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Die Gleichheit

Neben den Wirtschaftsräten werden in der Reichsverfassung besondere Arbeiterräte ins Auge gefaßt. Sie haben die Aufgabe, auf allen Gebieten die reinen Arbeiterinteressen vom Arbeitnehmerstandpunkte aus zur Geltung zu bringen. Die Arbeiterräte bilden im Grunde die Verwirklichung einer alten Forderung der Arbeiterschaft. Schon früher war die Errich tung von Arbeiterkammern gefordert worden. Dadurch sollten endlich rechtliche Vertretungen für die gesamte Arbeiterschaft geschaffen werden. Die Verfassung sucht num diesen Gedanken zu verwirklichen, indem sie für die Bezirke Bezirksarbeiterräte und für das Reich einen Reichsarbeiterrat zu schaffen sucht. Die Regelung der Lohn- und Arbeitsverhältnisse soll den Arbeiterräten nicht überwiesen werden; denn diese Regelung bleibt am besten in den Händen der freien Berufsverbände, welche die nötigen Kampforganisationen bilden, über die er­forderlichen Kampffonds verfügen und sich am besten den besonderen Bedürfnissen der Betriebe und Berufe anzupassen verstehen. Durch die Arbeiterräte wird der soziale Einfluß der Arbeiterschaft gesteigert. Die gesamte Arbeiter- und An­gestelltenschaft wird organisatorisch zusammengefaßt und zu einer einheitlichen Macht verbunden.

Wirtschaftsräte und Arbeiterräte zusammen bilden die Grundlage des Rätesystems, wie es die Verfassung vorsicht. Dieses Rätesystem schaltet die Demokratie nicht aus, sondern ergänzt sie. Ein politischer Einfluß der Räte, insbesondere der Wirtschaftsräte ist wünschenswert. Das politische parlamen tarische Leben wird durch einen solchen Einfluß gefördert, weil

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Staat überfragen. Die sozialistische Gesetzgebung muß daher stets neben der Räteentwicklung einhergehen. Diesen Weg hat auch bereits die Gesetzgebung in Deutschland eingeschlagen, in­dem sie ausdrücklich dem Neiche das Recht beilegt, Sozia­lisierungsakte vorzunehmen. Sozialismus und Rätebewegung werden die beiden Entwicklungsfaktoren der nächsten Zeit sein.

Der Tempel der Schönheit

Sozialismus ift das hohe funkelnde Firmament neuen Menschentums.

Menfchenwürde ift auf blühender Sternenwiefe fchreitender neuer Glaube

Das Gewand aber ift Schönheit...

Unter dem Firmament ,, Sozialismus" bauet der Schönheit Tempel. Das Fundament fei geheiligte Erkenntnis auf dem Fellen! Wahrheit! Die Grundmauer fei Treue.

Die Säulen edle Strebfamkeit, menfchheitdienende Kunft! Die himmelgewölbte azurne Kuppel: Menfchenliebe! Das hohe einftrömende Licht: Freiheit!

Der freien, fchönen, edlen Menfchen Chor werde Zunge erhabener Dichtung!

Der tiefften Menschenluft Symphonie: Mufik! Schönheit rede in freudetrunkenen Farben Menichenwürde walle unter dem funkelnden hohen Firmamente zum Tempel der Schönheit.

Ein Stern falle, der Menschheit Gewand. Die neue Inbruft ift Sozialismus.

Julius Zerfaß .

es in ständige Verbindung mit dem lebendigen Quell der Die Verfassung des Deutschen Reiches

Entwicklung gebracht wird. Andererseits wird das Wirtschafts­Leben an sachgemäßer Behandlung durch die Gesetzgebung ge­winnen, wenn das Hauptorgan dieses Wirtschaftslebens, der Reichswirtschaftsrat, die Gesetzgebung anregend fördern kann. Die Frage ist nur, in welcher Form ein solcher politischer Ein­fluß des Rätesystems auf das Parlament stattfinden soll. Eine Mitentscheidung kommt nach dem oben über die berufsständische Kammer der Arbeit" Gesagten nicht in Be­tracht. Es kann sich nur darum handeln, dem obersten Organ der Wirtschaftsverfassung, dem Reichswirtschaftsrat, ein Recht zur Initiative dem politischen Parlament gegenüber zu geben. Der Entwurf einer Reichsverfassung hat ein solches Recht des Reichswirtschaftsrates anerkannt und in der Weise ausgestattet, daß der Reichstag verpflichtet ist, Gesetzesvor­lagen des Reichswirtschaftsrates wie Vorlagen der Regierung zu behandeln. Vertreter des Reichswirtschaftsrates sind be­rechtigt, die Vorlagen des Reichswirtschaftsrates persönlich zu bertreten und sich an den Verhandlungen darüber im Reichs­tage zu beteiligen.

