136
Die Gleichheit
240 mehrheitssozialdemokratische Stimmen für die Räterepublik! Ich greife mir noch heute an den Kopf und frage: Wie war das nur möglich?
-
Es hat nicht an warnenden Stimmen gefehlt. Mannhaft und mit durchschlagenden Gründen traten sie gegen die Räterepublik ein. Sie zeigten mit nicht mißzuverstehender Deutlichkeit alle Gefahren: Wie der Hunger wüten werde, weil bereits neun Bentel der bayerischen Bauern den organisierten Bauernstreit verabredet hatten weil ferner die mühsam erwirkten Lebensmittelliéferungen der Entente einem bolschewistischen Bayern augenblicklich gesperrt würden. Sie zeigten, wie unser ohnehin daniederliegendes Wirtschaftsleben noch völlig zugrunde gehen müßte, weil das Reich keine Kohle liefern werde. Sie zeigten, wie es zum wildesten Blutvergießen gegen die Bauern, gegen Nordbayern und womöglich gegen das Reich kommen müsse. Aber alles umsonst.„ Es rast der See und will sein Opfer haben." Selbst die eigenen Verfechter der Räterepublik konnten es nicht verschweigen, daß man mit der Räterepublik allerdings auch„ hereinfallen" fönne. Und die Antwort? Eine leichtfertigere, gewissenlosere ist noch niemals gegeben worden: Je nun, wir probieren es einmal!"( Stricker- Lochhausen).
-
nie=
Und es ging doch um Wohl oder Wehe, vielleicht um Sein oder Nichtsein des bayerischen, um das Schicksal sogar des deutschen Wolfes, es ging um das Ganze!„ Genosse, es wird mir wund und weh, es kehrt sich etwas um in mir!" sprach ich zu meinem Begleiter, wenn ich bedenke, daß in solcher Leute Händen nun das Schicksal unseres Volfes liegt." Und hier sehe ich nun einen Schlüssel zu den Unbegreiflichkeiten dieses Gautags. Es fehlt einem großen Teil dieser Leute das Verantwortungsgefühl gegenüber dem Ganzen. Einer für sich allein mag sich jeden wilden Einfall gestatten; er mag einen Todessturz aus dem fünften Stockwerk tun mand tann's ihm wehren, wenn nur seine einzelne eigene Person in Frage kommt. Wenn aber seine Tollkühnheit zugleich den, wenn auch nur möglichen Todessturz eines ganzen Volkes bedeutet, so muß ihm dies Bewußtsein die größte Borsicht und Zurückhaltung auferlegen. Schon ganz allein der Gedanke an die unschuldigen, schon seit Jahren unterernährten Kinder, nur die Erinnerung an ihre schmalen und bleichen Gesichtlein hätte das leichtsinnige„ Je nun!" auf der Zunge noch aufhalten müssen. Wer das nicht weiß, wer es auch nur einen Augenblick vergessen konnte, dem wollen wir Frauen es hiermit sagen. Wir fordern im Namen der Kinder eine Politik der Verantwortlichkeit! Anna Pfänder, Neu- Ulm .
Ein Dokument der Schande. Der Kampf der Hausangestellten um eine zeitgemäße Bezahlung ihrer Arbeitskraft hat einen Höhe punkt erreicht, der seinesgleichen sucht. Während der kaiserlich- tapitalistischen Regierung war es nicht möglich, einen aggressiven Kampf um die Verbesserung der wirtschaftlichen Lage der Hausangestellten zu führen, da das alte Gesinderecht oder die Gesindeordnungen dem im Wege standen. Durch die sozialistische Regierung wurde die von der Sozialdemokratie seit Jahrzehnten geforderte Gleichstellung der Dienstmädchen mit den Arbeiterinnen endlich erfüllt, und die Haus angestellten erhielten das Recht, für die Verbesserung ihrer Lohn und Arbeitsverhältnisse alle Stampfmittel der freien Gewerkschaften anzuwenden. Und von diesem Recht machte der Zentralverband der Hausangestellten, Ortsgruppe Nürnberg- Fürth Gebrauch, mit Ausnahme des Streifrechts, da uns zurzeit ja auch andere Hilfsmittel durch die Revolution zur Verfügung stehen.
Die Verhandlungen wurden ordnungsgemäß eingeleitet, indem wir mit dem Hausfrauenbund als Vertretung der Arbeitgeberinnen in Verbindung traten. Diese waren bereit, die Verhandlungen aufzu nehmen mit der Bedingung, daß auch die konfessionellen Vertretungen der katholischen und evangelischen Vereine mit hineingezogen wür. den. Als solche wurde neben der Vertreterin der katholischen auch Pfarrer Wirth als Vertreter der evangelischen Hausangestellten genannt, der in der inneren Mission seine Tätigkeit ausübe.
Da ich als Gründerin der modernen Nürnberger Dienstboten organisation vom Jahre 1906 und auch mit Schaffung des Zentralverbandes der Hausangestellten Deutschlands im Jahre 1908 un unterbrochen die Leitung unserer Organisation in Händen habe, war ich erstaunt, den Namen des Pfarrers Wirth als Vertreter der evan gelischen Hausangestellten zu hören. Vorher hatte ich von diesem Herrn nie etwas vernommen, dagegen war mir andererseits die Vertretung der katholischen Richtung bekannt. Dem Wunsche des Hausfrauenbundes wurde aber entsprochen, und die konfessionellen, Vertretungen erhielten neben dem Flugblatt auch die Einladung, fich der Lohnbewegung des Zentralverbandes der Hausangestellten anzuschließen.
