die Sozialdemokratie(ebenso wie das sozialistische Prinzip der Trennung von Kirche und Schule) mit viel Erfolg gebraucht wurde ganz besonders bei den kirchlich gesinnten, dabei politisch gänzlich ungeschulten Frauen. Mir selbst wurde, als ich bei befreundeten, sogar hochgebildeten Frauen für unsere Sache agitierte, die Forderung der freien Ehe im Erfurter Programm (es ist unglaublich, wieviel Leute über das Erfurter Programm reden und es Vicht kennen) als das Todesurteil der Sozialdemokratie in sittenstrengen, ehrsamen Frauenlreisen bezeichnet. Würden der Einführung einer Probeehe in diesen Kreisen nicht ebenfalls Schwierigkeiten gemacht werden? Denn auch der Mann, nicht auf eine Frau oder richtiger gesagt auf das Fräulein Marie, wie ich mich stolz trotz„meines" Buben so hieß. Es mangelte nicht an Konflikten, aber die Erfahrung lehrte mich, daß die meisten Frauen— auch Mädchen— ängstlich vor einer Verbreiterung des Konflikts zurückscheuten. Sie wußten, warum. Und glauben Sie nicht, daß man mich deshalb mied. Im Gegenteil, ich hatte oft zu tun, um mich peinlichen Geständnissen und Aufdringlichkeiten zu entziehen. Ich habe Wunder gewirkt, bin oft zu plaudernden Frauen getreten,' die plötzlich stille wurden. Ich habe keine Rücksicht gekannt, wenn ich— jede Frau ist in dieser Richtung eine geborene Detektivin— eine werdende Mutterschaft erriet oder ahnte.— Die Sprechende lachte wieder: „Und wie man dem Knaben schmeichelte, dessen Mutter man fürchtete. O, wenn Sie ahnen würden, wie schwach die Heuchelei ist, wie sie nur die Furcht vor der Meinung der anderen hindert, sich zum Bekennen zu wandeln. Auf dieser Heuchelei begründet fich die von Ihnen gegeißelte Härte. Wenn aber jede— nach Ihrem Sinne— ledige Mutter einen Vorwurf dahin erwidern würde, daß der Verurteilende oder die— auch nicht besser war, wie schnell würde sich die Wandlung vollziehen. Und ich spreche aus einer zwanzigjäh-. rigen Erfahrung heraus. Besonders bei den Härtesten, Moralischsten ist die Gegenanklage am erfolgreichsten. Je stürmischer die eigene Jugend, desto härter das Urteil. Gegen einen Mann ist ja die Waffe am leichtesten, ich sah noch jeden Mann vor einer Gegenanklage zurückweichen— und gewann seine Sympathie." Die Sprechende zögerte im Weiterschreiten: „Doch jetzt will ich fcheidtzn. Also nochmals, nicht die Gesellschaft als Ganzes ist an der Härte gegen die ledigen Mütter schuld, fondern diese im engeren und weiteren Sinne
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29 (23.5.1919) 17
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