Nr. 29
Die Gleich beit
Schandmal für die Sieger bleibt, und mancher Mutterfluch für diese Art der Kriegführung gegen unschuldige Frauen und Kinder bleibt an den Siegern haften.
Die seelische Not, in der die Frauen und Mütter diese lange Zeit hindurch lebten, die Sorge um den im Heeresdienst stehenden Gatten, Sohn, Bruder, den Freund oder den Verlobten hat hemmend und störend in alles FrauenLeben eingegriffen und es vergiftet. Dazu die steigende Not der Ernährung, verschärft durch Wucher von eigenen raffgierigen Volksgenossen. Da braucht man sich wirklich nicht zu wundern, wenn das Interesse an Dingen der Kultur und des Geistes mehr und mehr schwand. Das Wort vom Jungbrunnen und vom Stahlbad, in dem das deutsche Volf sich befände und das zu seiner Erneuerung und steigender Kraft führen solle, war eitel Lüge der Kriegshezer und-verlängerer, der Kriegsinteressenten und der fanatisierten Kriegsberauschten.
Die große Boltsmasse versant in förperliche und seelische Not; Friede und Brot war schließlich die einzigste Parole, für die sie noch zu haben war. Unter solchen Zuständen war die Hochhaltung unserer Parteiorganisation schwer, an ein
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verfällt und daß die Arbeiterschaft in eine neue Periode des Aufbaus ihrer Organisationen tritt.
Sechs Millionen Arbeiter und Arbeiterinnen sind bereits gewerkschaftlich organisiert, und wir hoffen, daß auch unsere Parteibewegung bald große Aufschwungsziffern verzeichnen kann. Wir hoffen vor allem, daß die Frauen die neue Zeit und ihre neuen Rechte begreifen und daß sie nicht ruhen noch rasten, bis die weibliche Mitgliederzahl und die Abonnentenzahl der„ Gleichheit" so anwächst, daß sie der Zahl der weiblichen Wählermassen entspricht. Frauen und Mädchen! Jetzt gilt es zu zeigen, daß die Frauen reif sind zur Ausübung der politischen Rechte. Kommt und helft im Kampf gegen Unwissenheit und Gleichgültigkeit. Frauen, in Gurem Selbstinteresse schließt Guch an und leistet freudig und stark Parteiarbeit, die uns zu den neuen Ufern führen wird, zu denen ein neuer Tag uns lockt.
zelnen Orten fast unmöglich. Dieser Zustand verstärkte sich Die Verfassung des Deutschen Reiches jelbstverständlich, als die Spaltung der sozialdemokratischen Partei sich öffentlich vollzog. Der wilde Bruderkampf stieß ab und versentte viele Gemüter in politische Gleichgültigkeit; höchstens hoffte man noch auf die Zukunft. Dann kam der militärische Zusammenbruch an der Front und die politische Revolution. Am 9. November 1918 rollten 22 Kronen in den Staub, das monarchische System, das Gottesgnadentum, versant auf immer. Dann kam ein Zustand, der nicht schön, aber begreiflich ist. Große Volksmassen, teils von den Schrecknissen des Schüßengrabens frank und fast urteilsunfähig, teils von Männern und Frauen, die durch allen Jammer und alle Plage den Sinn für Ordnung verloren hatten, drängten weit über das Mögliche hinaus.
Jetzt ist eine gewisse Ruhe wieder eingefehrt und es scheint, die Vernunft fängt stärker an sich zu regen. Wir fönnen hoffen, daß die Macht all jener Gewalten, die die fozialdemokratische Partei zerstören und zerreißen wollten,
Feuilleton
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Wer fich felbft recht kennt, kann fehr bald alle andern Menschen kennenlernen. Es iſt alles Zurückſtrahlung. Lichtenberg.