Durch diese in den Grundzügen sfizzierte Grundauffassung kann das organisatorische Problem der Nätebewegung einer Lösung entgegengeführt werden. Wir müssen uns damit ver­traut machen, daß sich in der modernen Entwicklung des ge­samten Gesellschaftslebens immer mehr eigene Ringe loslösen, die nach einer selbständigen Lebensgestaltung drängen. Man will auf allen Gebieten soziale Selbstverwaltung, Entstaat­lichung des sozialen Lebens, Selbstgestaltung der sozialen Schicksale, die über den Menschen hängen. Die Arbeiterklasse wird durch die Anwendung dieses Rätegedankens auf das Wirt­schaftsleben eine Erweiterung ihrer sozialen Lebenssphäre er­fahren. In den Arbeiterräten wird ihr sozialer Einfluß ge­steigert. In den Wirtschaftsräten werden sie zur Mitwirkung an der Produktionsleitung berufen. Durch die politischen Rechte der Näte wächst weiterhin ihr politischer Einfluß. Zu gleich wird durch die organisatorische Zusammenfassung des Wirtschaftslebens der fachliche Boden für den Sozialismus borbereitet und durch die Beteiligung der Arbeiter in den wirtschaftlichen Selbstverwaltungskörpern ihre Fähigkeit zur sozialistischen Verwaltung geweckt und gefördert. Der eigent liche Sozialismus wird durch die Näte selbst nicht verwirklicht. Denn dieser beruht stets auf den gesetzgeberischen Aende­rungen des bestehenden Wirtschaftsrechtes. Nur der Staat kann das Privateigentum an den Produktionsmitteln auf den

Von Marie Juchacz .

Die Verfassung liegt nach Abschluß der zweiten Lesung im Plenum gedruckt vor uns. Nur wenige Tage noch, dann wird sie dem hohen Hause" zum drittenmal zur Beratung und Beschlußfassung vorliegen und wird dann Gesetz sein.

Zwei Hauptteile: Aufbau und Aufgaben des Reiches und Grundrechte und Grundpflichten der Deutschen , stellen das ganze Werk dar. Jeder dieser Hauptteile zerfällt in einzelne, nach der Materie ge­gliederte Abschnitte, so daß eine gute Uebersicht geschaffen ist.

Die ganze Verfassung, einschließlich der Uebergangs­und Schlußbestimmungen, besteht aus einhundertdreiund­siebzig Artikeln, von denen eine große Zahl heiß umstritten wurde. In seiner Gesamtheit stellt das ganze Werk ein Kompromiß zwischen den drei Hauptparteien, Sozialdemo fratie, Zentrum und Deutsch- Demokratische Partei dar, d. h. es wurde in der Kommission solange verhandelt, bis eine Fassung gefunden war, der die genannten Parteien zustimmen fonnten. Das schloß natürlich nicht aus, daß die einzelnen Parteien ihre Anträge im Plenum erneut ein­brachten und eindringlich begründeten in der Hoffnung, doch noch eine Mehrheit dafür zu finden. Bei einzelnen Dingen ist das unserer Fraktion noch geglückt.

Das deutsche Bolt, einig in seinen Stämmen und von dem Willen beseelt, sein Reich in Freiheit und Gerechtigkeit zu erneuern und zu festigen, dem inneren und dem äußeren Frieden zu dienen und den gesellschaftlichen Fortschritt zu fördern, hat sich diese Verfassung gegeben." Dieser schöne Satz ist der Verfassung vorangestellt. Möge er Wahrheit sein und bleiben!

Heute wollen wir uns mit dem ersten Hauptteil: Auf­bau und Aufgaben des Reichs beschäftigen. Der erste Abschnitt trägt die Ueberschrift: Reich und Länder. Zwei ganz kurze, prägnante Sätze bilden den ersten Artikel:

Das Deutsche Reich ist eine Republik . Die Staatsgewalt geht vom Volke aus.

Ursprünglich wurde von sozialistischer Seite nach einer Satform gesucht, die das Wort Reich vermeidet. Das ge­schah in Erinnerung an die englische Uebersetzung Im­perium. Es sollte auch im Auslande voll und ganz zum