Nr. 33
Die Gleichheit
wollten. Die Frauen erklärten mir nach den Versammlungen, fie fallen nicht mehr auf die Schimpfreden dez 1. S. P. herein, fie wollen praktische, gute Arbeit sehen. So muß es sein; arbeiten wollen wir auf der Grundlage der Verfassung an der Gesetz gebung zum Wohle des gesamten Volkes. Die Frauenbewegung fördern, heißt Kulturarbeit leisten. Lina Ege.
Eine sehr gutbesuchte Frauenkonferenz für den Gau Mittelfranken bagte am Sonntag, den 19. September, im Künstlerhaus in Nürnberg . Der Vormittag war den Fragen der Agitation und Presse gewidmet, wozu die Genossinnen Grünberg, Nürnberg und Bohm- Schuch, Berlin , referiezten. Genoffin Grünberg schilderte die schweren Hemmingen und Widerstände, gegen die sich unsere Frauenbewegung durchsetzen mußte. Heute zählt der Gau Mittelfranken 4000 organisierte Genossinnen. Frauen- und Mädchenbildungsabende müssen für Vertiefung des politischen Interesses und Wissens sorgen. Genossin BohmSchuch betonte die Wichtigkeit der schriftlichen Aufklärung neben der mündlichen. Der Sozialismus muß unseren Genossinnen Lebensinhalt werden, das kann er nuz, wenn man sein Wesen bon Grund auf begreift; Gefühl allein genügt nicht, das Denfen muß hinzukommen. Die Aufgabe der Presse ist es, flardenfende und warmempfindende Genoffinnen heranzubilden. Neben der Tagespresse tommt für diese Erziehungsarbeit vor allem die " Gleichheit" in Frage, welche mit ihren Beilagen:„ Die Frau und ihr Haus" und" Für unsere Stinder", bemüht ist, Kultur arbeit im weitesten Sinne des Wortes zu leisten.
Gine rege Aussprache, an der sich neben dem Genoffen Dr. Braun, die Genossinnen Ammon, Füllhed, Körner, Juchacz , Ruppenſtein und Meisel beteiligten, folgte den Ausführungen. Ein Antrag der Genojsin Grünberg, welcher den Gauvorstand verpflichtet, die Verbreitung der„ Gleichheit" zu zentralisieren, wird einstimmig angenommen; ebenso erfolgt die einstimmige Annahme nachStehender Resolution:
„ Die erste Frauenkonferenz der sozialdemokratischen Partei Mittelfrankens , die am 14. September 1919 in Nürnberg im Stünstlerhaus tagt, beschließt:
1. Um die Frauenagitation zu fördern, sind möglichst zahl reich Frauenversammlungen abzuhalten.
2. Die Genossinnen sind verpflichtet, die Mitgliederversamm lungen und die öffentlichen Veranstaltungen der Partei zahlreich zu besuchen.
3. Zur Heranbildung und Schulung der Genossinnen sind Frauen und Mädchenbildungsabende zu veranstalten. Wis Bortragsstoffe fommen alle Gebiete der Politik, Kunst und Wissenschaft in Betracht.
4. Die weiblichen Mitglieder des örtlichen Parteivorstandes haben die Pflicht, mit den tätigen Genoffinnen Sizungen ab zuhalten betreffs Stellungnahme zur Agitation. Dem Parteivorstand sind Wünsche und Anregungen zu unterbreiten.
5. Die Genossinnen übernehmen Agitationsbezirke am Orte, um für die Verbreitung der„ Gleichheit" sowie der„ Fränkischen Tagespost" und Gewinnung von Mitgliedern für unsere Partei Sorge zu tragen.
6. Am Quartalsschluß ist Bericht zu geben über Abonnentenund Mitgliederzahl, über die Anzahl der stattgefundenen Sizungen und Versammlungen sowie der Frauen- und Bildungs
abende."
Der Nachmittag brachte drei außerordentlich wertvolle Referate. Als erste sprach die Genossin Juchacz- Berlin über die Erziehungsfragen im Hause. Sie führte aus, daß das vornehmste Gebot jeder Erziehung das starte, Berantwortlichkeitsgefühl der Eltern für Leib und Seele ihres Kindes sein müsse. Am besten und bestimmenften für die fittliche Entwicklung der Kinder wird das Vorbild der Eltern sein. Bedingung jeden Gemeinschaftslebens ist die Arbeit. Der Wert der Arbeit muß wieder zu feinem Rechte tommen. Deshalb ist es zu begrüßen, daß nach der neuen Verfassung der Arbeitsunterricht, ebenso wie der staatsbürgerliche Unterricht Pflichtfach wird. Wir sollen unsere Kinder im sozialistischen Geift, d. h. im Geiste höchster Menschlichfeit erziehen; hüten sollen wir uns dagegen, die Kinder parteipolitisch zu beeinflussen. Beruf und Mutterschaft ist eines der schwierig ften Probleme, und es wird vorläufig nicht gelöst werden können, aber die Mutter wird erst durch den eigenen Beruf ein innerlich freier Mensch, der freie Menschen erziehen kann. Darauf müffen wir die ganze häusliche Erziehung unserer Mädchen einstellen und fie gleichberechtigt mit den Knaben werden lassen.
