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Novemberlied

Wie hinter den Novemberichleiern Uns der Erlölung Feuer glänzen, Soll über aller Länder Grenzen Ein neuer Morgen Fefte feiern!

Die Gleich beit

Ein бeer von Frauen, fchwarz behangen, Mit roten Rofen an der Bruit,

бat lich der Menfchen Feind gefangen Und wandelt baß zu weher Luft.

Der Пebel fällt, die Berge dröhnen Im Schreiten kommender Gefchlechter. Die Welt wird schöner und gerechter, Wenn ihre Mütter fie verföhnen.

Novemberfonne hat ein Glüben, Das alle Nächte überscheint Und in der Seelen Flammensprühen Die Menichheit zur Vollendung eint!

Artur Zickler.

Was hat der 9. November den Frauen

gebracht?

Von Marie Juchacz  

Es war am 4. November 1918. Die herannahende Revolution Tag in der Luft. In den Sophiensälen zu Berlin   fand eine große Frauenversammlung stait. Führerinnen der Frauenstimmrechts­bewegung der verschiedenen Richtungen gaben hier der Oeffentlich feit tund, daß sie in dem sich sichtbar vorbereitenden demofrati­scheren Regierungssystem die Forderung der Frauenrechte so lange aufstellen würden, bis das Ziel erreicht sei. Die Versammlung sollte das Signal sein für die gesamte Frauenbewegung Deutsch­ lands   zu einer zielbewußten und kraftvollen Aktion für das Frauenstimmrecht. Einige Tage vorher war an den Reichskanzler Prinz May v. Baden ein Schreiben abgegangen, in dem namhafte Führerinnen der Frauenbewegung um eine Unterredung vach­fuchten. Der Zweck derselben sollte sein, die Meinung der neuen Regierung, die unter ganz anderen Voraussetzungen als die frühere ins Leben getreten war, über die Aussichten der erstrebten Frauenrechte zu erfragen. Die Versammlung war so stark besucht, daß noch schnell eine Parallelversammlung arrangiert werden mußte. Man fühlte deutlich die Hochspannung der Gemüter. Führende Männer der sozialdemokratischen Partei, auch ein Ver­treter der Fortschrittlichen Volkspartei   nahmen das Wort, um den Frauen zu sagen, daß sie die Forderung der Gleichberechtigung der Geschlechter für berechtigt hielten und für ihre Durchführung arbeiten wollten. Ganz hoffnungsvoll flangen die Worte Her­mann Müllers: G3 werden wenige Frauen in diesem Saale sein, die den Sieg des Frauenwahlrechis nicht erleben. Eine Bewegung ungläubiger Abwehr ging durch die Reihen der Zuhörer. Am Vorabend des 9. November erklärte uns Otto Braun  , der heute von rechts so viel angegriffene preußische Landwirtschaftsminister: Für Preußen werden die Herren das Frauenwahlrecht mit in den Kauf nehmen. Bekannt lich wurde vom Reichstag und der Reichsregierung, in Verbindung mit den politisch linksstehenden Fraftionen des preußischen Land­tages, auf interfraktionellem Wege ganz intensiv gearbeitet, um das berüchtigte Dreiflassenwahlrecht zu stürzen. Dabei war u. a. auch das Frauenwahlrecht zugesagt worden. Am Morgen des 9. November aber versuchten die alten Führer des Zentrums nach Ausflüchten, um in die Gültigkeit dieser Abmachung Zweife! zu setzen. An demselben Morgen wurde noch die Republik   aus­gerufen. Die erste Proflamation der neuen Voltsregierung brachte uns das aktive und passive Wahlrecht für die Wahlen zur Nationalversammlung, die ersten Landesversammlungen und die Gemeindeparlamente; also den Sieg des Frauenwahlrechts auf der ganzen Linie.

Zentnerschwer legte sich das Gefühl der Verantwortung auf die Schultern der ernsten und denkenden Frauenwelt. Bonach wir gestrebt in den langen Jahren, es fiel uns plöglich in den Schoß als reife Frucht. Aber wir erhielten das Recht und die Mitver­antwortung in einer Stunde, in der unser Bolt sich in Schmerzen und Qualen wand und die Zukunft unheilvoll vor uns lag. Wir,

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die deutschen   Männer und Frauen, waren hineingetrieben worden in das graue Elend des Weltkriegs, ohne uns dagegen wehren zu Tonnen. Jegt, am Ende seiner Kraft, wurde das ganze Volk berufen, fein eigenes Schidjal zu leiten.

