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Die Gleich beit

treter in dieser Angelegenheit waren in Versailles , aber die der Entente nicht, und es ist eine durch nichts zu rechtfertigende Härte der Entente, daß unsere Gefangenen noch immer von Heimat und Familie getrennt sind. Das Verhalten der Leute aber, die solche Lügen gegen die Regierung verbreiten, ist eine Schamlosigkeit.

Was wird werden, wenn das so weitergeht? Es darf so nicht weitergehen! Die Agitatoren von rechts und links wären verlassen und verloren, wenn sie nicht die Volksmassen fänden, die ihnen Glauben schenkten. Das Volt muß zu sich kommen, daran liegt es. Viel, viel ist aus dem Wege zu räumen, ehe er für den Sozialismus frei ist. Das muß geschehen, aber es kann nur geschehen durch ord­nende Arbeit. Der Ausbau des Rätesystems im Wirtschafts­leben, aber nicht Streifs sind ein Mittel dazu.

Ein fleiner Lichtblick in allem Dunkel war die sozia­listische Konferenz in Luzern . Aus den Trümmern der ersten Internationale erhebt sich die zweite. Sie muß von Grund auf solide gebaut sein, wenn sie tragfähig werden soll; ohne Phrase und Schwall, auf flarer Erkenntnis der Zweckmäßigkeit. Der Kampf gegen den internationalen Rapitalismus und Imperialismus fann erfolgreich nur in Ruhe und Besonnenheit geführt werden. Daß die neue Internationale fich auf diesen Boden stellen will, bewies die einmütige Ablehnung des Antrags Crispien, wonach die deutschen Mehrheitssozialisten von der Teilnahme ausge­schlossen sein sollten. In Moskau ist die dritte Internatio­nale, die der Bolschewisten und Kommunisten, gegründet und unsere Unabhängigen sigen nun wieder zwischen zwei Stühlen. Sie möchten im Osten, aber auch im Westen sein. Sie müssen sich für einen der Wege entscheiden und wir freuen uns, wenn es der westliche ist. Aber auch im Lande tut die klare Entscheidung not, denn wer nicht sammelt, der zerstreuet. Clara Bohm- Schuch .

Politische Frauen

Bon Dr. Karl Solf

( Schluß)

Einem ganz anderen Typus begegnen wir in einer der ältesten Revolutionärinnen Rußlands , der Propagandistin Breschkow- Breschkowskaja, der ihr jahrzehntelanger Kampf gegen den Zarismus den ehrenden Beinamen einer Großmutter der russischen Revolution" eingetragen hat. Sie ist ein Kind des russischen Bodens und ihre Lebensschicksale find nur aus den besonderen politischen Verhältnissen Ruß­ lands zu verstehen. Als die gebildete russische Jugend in den sechziger und siebziger Jahren der Losung Bakunins folgte, Ins Volk" zu gehen, um dort sozialrevolutionäre Propaganda zu betreiben, wanderte sie unter Berzicht auf die Annehmlich feit eines gehobenen Familienlebens als einfache Arbeiterin durch das Land, um die Bauern aufzuklären. Sechs Jahre Kerker in der Peter- Pauls- Festung und Verbannung nach Si­ birien waren die Antwort der zaristischen Regierung auf ihre Tätigkeit. Ein Fluchtversuch, bei dem sie beinahe elendig ver­hungert wäre, brachte ihr die Verurteilung zu 40( allerdings nicht vollstrecten) Knutenhieben und weitere Jahre der Ver­bannung und Zwangsarbeit ein. Nach 25jährigem Aufent­halt in Sibirien fonnte sie endlich 1897 nach Rußland zurück­kehren. Aber die Erinnerung an die grauenvollen Leiden, die fie mit Tausenden Genossen des Unglüds in Sibirien geteilt hatte, veranlaßte die unermüdliche Frau, eine Propaganda­reise zugunsten der politischen Gefangenen Stußlands durch die Bereinigten Staaten zu unternehmen, die zu einem Triumphzuge für die damals schon bejahrte Frau wurde. 3ehn weitere Jahre lebhafter Agitation in Rußland schlossen ab mit einer Denunziation durch den Spigel Azew, zwei Jahre Kerker und abermaliger Verbannung nach Sibirien . Man ge­stattete der alten Rämpferin freie Bewegung unter der Auf­ficht von 6 Polizisten. Aber der leidenschaftliche Drang dieser

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An Bebel

Wir Frauen ein minderwertig Geschlecht, Verhöhnt, verachtet, ohne Recht.

