170 Die Gleichheit Nr. 22 der Kriegszeit müßten es auch dem eifrigsten Verfechter des religiösen Schulunterrichts klar gemacht haben, daß der, selbe als Sittenlehre traurig Schiffbruch erlitten hat. Ohne einen festen sittlichen Grund aber die jungen Menschen­kinder in den Lebenskampf gehen zu lassen, ist geradezu ein Verbrechen. Deshalb muß an die* Stelle des christlichen Religionsunterrichts in der heutigen Form eine Sitten­lehre treten, die der hohen Ethik des Christentums ver­wandt sein muß, die aber nicht nur eine Idealwelt vor- zanbert, sondern im Leben wurzelt, die mit allen Schönheiten und Freuden, aber auch mit allen Leiden und Härten des Erdendaseins rechnet. Die den jungen Menschenkindern das Bewußtsein heiligster Verantwortung für das eigene Tun und Lassen der Allgemeinheit gegen- Wer einprägt, die sie nicht sehnsüchtig nach dem Himmel, oder leichtsinnig nach einer Vergebung begangenen Unrechts schauen läßt. Die ihnen die Natur in ihrer Reinheit und vollkommenen Schönheit, in der Selbstverständlichkeit der Lebenserfüllung als größten Lehrmeister hinstellt und so in ihnen das Bewußtsein erfüllter Pflicht als höchste Freude sich entwickeln läßt. Große Menschen aus allen Religionen, aus der Geschichte(auch der Geschichte der Arbeiterbewegung) der Literatur, der Kunst sollten Vor­bilder sein. Unser Volk weiß so wenig von seinem Goethe, Schiller, Lessing und all den anderen Großen und ihren Werken und weiß so wenig von den Kämpfen und der harten Fron im Leben dieser Menschen. Und die Kinder wissen so wenig von der Heiligkeit des Lebens, daß sie jede Ehrfurcht vor den Dingen, die sie nicht begreifen, ver­loren haben, trotz alles Religionsunterrichts in den Schulen. Müßte nicht jede Stunde eines Moralunterrichts(man könnte mit demselben Recht sagen: eines Religionsunter­richts, wenn dieses Wort durch den konfessionellen Bei­geschmack nicht verdorben wäre), wie wir ihn meinen, zu einer Weihestunde voll flammender Schönheit werden für Lehrer und Schüler. Aber freilich, die Lehrer dürsten keine Schulmeister, sie müßten Erzieher sein: Künstler, denen der Wert und die Feinheit des zu formenden Materials voll bewußt wäre. Heute werden die Religionsstunden nur zu oft als Füll- und Erholungsstunden für den überlasteten Lehrer betrachtet; daß bei solcher Auffassung keine wert­vollen Erfolg« erzielt werden, ist ganz natürlich. Die Widerstände gegen diese Lösung der Schulfrage waren stark. Das Zentrum ist eine konfessionell-religiöse Partei, aber wir durften hoffen, auf diesem Gebiete mit Hilfe der Demokraten manches zu erreichen und so in steter Arbeit und steter Vorwärtsentwicklung ans Ziel zu ge­langen. Da wurde durch dieFriedensfrage dieNegierungskoalition gesprengt und die Sozialdepiokratie mußte allein mit dem Zentrum die Führung der Geschäfte übernehmen. Jetzt kam das Zentrum in der Schulfrage in eine günstige Posi­tion, denn die Sozialdemokratie ist auf seine Mitarbeit bei der Durchführung des einmal unterzeichneten Friedens an­gewiesen. Und das Zentrum nützt seine Stellung rück­sichtslos aus. Möchte es die Verantwortung für eine äußere Zerstückelung des Deutschland  , welches nach diesem Frieden noch übrig bleibt, nicht tragen, so will es doch mit allen Mitteln die Grundloge der geistigen Einheit, die Umge- . staltung unseres Schulwesens, verhindern. Denn aus dieser inneren Einheit würde nach Generationen auch nach außen ein neugeeintes Deutschland   hervorgehen, welches festeren Grund hätte, als das vergangene. Eine Einheit, nicht ge­gründet durch Blut und Eisen, sondern durch Liebe, Vsr- antwortung, Pflichtbewußtsein; durch das Streben nach dem gemeinsamen Ideal: ein Kulturvolk zu sein. Clara Bohm-Schuch  . Zur Sozialisierung der öffentlichen