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Ergänzend hierzu sprach die Genoffin Toni P fülf, München , über die Erziehungsfrage in der Schule. Ihre Ausführungen
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waren ein ästhetischer Genuß für die Zuhörenden. Sie ermahnte die Genossinnen in den Gemeindevertretungen und Schulfom misfionen tatkräftig in der Schulreform mitzuarbeiten. Schulheime sollen an die Stelle der Schulfabriken treten. Bei der heutigen Ueberfüllung der Klassen geht die Begabung im Mittelmaß unter. Die Schule hat die Aufgabe, Verantwortlichkeitsgefühl und Selbstvertrauen in den Kindern zu erstarken, um sie zum wahren Gebrauch ihrer Freiheit hinzuleiten. Die Schulen müssen, lebendige Gemeinschaften für Lernende und Lehrende werden, Heimstätten der sozialen Erziehung. In unserem neuen fallen, eine ist ohne die andere nicht möglich. Soviel wir an Staat muß der Wertunterschied zwischen Geistes- und Handarbeit dem Schulkompromiß, wie er in der neuen Verfassung festgelegt ist, auch auszusehen haben, so ist durch ihn der Aufstieg der Begabten sehr erleichtert. Es ist überhaupt der erste Schritt auf dem Wege zur Einheits- und weltlichen Schule. In Berufsfragen sollen Eltern, Schule und Staat zusammenarbeiten. Entscheidend für die Berufswahl wird Neigung und Veranlagung der Kinder sein. Bisher waren die Erzieher Beamte, sie müssen freie Menschen sein und sich als solche fühlen, um freie Menschen In der Diskussion schildert Genossin erziehen zu können. Ruppenstein den Kampf um Simultan- und Konfessionsschule in Erlangen . Er endete leider mit einer Niederlage der Sozialdemokratischen Partei, weil das Kultusministerium die Abstimmung über die Schulsysteme des Schulanfangs wegen verweigerte.
Genossin Müller kommt auf die wirtschaftliche und moralische Not der Frauen während der Kriegsjahre zu sprechen, die sie zwang, die Kinder zum Erwerb auszunüßen und deren Erziehung zu vernachlässigen. Sie fordert die Abschaffung der Tonfessionellen Rinderschule.
Genossin fülf ergänzt ihre Ausführungen, indem sie auf die Selbstregierung der Kinder als wichtiges Erziehungsmoment hindeutet. Die Schule soll ein sozialer Staat im Kleinen sein.
Sodann sprach die Genoffin Anna Blos über den Schuk bon Mutter und Kind. Sie gab einen Ueberblick über die Entwicklung der Frau aus der Sklaverei des Altertums bis zu ihrer Tekten Befreiung durch die Novemberrevolution. In klaren ergreifenden Worten schilderte sie Leistung und Not der Frau während des Krieges. Wohnverhältnisse und Entlohnung waren und find bis heute schlecht. Die verheiratete Arbeiterin trägt eine dreifache Last, deshalb muß das Gesetz sie besonders schützen. Pflicht des Staates ist es ferner, den Schutz für die uneheliche Mutter und ihr Kind weitest auszudehnen. Kinderarbeit muß verschwinden, die Gewerbeordnung muß in thren Schutzbestimmungen für Frauen und Jugendliche ausges baut werden. Mutterschutz und Kinderschutz sind Menschheitsfragen, ohne deren Lösung an eine Gesundung unseres Boltslebens nicht zu denken ist. Die vorzüglichen Ausführungen fanden den ungeteilten Beifall der Genossinnen.
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Die
In ihrem Schlußwort betont die Genossin Grünberg die Notwendigkeit solcher Aussprachen und wünscht, daß dieselben öfter stattfinden, weil sie anregend wirken und die Arbeitsfreudigkeit der Genossinnen heben.
An Genossen Auer wird ein Schreiben abgesandt, in dem die Frauenkonferenz ihm schnelle Wiederherstellung wünscht und der Hoffnung Ausdruck verleiht, ihn bald wieder in ihrer Mitte zu sehen. Mit nochmaligem Appell zur tätigen Mitarbeit der Genofsinnen schloß bie vorzüglich verlaufene Konferenz.
Aus der Frauenbewegung des Auslandes
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Jeanne Mélin auf dem französischen Sosialistentongreß ( Humanité" vom 12. September) unterstreicht die Notwendigfeit für die Partei, eine Schrift über die Rechte der Frau zu veröffentlichen, Rechte, die die Partei immer vertreten hat, und die man bei der Propaganda nicht vergessen darf. Die Teil nahme, mit der die Rednerin angehört und ihr zugestimmt wurde, zeigt, daß diese interessanten Ausführungen in der Partei Wider hall fanden.
Schließlich wurde nach Reden von Théo Bretin und Frossard der Grundsatz der Wahlbeteiligung angenommen, jedoch wird man fich für besondere Fälle mit den beteiligten Parteien verständigen. K. H.