Nr. 26
Die Gleichheit
ten. So berichtet Die Sanitätswarte" noch Mitte Juni dieses Jahres, daß im Parkjanatorium Rinteln durch diese famose Diensteinteilung noch bis zu 37 Stunden Dienst hintereinander geleistet werden. Das gefchieht also im Zeitalter des gesetzlichen Achtstundentages genau noch so wie in der guten alten Vornovemberzeit.
Bei diesen unmenschlich langen Arbeitszeiten wird das Pflegepersonal vielfach noch mit zu pflegenden Patienten und Hausarbeiten dermaßen überbürdet, daß geradezu Katastrophale Ereignisse eintreten. Im Stadtirren- und Siechenhaus zu Dresden beispielsweise ereigneten sich u. a. folgende Vorfälle: Ein schwachyfinniger Patient stürzte aus dem Fenster und fand seinen Tod, weil sein Pfleger infolge Ueberlastung mit Hausarbeiten ihn nicht genügend beaufsichtigen konnte. Ein epileptisches Kind ertrank aus. gleichen Gründen in der Badewanne. Die beflagenswerte Pflegerin aber verbüßte eine Woche Gefängnis, weil das verruchte Sparsystem an Personal den Tod des Kindes verschuldete.
Daß bei solcher Ausbeutung der menschlichen Arbeitsfraft die Gesundheit des Pflegepersonals ungeheuer leiden muß, ift einleuchtend. Untersuchungen darüber ergaben geradezu erschreckende Refultate. Eine Erhebung, die die Berufsorganisation der Krankenpflegerinnen Deutschlands "( d. i. ein Verband der freien Schwestern mit 4000 Mitgliedern. D. B.) unter ihren Verbandsangehörigen veranstaltete, zeigte, daß im Durchschnitt jede Schwester nach 8 Dienstjahren verbraucht ist. Lungen- und Gemütserkrankungen graffieren hier in einem Umfang, wie wohl faum in einem anderen Beruf. Nach Feststellungen des Bayerischen Statistischen Landesamts starben vor dem Kriege 56 Proz. der bayrischen Ordensschwestern allein an Tuberkulose. Beim Roten Kreuz waren es 30 Proz., bei den freien Schwestern 33 Proz. Ebenso erschreckend ist die Zahl der Selbstmorde. Die Berufsorganisation der Krankenpflegerinnen beflagt alljährlich in ihren Jahresberichten den Verlust von Mitgliedern durch Selbstmord. Im Jahre 1918 waren unter 54 verstorbenen Mitgliedern dieses Verbandes 7 Selbstmörderinnen. Ein Zeichen star fer Gemütsleiden. Es zeigt sich also in der Krankenpflege der verrückte Zustand, deß, um franken Menschen wieder zur Gesundheit zu berhelfen, zahlreiche junge, Leute vorzeitig zugrunde gehen, weil man durch Raubbau an ihrem Körper Gesundheit und Arbeitskraft in der gewiffenlofeften Weise auspowert. Dabei ist zu bedenken, daß es sich hier um Schwestern handelt, die in punkto Dienst, Kost und Wohnung noch immer besser gehalten werden als das übrige Pflege- und Hauspersonal. Bei letteren würden die Folgen noch schlimmer sein, wenn der Dienst in den Kranfenanstalten ein Lebens- und fein Durchgangsberuf wäre. So scheidet dieses Personal längstens nach wenigen Jahren immer wieder aus, um einen neuen Erwerbszweig zu ergreifen.
