Nr. 26

Politische Frauen

Von Dr. Karl Goll

Die Gleichheit

Die viel umstrittene Frage der Berechtigung und Fähigkeit der Frau, am politischen Leben teilzunehmen, ist nun auch für Deutschland einstweilen durch die Tatsache erledigt, daß den Frauen das gleiche Wahlrecht wie dem Manne gewährt wor­den ist. Der vierjährige Krieg mit seinen seelischen und för­perlichen Nöten und die starke Heranziehung weiblicher Ar­beitskräfte haben dazu beigetragen, die inneren Widerstände gegen die politischen Rechte der Frau hinwegzuräumen. Ein Uebermaß an Pflichten ist von den Frauen, insbesondere den berufstätigen, mit bewunderungswertem Opfermut und un­endlicher Entsagung getragen worden. Der neue Staat konnte nicht anders als ihnen endlich diejenigen Rechte geben, für deren Besitz sie erneut einen so starken Beweis innerer Reife erbracht hatten: die Gestaltung unserer zukünftigen staatlichen Geschicke mitzubestimmen.

Wenn wir absehen von den Zeiten des Mutterrechts, deren primitive Berhältnisse feineswegs ohne weiteres mit den Ergebnissen späterer Entwickelung verglichen werden fönnen, so zeigt sich, daß die Grundlagen und Ausgestaltung der Form in Politik, Recht und Kultus dem männlichen Geschlecht verdankt werden. Der Mann war der Schöpfer des öffentlichen Lebens, er machte Geschichte". Die ausgesprochene Produktivität des Mannes auf diesen Gebieten beruht legten Endes auf der stärkeren Fähigkeit zur Abstraktion. Nicht ohne Berechtigung wird dies durch Anlage und geschichtliche Ent­wickelung begründete Uebergewicht des Mannes gegen eine Teilnahme der Frau am öffentlichen Leben vorgebracht. Aber diese Beweisführung übersicht die umgestaltende Wirkung der modernen Zeit auf unsere gesamten Lebensverhältniffe, die so groß ist, daß auch Urzusammenhänge, wie das Verhältnis der Geschlechter, eine stärkere Umbildung erfahren müssen. Wir find heute nicht mehr berechtigt, den Anspruch der Frau auf Mitwirkung am öffentlichen Leben zu verneinen. Wir dürfen nicht vergessen, daß auch die Männer jahrhundertelang durch bevorrechtigte Schichten des Volkes von der Ausübung öffent

*

Feuilleton

Glück

*

Das Glück der Jugend ist das drängende jubelnde Lebens­gefühl: ich lebe!

Das Glück des reifenden Menschen ist das bewußte Verbunden­fein mit dem All, das ehrfurchtsvolle Staunen und die bewundernde Freude; alles um mich lebt!

Johann Christof

Charlotte Buchow.

( Schluß).

W ie im Taumel betritt er Frankreichs Hauptstadt. Paris ist ihm Wirrnis, Tollheit, Gemeinheit, es ist der Jahr­markt". Wild und suchend ist dieser ganze zweite Band, erfüllt von Hunger, Liebe, Freundschaft, Not, Enttäuschung. Dazwischen immer wieder die köstliche, wild aufschäumende, rein deutsche Kraft, die nur mit Superlativen zu arbeiten imftande ist und doch so wenig sich durchzusetzen vermag gegenüber der raffi­nierten Pariser Fronie. Treffende Kritisierungen französischer und deutscher Zustände, Kritiken, wie sie leider ein Historiker in gleicher Wahrhaftigkeit, Deutlichkeit und Objektivität nicht aufbringt. Wir erleben in diesem Bande eine Charakterisiz­rung Frankreichs ( und Deutschlands ), wie man sie selten be­fommt, und was Bola in fünfundzwanzig umfangreichen Bän­den ausmalte, als er Werden und Vergehen des zweiten Kai­serreiches schilderte, gibt Nolland fast auf ebensoviel Seiten. Dem Sujet" Johann Chriftof gegenüber bedeutet freilich dieser Band eine Abweichung, ein Abirren; das universale Berhältnis, in dem der Mensch Johann Christof zur Mitwelt steht weil er Künstler ist erfährt ausreichende Betonung. -