Bei den Verhandlungen zeigte sich nun die wahre Gestalt der konfessionellen Vertretungen. Der Hausfrauenbund konnte sich keine befferen Schuztruppen wünschen als die Vertreter der evangelischen
Nr. 17
und katholischen Hausangestelltenverbände. Es war geradezu widrig, mit anzuhören, wie die Interessen der Hausangestellten miẞachtet wurden. Und ganz besonders tat sich hierin der Herr Pfarrer Wirth hervor. Er konnte sich nicht genug darüber aussprechen, daß die Forderung des Zentralverbandes der Hausangestellten sittlich verwerflich sei und seine treue Gefolgschaft sich weigern würde, höhere Löhne anzunehmen. Und das nennt sich Vertreter der wirtschaft. lichen Interessen der Hausangestellten. - Alle Hochachtung vor diesen versteckten Vertretern des Geldsacks.
Herr Pfarrer Wirth will nun auch dazu übergehen, einen Lohntarif aufzustellen, und eines seiner so treuen Schäflein" hat schon voreilig aus der Schule geplaudert und sich über diesen Pfarrer Wirth lustig gemacht, indem es ihn als rettenden Engel hinstellt, weil er Löhne für die Hausangestellten fordert, die noch niedriger sind als die zurzeit bestehenden. Nach diesem Lohntaris sollen Hausangestellte bis zu zwanzig Jahren nicht mehr als 10 bis 20 Mart Monatslohn haben. Somit wäre Herr Pfarrer Wirth wirklich als ,, rettender Engel", allerdings nicht der Hausangestellten, wohl aber der Herrschaften anzusehen.
Den Hausangestellten soll aber dieses Dokument der Schande zeigen, wie diese Erbauungsstunden der religiösen Zusammenkünfte dazu mißbraucht werden, um sie wirtschaftlich zu schädigen und ihren fulturellen Aufstieg zu hemmen. Die beste Antwort auf die Mißachtung der Hausangestellten als Arbeiterin und als Mensch ist die Massenflucht aus diesen Verdummungsstätten der Jungfrauenvereine. Hinein in das wirkliche Leben! Besucht freie Versammlungen, Vor träge, Stonzerte, Theater, lest Bücher der öffentlichen Zentralbiblio thefen und besucht die Museen. Denn nur Bildung macht frei und start. Sie schützt auch vor wirtschaftlicher und geistiger Unterdrückung. Helene Grünberg .
Die Frauenbewegung des Auslandes
In Holland haben in der ersten Hälfte des April die Wahlen für die Provinzialstaaten stattgefunden. Diese Staaten haben nur zweimal im Jahre Versammlungen. Ihre Befugnis ist nicht groß: sie haben nur über geringe Steuern zu verfügen, welche sie zu Kanälen und Wegen und zu Beiträgen für einzelne Schulen ver wenden. Außerdem wählen die Provinzialstaaten im Juli die Erste Kammer, welche bis jetzt eine Festung der Reaktion ist. Das Reich hat elf Provinzen, von denen jede in den Provinzialstaaten entweder ihre fortschrittliche oder ihre reaktionäre Mehrheit hat.
Gewählt sind jezt 47 Sozialdemokraten mehr als das vorige Mal, was die Zahl unserer Vertreter auf 117 bringt. Die ganze Zahl ist 590. Zu unserem Bedauern aber ist die Gesamtzahl der sozialdemokratischen Stimmen mit 4% Tausend zurückgegangen, wahrscheinlich infolge der gedrohten Novemberrevolution. Mithin wird die Erste Kammer nach wie vor die beste Stüße der Reaktion bleiben.
Die Zahl der gewählten Frauen beträgt acht, von denen sechs zu unserer Partei gehören. Zwei Ehepaare werden jetzt Sitz in den Provinzialstaaten haben. Bekanntlich fehlt den niederländischen Frauen noch immer das aktive Wahlrecht, obgleich sie das passive besitzen. Martina G. Kramers.
Politische Umschau
Mit Recht wies die„ Staatsbürgerin" darauf hin, daß die bürgerlichen Parteien für die Friedensverhandlungen in Paris nicht eine einzige Frau bestimmt haben. Von unserer Seite war die Genoffin Marie Juchacz ausersehen, die Frauen und deren besondere Inter essen zu vertreten. Nur das Verhalten der Entente und als Folge davon die Verringerung der Zahl unserer Delegierten hat die Anwesenheit unserer Genossin bei den Versailler Verhandlungen bisher verhindert.
Auch in den Friedensausschuß der Nationalversammlung haben die Bürgerlichen nur Männer gewählt, während von unserer Seite die Genofsinnen Röhl und Schilling mit der Wahrung des beson deren Frauenstandpunktes beauftragt wurden. Die bürgerlichen Parteien halten es anscheinend nicht für nötig, die Wünsche der Frauen nach einer eigenen Vertretung bei diesen so überaus wichtigen Verhandlungen zu berücksichtigen. Diese völlige Ausschaltung ber Frau seitens aller bürgerlichen Parteien bei der Frage um Sein oder Nichtsein unseres Volkes zeigt deutlich, daß von einer wirklichen Gleichstellung der Frau in den bürgerlichen Parteien noch nicht die Rede sein kann, daß die Sozialdemokratie die einzige Partei ist, die das Recht der Frau nicht nur auf dem Papier, sonA. H. dern auch im praktischen Leben anerkennt.
Verantwortlich für die Redaktion: Frau Klara Bohm- Schuch, Berlin SW 68. Druckt und Berlag von J. H. W. Diez Nachf. 6.m.b.H. in Stuttgart .