Wie steht es denn jetzt, nachdem der Acht stundentag gesetzlich angeordnet ist? Seit Erlaß dieser Verordnung vom 23. November 1918 fämpft der Verband der Gemeinde- und Staatsarbeiter einen ununterbrochenen Kampf mit einer Reihe von Kranken- und Irrenanstaltsverwaltungen um die Durchführung des Achtstundentages. Artikel I der genannten Verordnungen fagt ausdrücklich:
Die Regelung umfaßt die gewerblichen Arbeiter in allen gewerblichen Betrieben einschließlich des Bergbaues, in den Betrieben des Reichs, des Staats, der Gemeinden und Gemeindeverbände, auch wenn sie nicht zur GewinnergieIung betrieben werden, sowie in den landwirtschaftlichen Nebenbetrieben gewerblicher Art." Trotzdem behaupten die widerspenstigen Anstaltsgetvaltigen, daß die Verordnung für ihre Betriebe nicht zutreffe. Auf Ersuchen des vorgenannten Verbandes haben inzwischen Reichsministerium für wirtschaftliche Demobilmachung und
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Reichsarbeitsministerium nicht weniger als 3 Entscheidungen zugunsten des Achtstundentages für das Personal der Kranken- und Irrenhäuser gefällt. Das imponiert aber so einer Anstaltsverwaltung noch lange nicht. Durch allerhand Auslegungsfünfte fuchen sie doch den Sinn der Entscheidungen zu verdrehen und sich um die Einführung des Achtstundentages herumzudrücken. So wird der Segen dieser Verordnung nur dort dem Pflegepersonal zuteil, wo die gewerkschaftliche Organisation genügend stark ist und durch Tarifvertrag die achtstündige Dienstzeit festgelegt wurde. Leider fallen die Schwestern nicht unter diese Verträge. Sie sind daher auch vom Achtstundentag ausge schlossen, teilweise sogar durch eigene Schuld. Sie selbst haben sich, wie in der Charité in Berlin , törichterweise der Durchführung ihrer Maßnahme für das übrige Personal widerlegt, und in den Krankenhäusern des Kreises Teltow wüten sie gegen den Achtstundentag durch Schifanierung des ihnen untergebenen Personals. Wenn werden sie zur Vernunft fommen und ernstlich an die Verbesserung ihrer LohnG. Nenner. und Dienstverhältnisse herangehen?
Aus unserer Bewegung
Kinderelend!
Vor einiger Zeit erschien in der Presse eine Notiz, in der das Elend der Kinder im böhmischen Erzgebirge geschidert und zum Schluß aufgefordert wurde, durch Sammlungen deren Lage einigermaßen zu lindern.
Die Kinder des Proletariats der ganzen Welt haben nie rofige Tage verlebt. Aber die des Erzgebirges, wo die Heimarbeit mit ihren gerade für die Kinder so außerordentlich schädlichen Folgen zu Hause ist, hatten es immer noch viel trauriger.
Heimarbeit! In diesem Wort allein liegt eine ganze Welt von Elend, Hunger und Freudlosigkeit.
Daß dieser lange, fürchterliche Krieg, verbunden mit der grausamen Hungerblockade, die Verhältnisse im Erzgebirge nicht gebessert, sondern bis zur Unerträglichkeit gesteigert hatte, mußte wohl jedem denfenden Menschen klar sein. Un terernährung und Kindersterblichkeit sind die Folge.
Wir wissen, daß dieses große Elend von heute auf morgen nicht zu beseitigen ist. Aber die augenblickliche Linderung dieser Not lag uns am Herzen, deshalb haben die fozialdemokratischen Mitglieder der Nationalversammlung unter fich eine Sammlung zugunsten der Kinder im böhmischen Erzgebirge veranstaltet, die erfreulicherweise die Summe von nahezu 3000 Mt. ergab. Dieser Betrag ist dem zuständigen Komitee überwiesen worden. Ist dieser Betrag auch nur ein Tropfen auf den heißen Stein, so ist anzunehmen, daß auch von anderen Stellen Sammlungen beranſtaltet worden sind, so daß doch eine fleine Milderung der Notlage im Erzgebirge zu erwarten ist.
Frieda Hauke.
Aus der Frauenbewegung des Auslandes
Bom Frauenftimmrecht in Frankreich . Der Petit Parifien"( Paris ) schreibt am 20. Juli: Die Frauen. Stimmrechtskommission des Senats hat eine Entschließung angenommen, die man seit dem Tage ihres Zusammentritts voraussehen konnte. Mit 10 gegen 3 Stimmen und einer Stimmenthaltung hat sie den Vorschlag verworfen, der von der Kammer angenommen wurde und den Frauen das Wahlrecht und die Wähl barfeit gewährte.
Durch einen zweiten Beschluß hat sie auch den Vorschlag von M. Beauvisage zurückgewiesen, der dahin ging, den Frauen über 30 Jahren das Stimmrecht zu gewähren.
M. Alexander Vérard wurde zum Berichterstatter außersehen. In einer späteren Eizung prüfte die Kommission den Vorschlag bon M. Dominique Delahaye, den Kriegswitwen das Stimmrecht zu gewähren sowie den Vorschlag M. de Las- Cases, das Familienstimmrecht, betreffend.