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Die Gleich beit
Wie in vielen Städten Preußens, so wußten auch die Genossen in Breslau an dem entscheidenden Revolutions- Sonnabend noch nichts von den großen Ereignissen, Lie am selben Tage in Berlin geschehen waren. Nur die aufregende Kunde über die Militärrevolten drang in den verschiedensten Versionen an unser Chr, andernorts entwaffnete Soldaten, die auf den Bahnhöfen eintrafen, bermehrten die Menge der umherschwirrenden Gerüchte. Es galt, auf eigene Faust zu handeln. Die Volkswacht" forderte in einer„ Die Morgenröte", überschriebenen Nummer zu einer gewaltigen Kundgebung gegen die alten Machthaber am Sonntag auf, man besdyloß in der Nacht Rosa Luxemburg aus ihrer Schußhaft zu befreien ein Vorhaben, dem die GefängnisAbends wurde verwaltung durch schnelle Entlassung zuvorkam. ein ,, Voltsrat" aus Sozialdemokraten und demokratischen Bürgern zusammengesetzt und noch in der Nacht die Festungskommandantur und das Generalfommando von Deputationen aus diesem Volksrat" aufgesucht und mit Beigeordneten ausgestattet, ohne deren Gegenzeichnung feine militärischen Befehle mehr hinausgehen durften. Irgendwelcher Widerstand wurde an feiner Stelle ge= Teiftet und die von einigen übereifrigen ,, Soldatenräten" unternommene Erftürmung" von Kajernen, Gefängnissen und einzelnen Offizinen erwies fich als ziemlich überflüssig, da keinerlei Blutvergießen stattfand, aber auch nicht gefährlich. Die große Rundgebung in der Jahrhunderthalle, in der sich über 25 000 Menschen mit vielen roten Fahnen einfanden, und der darauf folgende Zug durch die Stadt gestaltete sich zu einer so wuchtigen Kundgebung der einmütigen Breslauer Arbeiterschaft, daß niemand wagte, ihr entgegenzutreten. Und da die Arbeiterschaft auch feine Neigung zeigte, ihre Macht in sinnlosen Experimenten zu erproben, vollzog sich die weitere Entwicklung ohne jede Gewalttätigkeit in geordneten Bahnen und brachte bei den Wahlen zur Nationalversammlung einen gewaltigen Sieg der Sozialdemofratie 230 000 sozialdemokratische Stimmen gegen 980 unabhängige im ganzen Bezirk. Paul Löbe .
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Die Kinder und die Revolution Läßt sich wohl von einem Zusammenhang zwischen Kind und Revolution sprechen? Einem Zusammenhang etwa derart, wie er zweifellos besteht zwischen Kind und Krieg? Ist es möglich, daß auch die Nevolution in der kindlichen Seel: Wirkungen gewisser Art auslöst oder Wandlungen hervorruft, die unter Umständen zu einer völlig anderen Lebensrichtung und Lebensauffassung drängen fönnen, als gegeben ist?
Vo
Anwachsen, bis ein Tog die allgemeine Und die besond're Schuld auf einmal zahlt. Bezähme jeder die gerechte Wut
Und spare für das ganze seine Nache; Denn Raub begeht am allgemeinen Gut, Wer selbst sich bilft in seiner eignen Sache.
Eine alte Geschichte
Für nachdenkliche Leute neu erzählt von Antonie ẞfülf or ein paar tausend Jahren lebten drunten an den Ufern des Nil die Israeliten als Fronarbeiter der Aegypter. Sie brannten ihnen die Ziegel und bestellten ihnen die Felder, sie bauten ihnen feste Straßen und herrliche Paläste, alles um die kümmerlichsten Lebensnotwendigkeiten.
Aber das war nicht das schlimmste, was die Aegypter den raeliten angetan haben. Das schlimmste war, daß, während fie unter der geschwungenen Knute harter Aufseher im glühenden Sonnenbrand arbeiteten, ihr Herz sich füllte mit Furcht und Neid. Und wie von Herzen aus das Blut durch alle Teile des Körpers getrieben wird, so war schließlich ihr ganzes Sein erfüllt von der feigen Furcht und dem niedrigen Neid. So daß sie den Saum des Kleides ihrer Peiniger füßten, wenn sie des Weges gingen und ausspndten vor Haß und Efel, wenn sie unbeobachtet waren; daß sie die Besitzenden verachteten um ihres Besizes willen und gleichzeitig selbst von der gröbsten Besitzgier erfüllt waren. Mit einem Wort: die
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Das Verhältnis, wie es zwischen Kind und Krieg besteht, fann in vielen Fällen nicht als bloß äußerliches angesehen werden. Man denke nur an die Kriegs- und Soldatenspiele, denen sich die meisten Jungen mit Eifer hingeben. Die „ innere" Veranlassung zu derlei Spielen ist vorhanden: der Drang der Knaben, sich auszutoben, sich zu balgen. Aber dieser naturgemäße Trieb könnte ja ebenjogut auf andere Weise befriedigt werden. Er fand dagegen einen außerordent lichen Anreiz durch den herrschenden staatlichen Militarismus der vorrevolutionären Zeit.