203

Nichts berechtigt

licher Rechte ausgeschlossen waren, und erst ein demokratischeres Zeitalter erneut das Bewußtsein von der Notwendigkeit der Mitarbeit und Mitverantwortung aller am Geschick des Volkes geweckt hat. Der Eintritt der Frau ins politische Leben kann nur als Konsequenz der demokratischen Denkart angesehen werden. Die Gewährung der politischen Rechte an die Frau ist der erste Schritt. Die Form ihrer Betätigung wird sie selbst ent­wideln müssen. Wird sie einstweilen vielfach noch die Geführte sein, so wird die politische Arbeit selbst dazu beitragen, ihre politische Individualität herausbilden. uns, die Möglichkeit einer solchen Entwickelung zu bezweifeln. Wir dürfen im Gegenteil hoffen, daß die stärkere politische Mitarbeit der Frau dem öffentlichen Leben ein neues notwen­diges und nützliches Element hinzufügen wird. Die Frauen der Arbeiterklasse, die am meisten unter der Schwere des Da­feins gelitten haben, fönnen längst auf eine stattliche, Reihe von politisch tätigen Frauen hinweisen, deren Wirksamkeit weit über den Kreis der Partei hinaus verdiente Anerkennung ge­funden hat. Ihre Namen zu nennen, erübrigt sich. Sie sind den Lesern durch ihre agitatorische und schriftstellerische Tätig feit, wie auch als Trägerinnen politischer Mandate bekannt.

Es verlohnt sich aber, daran zu erinnern, daß es schon lange und überall außerordentliche Persönlichkeiten in der Frauenwelt gegeben hat, die es vermocht haben, die ihrem Ge­schlechte angelegten engen Fesseln zu sprengen, um mit der Stimme der Leidenschaft das soziale Gewissen ihrer Zeit zu weden. Schon an der Schwelle des demokratischen Zeitalters in der französischen Revolution tritt uns eine Frau entgegen, die nach ihrer Persönlichkeit sowohl, wie nach ihrer politischen Tätigkeit eine Bierde ihres Geschlechts genannt werden muß: Madame Roland .

Sie war die Tochter eines Goldschmiedes Phlipon, der ihr eine gute Erziehung angedeihen ließ. Mit außerordentlichen Gaben des Herzens und Geistes ausgestattet, bertiefte sie sich früh in das Studium des Altertums. Das hohe deal der Harmonie menschlicher Persönlichkeit schwebte ihr als Ziel vor, dem sie imablässig zustrebte. Anlage und Lebensumstände Aber mit wunderbarem Geschick wird wieder zum Persönlichen hinübergeleitet, aus dem Wirrsal Paris zum armen Kompo­nisten, der seit Wochen kein Konzert mehr besuchen kann und dessen Kopf zu plazen droht von der Fülle der Melodien, aus denen das Werk" erstehen wird.

Und dann formt sich aus all den verworrenen Mühseligkeiten und Kleinlichkeiten des Lebens das erste große und wunder­schöne Kapitel der Freude: Antoinette- Olivier. Freundschaft! Freundschaft für den verlassenen Deutschen , Freundschaft für den einsamen Künstler, dessen stolzes Herz sich so inbrünstig nach Liebe sehnt. Und mit dieser Freundschaft zweier Men­schen verbindet Rolland das beglückende Zukunftsbild, von dem ich eingangs sprach, das Zukunftsbild, das so sonnig und schön ist, daß wir, die Kriegsgehegten, es noch nicht ansehen können und noch nicht daran zu glauben vermögen. Man liest Worte, die von glühender Liebe für Frankreich zeugen, und bei denen man doch den Kopf schüttelt: Du wirst nicht verstanden! Man hört vom großen, strengen Arancois Millet und von einem neuen, freieren Idealismus innerhalb der katholischen Neli­gion, von echter, wahrer, französischer Geisteskunst, von ehr­licher Vaterlandsliebe, von Heldentum und Glauben und er­fährt von einem zweiten Frankreich , von dem selbst Frankreichs Herrschende schwerlich etwas wiffen. Johann Christof wird von Olivier zu jener Höhe geführt, auf der Frankreichs wahre Freien leben, und von oben sieht er die Einsamkeit des fran­ zösischen Volkes...

Und wieder ein Abschluß. Wieder ein Höhepunkt, ein neuer, Hoffnungsreicher Ausblid trog allen Beides.

Der Tod der Mutter. Erinnerungen werden ausgelöst; aus dem Schmerz ringt sich die Kraft, die geprüfte, schwere, wun­derfame Kraft des Gottbegnadeten. Die Kraft, die im Leid des Lebens, des Menschseins geboren wird, die göttliche Kraft