Nr. 27

Man fagte uns stets: die Gefchichte lehrt, Daß dem Mann allein die berrichaft gehört. Daß die Frau nichts veríteht von des Lebens Пöten Als das Haus zu hüten und höchftens

zu beten.

Du aber riffelt der Weltgefchicht' Die verlogene Maske vom Geficht: Daß auch die Frau bestimmt ſei Als Menfch zu leben, geachtet und frei. Daß wir nimmer die Menschheit zur Freiheit führen, Eh' nicht die Frau'n ihre Ketten verlieren. Daß wir von allen am meiſten verehren Die Mütter, die uns dem Leben gebären! Arbeiter und Frau Beide entrechtet,

Beide geknechtet

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Du wiefeft ihrem fuchenden Blick

Den Weg in die Freiheit, den Weg zum Glück! Freund und Führer, dein Wort noch befteht, Wenn du schon längst im All verweht.

Wir tragen dich in uns gleich einem Panier, Arbeiter und Frau wir danken dir!

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Kurt бeilbut.

einzigartigen Frau zu leben und zu wirken, war unerschöpf­lich. Jm tiefsten Elend zeigte sich ihre Größe; sie wurde der gute Geist der Mitgefangenen. Die Schwachen wandten sich an sie um Hilfe und die Starken um Rat", schrieb ein Ver­bannter. Ein neuer Fluchtversuch in Männerkleidern, den sie unternahm, brachte den ganzen Regierungsapparat Sibiriens in Bewegung. Sie wurde wieder festgenommen und ins Bellengefängnis in Irkutsk eingeliefert, von wo sie nach Ge­nesung von schwerer Krankheit in einen entlegenen Ort Si­ biriens verschickt wurde. Endlich, im März 1917, fonnte ihr Parteifreund Kerenski sie mit der Nachricht beglücken, daß ihr Traum, für den sie ein Leben Jang gekämpft und gelitten hatte, in Erfüllung gegangen sei, das revolutionäre Rußland erwarte fie! Auf ihrem Rückwege begleitete sie der Jubel des Volkes. In Petersburg wurde sie von Kerenski , Abgeord neten und Arbeiterdeputierten begeistert empfangen. Sie hatte dann die Ehre, das Vorparlament zu eröffnen. Ueber ihre neuesten Lebensschicksale sind wir nicht unterrichtet. Es heißt, daß sie vor der Regierung Lenins ins Ausland geflüchtet sei. Ihr angeborener Optimismus und ihre unzerstörbare Ar­beitsfreudigkeit verleihen ihr einen freudigen Glauben an die Bukunft Rußlands . Sie verförpert den glühenden Freiheits­drang, die edle Menschlichkeit und die Selbstaufopferung von Generationen russischer Intellektueller". So fremdartig uns das Lebensbild dieser Frau anmutet, das nur auf russischem Boden sich so abspielen konnte, wir fühlen: diese Frau ist eine edle, starke und uneigennützige Persönlichkeit, die jede Nation mit Stolz zu den Ihren zählen würde.

Und wieder eine ganz anders geartete, aber doch in diesem Zusammenhange zu nennende Frau ist Ada Negri , die gefeierte italienische Dichterin. Sie wurde 1870 als Tochter armer Eltern zu Rodi geboren. Nach dem frühen Tode des Vaters schlug die Mutter sich als Fabrikarbeiterin durchs Le­ben, alles, was sie erübrigen konnte, der Tochter opfernd, die mit 18 Jahren eine elend bezahlte Lehrerinnenstelle in Motto­Visconti annehmen konnte.

Plebejer sind die, denen ich entstamme.. Feucht war die Hütte, drin ich lebte als Kind, Doch unbezähmt in mir wohnt eine Flamme." Die harte Not ihrer Jugend hat den Grund gelegt zu dem starken sozialen Empfinden, das den Grundton ihres dichte­rischen Lebenswerkes bildet und ihren Weltruf begründet hat. In einem dürftigen Zimmer, auf einem schmutzigen Hofe ge­legen, find die Gedichte entstanden, die in einem ersten Bänd­chen zusammengefaßt, fie mit einem Schlage berühmt machten. Sie erhielt einen Ehrenfold und die Stelle einer Lehrerin für