Dieser Anreiz, dieser Einfluß war feineswegs zu unterschätzen. Nicht bloß der Spieltrieb und das Temperament der Kinder fanden ihre Befriedigung, es wurden auch unschöne Eigenschaften geradezu geweckt und großgezogen: die Leidenschaftlichkeit, Schadenfreude, Grausamkeit, Herrschsucht, der Zerstörungstrieb, der Klassenstolz.
Natürlich war auch eine mehr oder minder begrenzte ästhe tische Empfänglichkeit mitwirkend: die Freude am Glanz, an der Mujif, an der Ordnung und dem Rhythmus.
Ich lasse es absichtlich bei diesen Andeutungen bewenden, denn dariiber ausführlicher zu reden, wäre Sache eines anderen Artikels. Erwähnen möchte ich nur noch, daß der Krieg, namentlich in seinem Anfang, ganz hervorragend dazu beigetragen hat, daß im Kinde kriegerische Gefühle, fann wirklich von nichts anderem sprechen! wacherhalten wurden.
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Alles das sind zum großen Teil recht bekannte Dinge, die ich eigentlich nur erwähne, un desto deutlicher zeigen zit können, wie gering demgegenüber der Einfluß der Revolution auf das findliche Gemüt ist. Von einem äußeren Einfluß, der sich etwa in den Spielen, diesen Charakteristiken des Kindes, offenbarte, ist nur äußerst wenig zu bemerken. Ich entsinne mich eines einzigen Halles, in dem ich beobachten konnte, wie eine Schar Jungen verblüffend realistisch ein tragisches politisches Ereignis aus den Tagen der Revolution wiedergaben. Aber das sind Vorgänge von solcher Seltenheit, daß sie kaum einer Erwähnung bedürfen.
Weit wesentlicher für die Kinder wie für die Erzieher erscheint mir die Frage, ob man von einem geistigen, also innerlichen, in seinen Wirkungen verinnerlichenden Einfluß der revolutionären Ereignisse auf das Kind sprechen kann.
Aegypter haben der Seele dieses armen Volkes den Sklavenstempel aufgedrüdt.
Aber irgendwo ganz verborgen lebte in diesen arment Sflavenseelen noch etwas anderes- eine unbestimmte Sehnsucht, die sie traurig und glücklich zugleich machte, die sie sich nicht zu denten wußten, denn sie waren ja arme, unwissende Menschen und viel zu müde und abgeschunden zu tieferem, Nachdenken. Es war aber die Sehnsucht nach einem besseren Menschentum, nach einem Leben ohne Not und Furcht, ohne Neid und Gier, nach einem Leben in Freiheit und Schönheit und Güte.
Unter ihnen aber war einer, den ein günstiges Geschick vor der Fronarbeit bewahrte, so daß er Zeit hatte, dieser Sehnsucht nachzuspüren, die in ihm lebte wie in allen seinen Bridern. Und je mehr er darüber nachdachte, desto größer wurde die Sehnsucht und desto stärker der Glaube an ihre Erfüllung. Bis Mojes nicht mehr schweigen fonnte. Und er sprach mit seinen Brüdern und Schwestern, stotternd und zögernd, denn er war kein guter Redner, aber sie verstanden ihn alle, denn ihre eigene Sehnsucht sprach ja mit. Und der starke Glaube des Moses strömte auf sie über, so daß ihre fleine Sehnsucht riesenhaft wuchs und die feige Furcht, die sich früher in ihrer Seele breitgemacht hatte, überwand.
Die Jfraeliten zogen aus, das gelobte Land zu suchen, das Land ihrer Sehnsucht, das Land, so von Milch und Honig fließt, das Land ihrer Freiheit.
Die Unterdrücker setzten ihnen nach, aber sie wurden int Meere begraben, und die Geschichte erzählt, wie die Jfraeliten jubelnd die Arme gen Himmel hoben: frei, endlich frei!