Wir Frauen haben gewählt und sind gewählt worden. In allen Parlamenten Deutschlands  , in Reich, Staat und Gemeinde arbeiten Frauen. Eins fönnen wir feststellen: Das aktive und passive Wahlrecht der Frauen ist auch für die Zukunft durch die Verfassung gesichert. Sonst ist es noch zu früh, um die Bilanz zu ziehen. Wenn wir aber die Frage stellen, was der 9. No­vember den Frauen gebracht hat, dann muß die Antwort lauten: Die unbegrenzte Möglichkeit der Entfaltung und Anwendung der Frauenfräfte für das Ge­meinwohl und das ist viel, sehr viel.

Dem Sonnenaufgang zu

All mein Gewaffen werf ich von mir, und ohne Speer und Brünne, nackt und wehrios, iteb' ich da.

Weil der Kampf lo eitel ift.

Ein Atemzug durchbebt die Nacht. Von Often kommt ein Laut, wie das Rufen eines großen, dunklen Stromes.

Eine Rielenfchwinge reckt fich durch des Fimmels Weiten und löicht die tanzenden Lichter alle aus.

Im Schatten des Todes küffeft du mich, und meine Lippen trinken das rinnende Leben von deinem Mund.

Sie trinken und trinken, bis die Adern schwellen und die Bruft fich dehnt und die Augen mir zu leuchten beginnen wie Früh morgenichein.

Sie trinken, bis dein berzíchlag matt wird und dein Arm er­lahmt und dein letzter Seufzer wie ein бauch vergeht in dem lauten, jubelnden, erlöften Lachen, das aus meiner Keble bricht.

Mitten durch die Schatten des Todes, durch die weichende Finiternis fchreite ich den fingenden Strömen entgegen, immer dem Sonnenaufgang zu. Klara Müller- Jahnke  

Wie sich die Revolution vollzog

I.

Der 3. November 1918, Ein grauer Herbstsonntag. In Altona   mittags große Bolfsversammlung. Dicht gedrängt die Männer und Frauen des Proletariats. Der alte Kampf zwischen Mehrheitssozialisten und U. E. P. Da plöblich geht leise von Mund zu Mund ein Gerücht: In Kiel   meutern Matrosen. Warum? Niemand weiß es. Ist die Lage ernst? Wer könnte die Frage beantworten. Nein! Noch ahnt von den Versammelten feiner, welche Bedeutung die Kieler   Ereignisse für sie alle, für das ganze deutsche   Volt haben werden; daß nach dem 4¼jährigen Völkermorden ein neuer Abschnitt der Weltgeschichte beginnen soll. Was war in Kiel   geschehen? Versuche, die Echlacht lotte zum Auslaufen zu bringen, waren gescheitert. An der Grenze der deutschen   Hoheitsgewässer hatten die Matrosen die Maschinen zum Stillstehen gebracht, weil sie annahmen, daß die Offiziere eine Schlacht mit den Engländern suchten, um dem Waffenstill­standsangebot der Regierung des Prinzen Mag von Baden ent­gegenzuarbeiten. Zurückgekehrt, wurden die Matrosen verhaftet. Aber der alte Geist des blinden Gehorsams war zusammen­gebrochen; in einer Versammlung am Freitag, den 1. November, im Gewerkschaftshaus forderten die Nichtverhafteten die Frei laffung und Straffreiheit der Verhafteten. Da sie damit abge­wiesen wurden, follte am Sonnabend eine neue Versammlung stattfinden. Die Versammlung wurde seitens des Kommandos verhindert; statt dessen fanden am Sonntag nachmittag große Straßendemonstrationen statt, an denen sich nun auch die Ar­beiter beteiligten. Als aber der Versuch gemacht wurde, die Ge­fangenen zu befreien, offenbarte sich noch einmal der alte Mi­litarismus, Schüsse fielen und die ersten Opfer der beginnenden Umwälzung, 8 Tote und 29 Verwundete, blieben auf dem Platz.. Blut war geflossen, und nun gab es fein Halten in der Ente wicklung der Dinge mehr. In der schnellsten Folge überſtürzten fich die Ereignisse Die Matrosen bewaffneten sich, ein Soldaten­rat wurde gebildet, Forderungen wurden aufgestellt, die Inhaf­tierten wurden besveit, und als am Abend des 4. November der bamalige Staatssekretär Haußmann und unser Parteigenoffe, ber Reichstagsabgeordnete Noste, in Stiel eintrafen, tamen sie in eine völlig neue Welt. Die Verhandlungen mit ihnen ergaben bie Annahme beziehungsweise Befürwortung der hauptsächlichsten