Nr: 31

29. Jahrgang

Die Gleichheit

Zeitschrift für Arbeiterfrauen und Arbeiterinnen

Mif den Beilagen: Für unsere Kinder. Die Frau und ihr Haus

Die Gleichheit erscheint wöchentlich

Preis: Monatlich 1,20 Mart, Einzelnummer 30 Pfennig Durch die Post bezogen vierteljährlich ohne Bestellgeld 3,60 Mart; unter Kreuzband 4,25 Mart

Klar sein

Berlin  

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20. September 1919

Endlich ist ein größerer Teil unserer Kriegsgefangenen in die Heimat zurückgekehrt und die anderen werden folgen, wenn nicht neue Störungen eintreten. Unmöglich ist das nicht, denn noch brennt in Frankreich   der Haß lichterloh gegen die Besiegten und die Rücklieferung ist ja von der Seite sehr widerwillig und mit der Einschränkung erfolgt, sofern die Bedingungen des Friedens­bertrages Zug um Zug erfüllt werden. Die englische Regierung befördert die deutschen   Gefangenen bis Köln   a. Mh., nach Frank­ reich   muß Deutschland   die Beförderungsmittel senden, sogar bis in Südfrankreich   hinein und da wir durch Krieg, Waffenstillstands­und Friedensbedingungen sehr arm an Eisenbahnmaterial ge= worden sind, ist das nicht einfach. Und dennoch: sie werden ge= holt werden. Es ist zu hoffen, daß in einigen Monaten die see lischen Martern für den lehten- Gefangenen und seine Angehörigen zu Ende sein werden. Wie die deutsche Regierung alles getan hat, um unsere Brüder aus der. Knechtschaft zu erlösen, so wird sie nun alles tun, um sie heimzuschaffen, um den Friedensver­trag zu erfüllen, damit der Entente kein neuer Vorwand zur Zu rüdbehaltung der wehrlosen Menschen gegeben ist.

Konfliktsgründe finden sich freilich immer, wenn man fie sucht. Das hat die letzte Forderung Frankreichs   auf Kraftlos­erklärung des Artikels 61 der eben beschlossenen deutschen   Ver­fassung gezeigt. Deutsch  - Desterreich soll sich nie mit Deutschland  vereinen dürfen. Zwar haben die Regierenden der Entente der Welt in hohen Tönen verkündet, daß sie für das Selbstbestim mungsrecht der Nationen fämpfen, wie überhaupt für Gerechtig­keit und alles Hohe und Schöne auf Erden. Da aber diese En­tenteregierungen dem dreifachen Gößen: Rapitalismus, Jm perialismus und Militarismus genau so dienten wie die mon­archische deutsche Regierung vor dem Novembersturm, so konnten fie für ihre hohen Verkündungen nur Gläubige finden, weil die politischen Greise und Kinder hoffnungsvolle Toren waren. Das Selbstbestimmungsrecht der Völker gilt nur da, wo es der Entente paßt. Die deutsche Regierung hat in ihrer Antwort note darauf hingewiesen, daß der Artikel 61 einer Aenderung nicht bedürfe, da eine Verlegung des von Frankreich   angezogenen Artikels 80 der Friedensbedingungen dadurch ausgeschlossen sei, weil der Artikel 178 der Verfassung ausdrücklich sagt, daß die Bestimmungen des Friedensvertrages durch die Verfassung nicht berührt werden.

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Die französischen   Chauvinisten( bei uns heißen sie Alldeutsche) hetzten nun in ihrer Presse, um diese Forderung, die in sich er­ledigt ist, zu einer Probe dafür zu machen, was das geschlagene Deutschland   fich in Demütigungen gefallen lassen muß. Und einst war in der Welt die Ritterlichkeit der Franzosen berühmt, in dem Blutrausch dieses Krieges scheint alles zum Teufel ge­gangen zu sein. Leider sind uns auch von anderer Seite Worte aus Frankreich   gekommen, die nicht allzu große Hoffnung auf wirkliche Verständigung zwischen uns und unserem westlichen Nachbar, geben, wenn in ihnen auch etwas von Versöhnenmüssen gesagt wurde. Der Sozialist Albert Thomas   hat in der französischen   Deputiertenfammer bei den Debatten über den Friedensvertrag die friedliche Durchdringung des linken Rheinufers" verlangt. Friedliche Durch­Friedliche Durch bringung! Was im ersten Sturm der Gefühle nicht gelang, nämlich die verschiedenen rheinstaatlichen Republiken zu bilden und an Frankreich   anzuschließen, soll jest in sanfterer Weise

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Zuschriften sind zu richten an die

Redaktion der Gleichheit, Berlin   SW 68, Lindenstraße 3 Fernsprecher: Amt Morigplag 147 40 Expedition: Berlin   SW 68, Lindenstraße 3

fortgesetzt werden.