Wohlfahrtspflege V. Das Schutzrecht der Ungeborenen Nach den Untersuchungen des hochverdienten Gynäkologen Prof. v. Franquö besteht ein großer Gewichtsunterschied zwischen den Neugeborenen der einige Zeit vor der Nieder­kunft nicht bzw. nicht mehr arbeitenden Frauen und denen der bis unmittelbar vor der Niederkunft Erwerbstätigen  . Nach dem französischen   Arzt Pinard ergaben sich in diesem Zusammenhang Gewichtsunterschiede bis zu 400 Grammy  Zusammenfassend benierkt v. Franquä dazu:Betrachten wir zuerst die Schwangerschaft, so bedarf es kaum eines Beweises, daß eine schlecht genährte, blutarme, seelisch und körperlich heruntergekommene Schwangere nach der Ent­bindung nicht in dem gleichen Maße und mit der gleichen Gewißheit wie eine kräftige und wohlgenährte Mutter dem Kinde den einzig sichern Schutz gegen alle Gefahren des Säuglingsalters, die Brustnahrung, wird reichen können, selbst wenn sie das Kind reif und kräftig geboren hat. Aber nicht einmal das vermag sie in vielen Fällen. Es ist nach­gewiesen, daß schlechte Ernährung und schwere Arbeit in der Schwangerschaft nicht nur häufiger zum Tode der Frucht kurz vor der Geburt, sondern auch zu der Geburt unreifer, schwächlicher, das normale Durchschnittsgewicht nicht er­reichender Kinder führt, die dann natürlich den Gefahren des Säuglingsalters leichter und rascher erliegen als ausge­tragene und vollwichtige Kinder." Wie eine grausige Illu­stration zu diesen Bekundungen des Wissenschaftlers mutet es an, wenn die von Mayet vorgenommene Bearbeitung der Krankheits- und Sterblichkeitsverhältnisse der Orts­krankenkasse Leidig dartut, daß bei den im Bleigewerbe beschäftigten Arbeiterinnen und den Poliererinncn bei 56 Wochenbetten 30(53 Proz.) Fehlgeburten waren, während unter den freiwilligen Mitgliedern dieser Arbeiterinnen­kategorie bei 43 Wochenbetten nicht eine einzige Fehlgeburt Vorkam. Deutlicher als durch diesen Sachverhalt kann der in einzelnen Arbeitszweigen geradezu mörderische Einfluß zu lange fortgssetztcr Erwerbsorbeit nicht gekennzeichnet werden. Diese Angaben beziehen sich auf die Zeit vor dem Kriege. Was während de� Krieges an schwerer und un- zukömmlicher Arbeit von den Frauen geleistet loorden ist, das wissen wir alle. Wie schwer aber dafür gezahlt worden ist, wieviel Menschengliich und Menschenleben, wieviel Frauenkraft, Zukunftserwartung und Lebensfreude dabei ge­opfert'wurde, das entzieht sich trotz des statistisch belegten erschreckenden Niedergangs der Geburtenzahlen wie der Volksgesundheit unserer Kenntnis. Um so zwingender wächst vor uns die Pflicht empor, hier Wandel zu schaffen. Es darf nicht mehr vorkommen, daß das Volk seinen größten, seinen einzig sicheren Reichtum, seine Gegenwarts- und Zukunftsgewähr verwüstet und ver­schleudert. Jede Mutterschaft sei künftig ein heilig Volksgut. Um so geheiligter, als unser Volk, aus tausend Wunden blutend, es nicht zulassen darf, daß die einzige Zuversicht und Hoff­nung, die ihm in seinen Kindern blieb, schon im Mutter­leib geschädigt oder gar vernichtet werde. Aber auch die Mütter gilt es mit den Kiirdern zu schützen. Die neue Zeit brachte ihnen die formale Gleichberechtigung. Sie bringe ihnen auch den nwtericllen Schutz, auf den sie einen Anspruch haben nicht nur als Mütter, sondern auch als Menschen, als Selbstzweck. Die bewußte Frau von heute läßt sich nicht zur Gebärmaschine herabwürdigen. Soll sie dem Vaterland die Kinder schenken, deren es zum Ausbau seiner zerstörten Kultur und Wirtschaft bedarf und sich selbst die Lebenserfüllung im Kind, die für jedes recht geartete Weib der höchste Daseinszweck ist, so darf diese Erfüllung nicht so sein, daß sie den Menschen, die Persönlichkeit in ihr auslöscht. So darf sie nicht zum unnützen Opferlamm an