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Die Gleichheit

Ankunft Bernstorffs in Berlin   zu verzögern, denn es hofft auf die Kriegserklärung Amerikas   und fürchtet, daß durch Ver­mittelung des Botschafters in Berlin   das Aeußerste verhütet werden könnte. Endlich, am 11. März 1917, kommt Graf Bernstorff   in Berlin   an. Am Tage darauf hat er mit dem Reichskanzler von Bethmann Hollweg   eine Unterredung, aber zum Vortrag beim Kaiser wird er erst am 4. Mai zugelassen.. Am 2. April war die Kriegserklärung Amerikas   erfolgt. Nach der Unterredung mit dem Kaiser, welche im Großen Haupt­ quartier   in Bleß stattfand, spricht er auch mit dem General Ludendorff  . Ludendorff   sagt: Sie wollten ja in Amerika  Frieden machen, Sie glaubten wohl, Deutschland   sei am Ende." Darauf antwortet Bernstorff  : Ich wollte Frieden machen, ehe Deutschland   am Ende ist." Der General Auden­dorff war voll froher Siegeszuversicht: noch 6 Wochen, hieß cs zuerst, dann: noch drei Monate, und täglich starben tausende blühender Menschen, wurden tausende zu Krüppeln. Und diefer Optimismus des Generalstabs hielt an, trotz Blut und Leichen; hielt solange an, bis alles verloren war.

Die Schuldigen des Weltkrieges werden durch den Unter­fuchungsausschuß nicht ermittelt werden können, aber der Teil der Schuld, welcher Deutsche trifft, wird ins Licht treten. Und sie werden von dem Staatsgerichtshof zur Verantwortung gezogen werden für ihre Verbrechen am deutschen   Volfe und an der Menschheit. An den Bölfern der übrigen Länder ist es nun, auch bei sich Klarheit und Sühne zu schaffen, damit die Wahrheit durch die Welt gehe, damit wir hoffen dürfen auf einen Weltfrieden. Clara Bohm- Schuch  .

Demokratie! In Not geboren, Lieben wir dein bleich Geficht, Denn wir Armen find verloren, Wenn aus dir nicht Güte ſpricht. Sieh die ärmiten deiner Söhne Legen ihre Wunden bloß, Fragen: Trägit du auch die schöne Helle Zeit in deinem Schoß?

Läßt auch du nur Bürde tragen, Herdenfchicksal ohne Ziel? Oder kommit du anzuklagen Brudermord und Herrenfpiel...

Hch, wir wiffen, daß die Waffen Niemals für die Freiheit glühn, Wiffen, daß nur freiem Schaffen Rofen der Erlöfung blühn

Demokratie! Zerreiß die Ketten! Gieß die Welt des Geiftes voll, nur das eine Ziel zu retten: Daß kein Menfch mehr leiden foll!

Revolution des Geistes*)

Von Carl Diesel

II.

Artur Zickler.

Im vorangegangenen Aufsatz sprach ich einleitend von der unglückseligen Verzerrung des Schillerschen Jdeals und seiner großen Gedanken und wies andeutend darauf hin, daß die Verwässerung seiner fraftvollen Ideen furz ausgedrückt von Amts wegen" erfolgte. Ich werde darüber noch ausführlicher sprechen müssen bei Behandlung des Freiheitsbegriffes.

Jedenfalls ist es ein( natürlich voll und ganz beabsichtigtes und durchaus erwünschtes) Resultat dieser Verwässerungs- und Verweichlichungspolitik, daß Schillers philosophische Ideen so außerordentlich großem Mißverstehen und unverstehen begeg­nen; daß sie zum großen Teil nicht ernst genommen werden;

*) Bgl. Hierzu den ersten dieser Aufsätze in Nr. 33 und 34 der Gleichheit" bont 4. und 11. Oftober 1919.

Nr. 37

daß man sie mit überlegen- spöttischem Lächeln als Schvär­merei", als phantastischen Idealismus" abtut.*)

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Das Volkich spreche jetzt weder von einer Minderheit, noch von einer Mehrheit das Bolf als Ganzes, als Nation fühlt anders, wenn es natürlich in einem gewissen Sinne auch der offiziellen Hypnose erlag und erliegen mußte. Aber mit seinen reinsten und ursprünglichsten Sinnen empfindet es sehr wohl die klingende Klarheit, die aus Schillers Worten spricht, wenn es auch nicht imstande ist, sie mit kritischem Verstande zu würdigen. Es hält sich an seine poetischen Werke; gut so, denn diese sind ja nichts anderes als der geniale, poetische Ausdruck seiner großartigen philosophischen Ideen, hochgeistige Schöpfungen, die er in strengster selbstkritischer Beurteilung zu Meisterwerken formte.