in
Ein Paar blaue Seidenstrümpfe
Nach dem Schwedischen des Helmer Wanberg. Deutsch von Werner Peter Larsen, München . in jeder von uns weiß, daß eine gewisse Rubrik unserer Tageszeitungen tagtäglich höchst eigentümliche Anzeigen aufweist; oder hat. nicht etwa ein jeder schon so etwa auf der legten Seite des Anzeigenteils etwa folgendes gelasen:
,, Auf dem Wege vom Volkshause bis... eine rote Seidenbluse verloren; der Wiederbringer erhält" usw. usw. oder: ,, ein völlig neuer Bisampelz im Auto Nr.... von... bis... vergessen worden; der ehrliche Finder wird zunt allermindesten mit einem betörenden Lächeln belohnt.
"
Nun habe ich vor einiger Zeit aber die merkwürdigste Anzeige dieser Art gelesen, und die lautete folgendermaßen:
Auf dem Heimwege vom Apollo- Theater ein Paar blaue Seidenstrümpfe verloren. Den Wiederbringer belohnt ein dankbarer Blick aus einem Paar blauer Augen."
Folgte die genaue Adresse der Dame, die ihre blauen Seidenstrümpfe verloren hatte.
Ich muß gestehen, daß ich, nachdem ich diese Anzeige gelesen hatte, zit mir selbst ganz laut sagte:„ Hm, hm... Aha, aba!"
Vielfach hört man aus den Reihen der Arbeiterschaft, ganz besonders von unabhängigen oder kommunistischen Arbeitern, das Wort:„ Es ist ja nichts erreicht worden." Es kommt ganz auf die Auffassung des einzelnen an, ob er sich. das Obengesagte zu eigen macht oder das wirklich Erreichte anerkennt und richtig einschäßt. Der deutsche Staatsbürger, dessen Denken demokratisch eingestellt ist, wird im Artikel 22, dem wichtigsten des II. Abschnitts der Verfassung, einen wesentlichen Fortschritt erblicken. Er lautet:
Die Abgeordneten werden in allgemeiner, gleicher, unmittel barer und geheimer Wahl von den über zwanzig Jahre alten Männern und Frauen nach den Grundsäßen der Verhältniswahl gewählt. Der Wahltag muß ein Sonntag oder öffentlicher Ruhetag sein.
Ich will nicht verhehlen, daß meine Phantasie mir die Dame, die nun feine blauen Seidenstrümpfe mehr hatte, als sehr berückend, zugleich aber auch als sehr leichtsinnig ausmalte.
Ich bitte Sie: wie kann ein Mensch auf offener Straße so ohne weiteres seine Seidenstrümpfe verlieren? Ich dachte eine fleine Weile über die Angelegenheit nach und sab im Geiste ein blißendes, blaues Augenpaar und einen feinen, stolzen, koketten Mund vor mir...
Fein wäre es schon, diese blauen Strümpfe zu finden", fagte ich zu mir selbst, denn es ist klar, daß du auf diese Weise die Eigentümerin würdest zu sehen bekommen. Aber, nun ja, hast du denn etwa auch mal Glück? Kannst du dich überhaupt entsinnen, schon jemals in deinem Leben Glück gehabt zu haben?! Die blauen Seidenstrümpfe finden immer andere, Glücklichere als du!"
Aber die Strümpfe ließen mir doch keine Ruhe... Ein Tag ging, der zweite die Anzeige tauchte immer wieder an der gewohnten Stelle in der Zeitung auf: Auf dem Heimwege vom Apollo- Theater ein Paar blaue Seidenstrümpfe verloren. Den Wiederbringer belohnt ein dankbarer Blick aus einem Paar blauer Augen." Teufel noch einmal, sollte ich denn wirklich nicht einmal ein Paar Strümpfe finden können?! Und eine höhnische Stimme in mir selbst ficherte und lachte und sprach:
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" Ich schwöre dir- ich schwöre dir bei allem, was du willst: du findest sie nicht du findest sie nicht findest sie nicht
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Als die Anzeige zum viertenmal erschien was für die Leser keine Aufforderung zum Inserieren sein soll, wohl