In Frankreich   scheint die Befürchtung noch immer übergroß zu sein, daß Deutschland   troß der Sklavenketten, die ihm durch den Friedensvertrag geschmiedet sind, sich wieder emporarbeiten könnte, und darum soll sein Besitzstand noch mehr geschmälert werden, als es schon geschehen ist, soll vor allem die deutsche Einheit zerrissen werden.

Frankreich   hat so viel gelitten durch diesen Krieg, und mit brennender Scham haben wir im Laufe dieser Nachkriegsmonate erfahren, welche Barbareien am französischen   Volk und Land verübt wurden. Deshalb hat die deutsche Volksregierung sich zur Wiedergutmachung bis an die Grenze des Möglichen von vornherein erklärt. Damit aber mußte die Rechnung ausge­glichen werden; was seit den Friedensverhandlungen in Haß wellen über Deutschland   geflutet ist, ist so traurig und be. schämend für Frankreich  , weil es nach dem Krieg an einem unterlegenen Volk berübt wurde. Die Franzosen sollten endlich erkennen, daß sie mit ihrem Vor­gehen der Reaktion in Deutschland  , welche sie fürchten, unge­heure Dienste leisten. Es ist leider wenig Hoffnung, daß ihnen diese Erkenntnis kommt, genau so wie unsere Linksradikalen, die Kommunisten und ein Teil der U. S. P., nicht erkennen wollen oder fönnen, wie sie mit ihrer Art des Kampfes gegen die Mehr­heitssozialisten und gegen die demokratische Regierung die Platz­halter der reaktionär- monarchistischen Clique find. Manche sind sich freilich dieses Ganges   der Dinge bewußt und sie wollen ihn, weil sie hoffen, auf diesem Umwege selbst zur Macht zu gelangen. So wurde mir in einer öffentlichen Auseinandersetzung über diese Dinge von einem radikalen U.- S.- P.- Mann gesagt: Wir begrüßen die Reaktion". Besonnene Führer der Unabhängigen sehen ebenfalls dies Verhängnis nahen und sie erheben ihre warnende Stimme, so Kautsky  , Ströbel und andere, aber sie werden Rufer in der Wüste bleiben. Die Reichskonferenz der 1. S. P. D. fand in Berlin   hinter verschlossenen Türen statt; dieselben Leute, die, ebenso wie wir, nur in schärferen Tönen, die volle Oeffentlichkeit der diplomatischen Verhandlungen for bern  , erlebigen die eigenen Parteiangelegenheiten unter Ausschluß der Oeffentlichkeit. Der Grund dafür ist, daß eine heillose Ver­wirrung in ihren eigenen Reihen eingerissen ist, daß die denken­den und verantwortlichen Führer die Fehler ihrer Politik er­kennen und doch nicht den Mut haben, dies offen einzugestehen und offen den Weg zu suchen, der aus der Sackgasse herausführen

fann.

Wir alle wollen die Einigung der Arbeiterschaft, aber wir sollen uns hüten, dadurch den Blick von den tatsächlichen Dingen ablenken zu lassen. Ehe die Führer der U. S. P. D. den Mut zum offenen Bekenntnis ihres Irrtums finden, kann noch manche Zeit vergehen und wenn wir nicht alle eigenen Kräfte zusammen­fassen, wächst die Reaktion von Tag zu Tag. In den Kreisen der Offiziere findet sie eine starke Stüße, darüber kann kein Zweife! bestehen. Der Herr Oberst Reinhardt in Berlin  ( nicht zu ver­wechseln mit dem Kriegsminister Oberst Reinhardt) konnte es wagen, Mitglieder der Regierung, welcher er dient, als Lumpe. und Schwindler zu bezeichnen, ohne sofort seines Amtes entjest zu werden. Nicht etwa, weil der Herr Reichswehrminister Noste hinter diesem Herrn stände, sondern weil die Truppe nicht feit ist und weil die Reaktionäre von rechts und die Nadikalen von links nur auf den Moment warten, wo die Militärgewalt ins Wanken kommt, um ihre Diktatur aufzupflanzen. Gelänge das aber, dann webe uns allen! Der einen Seite Herrschaft haben