Schillers Einwirken auf das Persönliche im Menschen ist unverkennbar und läßt sich in keiner Weise bestreiten. Ja, er ist im eigentlichen Sinne Persönlichkeitsbildner, vermag es, den Menschen aus dem Egoistisch- Individuellen heraus zum rein Persönlichen zu bringen. Das Wie, das sich an diese Be­hauptung knüpft, wird ebenfalls im weiteren Verlaufe seine Beantwortung finden.

In einer der wertvollsten Schriften, die über Schiller ge­schrieben wurden, in Wilhelm von Humboldts Ueber Schiller und den Gang seiner Geistesentwicklung"**) heißt es:

,, Es gibt ein unmittelbareres und volleres Wirken eines großen Geistes als das durch seine Werke. Diese zeigen nur einen Teil seines Wesens. In die lebendige Erscheinung strömt es rein und vollständig über. Auf eine Art, die sich einzeln nicht nachweisen, nicht erforschen läßt, welcher selbst der Gedanke nicht zu folgen vermag, wird es aufgenommen von den Zeitgenossen und auf die folgenden Geschlechter ver­erbt. Dies stille und gleichsam magische Wirken großer geistiger Naturen ist es vorzüglich, was den immer wachsen­den Gedanken von Geschlecht zu Geschlecht, von Volk zu Volf immer mächtiger und ausgebreiteter emporsprießen läßt. In Schrift gefaßte Werke und Literaturen tragen ihn dann gleichsam mumienartig verschlossen über Klüfte hin­weg, welche die lebendige Wirksamkeit nicht zu überspringen vermag. Die Völker aber haben schon immer Hauptschritte zu ihrer Geistesentwicklung vor der Schrift getan, und in diesen dunkelsten, aber wichtigsten Perioden des mensch­lichen Schaffens und Bildens ist nur die lebendige Einwir­fung möglich."

Diese Feststellungen eines Mannes wie Wilhelm von Hum boldt, eines Mannes, dessen ganzes Leben und Wirken ohne jegliches fremdes Zutun aufgebaut ist auf die strengsten und reinsten Begriffe der Aesthetik, sind zu wertvoll, als daß sie bei einer Betrachtung wie der vorliegenden entbehrt werden können. Es sind die ernsten, wohldurchdachten Worte eines ebenso flugen wie feinsinnigen Beobachters, den es drängte, die Früchte Schillerschen Geistes nicht allein mit jenem Be­hagen zu genießen, das den auszeichnet, der seine eigenen

*) Auf die Polemik der Goethe- und Schiller- Fanatiker ein­zugehen, die mit zum Teil unverantwortlichen Mitteln den einen gegen den anderen ausspielen, werden die Leserinnen mit mir für überflüssig halten. Doch sei ein Brief erwähnt, den ich vor längerer Zeit von einer begeisterten Goethe- Verehrerin erhielt, in dem Schiller   als fader" Schtvärmer und seine Werke als füßliche Produkte" oder so ähnlich bezeichnet werden. Ich fanit mich nun nicht enthalten, zu fragen: Hätte die Größe eines Goethe es geduldet, daß sich ein gänglich unbedeutender Mensch neben ihn stellt? Würde ein Mann wie Goethe einem solchen Schwarntgeist die geheimsten dichterischen Absichten offenbart haben? Beweist der Briefwechsel zwischen beiden gar nichts,- ja, wäre es wohl überhaupt zu diesem Briefwechsel gekommen, wenn Schillers Schaffen so bollkommen inhaltslos gewesen wäre? Und der Nachruf, den Goethe dem Freunde widmete: würde er nicht- geradezu ein Dokument der Falschheit sein, wenn Schiller dem Freunde gar nichts zu geben vermocht hätte?

Man sieht, wohin es führen kann, wenn die Boreingenommen beit und das Nichtwissen cifernd sprechen. Im übrigen mag die Geschichte auf sich beruhen!

**) Unter Nr. 38 in der an vortrefflichen literarischen Seltens heiten so reichen Insel- Bücherei, Leipzig  .